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Atopie

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Der Begriff A. findet erstmals in Platons (427–347 v. Chr.) Dialogen häufigere Verwendung und bezieht sich v.a. auf das nicht einzuordnende Auftreten der Figur des Sokrates im Symposion (221c–d). Wörtlich bezeichnet gr. atopos dasjenige, was sowohl ohne ↗ Ort als auch außergewöhnlich, einzigartig ist. Im Gegensatz zur ↗ Utopie als projiziertem Idealort und zur ↗ Heterotopic als marginalem, anderen (↗ Fremde) Ort, bestimmt sich die A. als ↗ Passage zwischen Komplexen, die erst kraft ihrer ↗ Transversalität zu Orten werden. Dergestalt fasst Roland Barthes (1915–1980) in Fragments d’un discours amoureux von 1977 A. als ↗ Intervall von ↗ Singularitäten, die innerhalb bestehender Raumanordnungen (↗ Räume) nicht verortet werden können: Sowohl deren Verhältnis als auch sie selbst gelten Barthes (1988, 44ff.) als ortlos, insofern ihre Spezifik darin besteht, keine festen Konturen oder ↗ Grenzen zu besitzen. Jacques Derrida (1930–2004) vermag eine „unberechenbare ↗ Topologie“ (Derrida 1994, 17f.) der A. in Phänomenen der Gestade, Ufer (↗ Strand), ↗ Meer- und Deltalandschaften (↗ Landschaft) auszumachen, die einen „↗ Raum ohne Territorium, ohne vorgegebene ↗ Wege, ohne topographische (↗ Topographie) Namen“ aufspannen. Im Unterschied zu Georges Perecs (1936–1982) Récits d’Ellis Island von 1980, die einen ↗ Nicht-Ort in dessen gesellschaftlich-phantasmatischer Verräumlichung beschreiben, bestimmt Derrida jenen von seiner irritierenden Wirkung her: Denn nicht nur lässt er das, was er trennt, immerzu ineinander übergehen, sondern wirkt zugleich innerhalb des jeweils Getrennten als exzessives Element, dem kein Ort im Raum zugewiesen werden kann. Auf diese Ortlosigkeit rekurriert Helmut Willkes (2001) systemtheoretische Fassung der A., sofern sie der Utopie des ↗ Marktes samt seiner globalen Infrastruktur die Irrelevanz von Örtlichkeit (↗ Deterritorialisierung) schlechthin entgegensetzt. Phänomene wie Internet (↗ Netz) oder Geldwerte (↗ Kapital) sind an keine spezifische Umgebung mehr gebunden, sondern werden ubiquitär (↗ Allgegenwart) möglich. Wirtschaftliche Transaktionen basieren so zunehmend weniger auf Ort, Raum und Entfernung (↗ Distanz), was Willke zufolge zu einer Exterritorialisierung (↗ Ausschluss) der Gesellschaft führt.

Literatur: Böhme 1988, 19–21; Oster 2006, 164–171; Schroer 2006, 161–173.

Barthes, Roland (1988): Fragmente einer Sprache der Liebe, Frankfurt a. M. [frz. 1977].

Böhme, Gernot (1988): Der Typ Sokrates, Frankfurt a. M.

Derrida, Jacques (1994): Gestade, Wien [frz. 1986].

Oster, Angela (2006): Ästhetik der Atopie, Heidelberg.

Schroer, Markus (2006): Räume, Orte, Grenzen, Frankfurt a.M.

Willke, Helmut (2001): Atopia, Frankfurt a. M.

Christian Driesen

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