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3. Forschungsstand

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Forschung über Enkulturation (und Akkulturation sowie ihrer Varianten) unter den Bedingungen der Vielfalt der Soziokulturen und Sprachen ist verhältnismäßig jung. Im Fokus stehen häufig das Jugend- und das Erwachsenenalter und die Ergebnisse der Akkulturation infolge von Migration. Neben der sozialpsychologischen Einführung von Segall et al. (1999) und dem umfangreichen theoretischen sowie empirischen Werk von Berry (1997) sind bisher kaum Arbeiten zu verzeichnen, die gezielt die Verbindung Enkulturation und Sprachen (im Plural) im Kindesalter etwa in Form von Längsschnittstudien zum Gegenstand haben.

In der Sprachwissenschaft wurde bis in die 1960er Jahre hinein die Idee vertreten, dass frühkindliche ZweisprachigkeitZweisprachigkeitfrühkindliche etwas UnnatürlichesBilingualismuss. Zweisprachigkeit, kaum Mögliches und – falls vorhanden – für die kindliche Seele etwas Schädliches sei. Allerdings fehlten damals belastbare Ergebnisse empirischer Untersuchungen, weil empirische Forschung in den Sozialwissenschaften noch in den Kinderschuhen steckte. Seit den 1960er Jahren ist ein Wandel der Perspektive festzustellen. Erste empirische Untersuchungen zeigten, dass Kinder ohne besondere Schwierigkeiten oder Nachteile zwei Sprachen parallel oder mit geringer Zeitverschiebung erwerben können (Baker & Prys Jones 1998: 62f.). In der Anfangszeit jenes Paradigmenwechsels war noch kaum die Rede davon, dass unter bestimmten Umständen auch frühkindliche Dreisprachigkeit möglich sein kann.

Ähnlich wie bei der sozialpsychologischen Forschung sind die 1990er Jahre auch für die Forschung über Mehrsprachigkeit (↗ Art. 51, 85) fruchtbare Jahre. Es kristallisieren sich drei Schwerpunkte heraus:

 Frühkindliche Mehrsprachigkeit (↗ Art. 52, 53) als Gewinn für die menschliche Entwicklung und unverzichtbarer Bestandteil von allgemeiner Bildung; auf dieser Idee basiert die von vielen Bildungssystemen unterstützte Förderung des Unterrichts von einer oder zwei Fremdsprachen bereits in der GrundschuleGrundschule. Einen besonderen Fall stellen bilinguale Programme (↗ Art. 111) dar, wie sie Bildungssysteme in offiziell zweisprachigen Ländern, zum Beispiel KanadaKanada, anbieten (Heller 2003). Dieser Ansatz wird einerseits durch die positive Wertung der frühkindlichen Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit aufgrund vorliegender Forschungsergebnisse getragen, andererseits auch von Richtlinien politischer Körperschaften wie etwa der Europäischen Union (Europäische Kommission 1996) propagiert (↗ Art. 12).

 Auswirkungen der frühkindlichen Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit (in der Regel geht es jedoch bei Kleinkindern um höchstens drei Sprachen) auf kognitive Prozesse. Hierbei ist als Durchbruch zu nennen, dass moderne bildgebende Verfahren Einsichten in die Hirntätigkeit von Mehr- im Vergleich zu Einsprachigen ermöglichen (Van de Craen & Mondt 2003: 213f.). Nach heutigen Erkenntnissen der Neurolinguistik sind bei Zwei- bzw. Mehrsprachigen im Kindes- sowie im Erwachsenenalter kognitive VorteileZweisprachigkeitkognitive Vorteile der nachgewiesen, insbesondere wenn die Sprachen in der frühen Kindheit (0 bis 3 Jahre) erworben wurden und ein Leben lang verwendet werden. Als kognitive Vorteile werden non-verbale FähigkeitenFähigkeitennon-verbale genannt wie selektive Aufmerksamkeit und Unterdrückung (selective attention/inhibition), Verlagerung der Aufmerksamkeit (attention shifting), Arbeitsgedächtnis (working memory) (Bialystok & Poarch 2014).

 Zusammenhänge zwischen dem Erwerb von mehr als einer Sprache parallel von Geburt an oder konsekutiv und der IdentitätsbildungIdentitätsbildung. Das Thema der Identität (↗ Art. 1) wurde mit Blick auf den – auch literarischen – Gebrauch von mehreren Sprachen durch Erwachsene untersucht (Lüdi 2018: 138). Zu Identität und natürlicher Mehrsprachigkeit von Sprachgemeinschaften s. Baker & Prys Jones (1998: 96f.), zu SprachenlernenSprachenlernenu. Identität und -lehren und Identität s. Cummins (2001) und Norton (2013).

Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik

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