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1. Theodor Fontane als Sprachvirtuose
ОглавлениеDie Übersetzung literarischer Texte erfordert in der Regel mehr als nur eine wortgetreue Übertragung von Ausgangstexten. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die gegebenen Äußerungen nicht auf einen reinen Informationstransfer beschränken lassen, sondern auch Merkmale emotionaler Befindlichkeit, sozialer und regionaler Herkunft oder altersmäßiger Gruppenzugehörigkeit aufweisen. Weitere Schwierigkeiten können sich insofern ergeben, als bestimmte sprachstilistische Besonderheiten oder Verweise auf kulturspezifische Realien eine entsprechende Wiedergabe in der Zielsprache erschweren bzw. ausschließen. Übersetzen geht also meist über ein einfaches Umkodieren hinaus, im Falle literarischer Texte dürfte dies sogar die Regel sein. Es kann im wesentlichen nur darum gehen, zwischen ausgangs- und zielsprachlichen Äußerungen jeweils eine Art kommunikativer Gleichwertigkeit herzustellen, und zwar auf der Ebene der betreffenden Texte insgesamt (und nicht auf der Ebene der sprachlichen Mittel). Wichtig ist dabei, das soziale und kulturelle Umfeld, in dem ein Text erstellt wurde, und die Bedingungen, unter denen sprachlich gehandelt wird, von vornherein mitzureflektieren und auf diese Weise eine – wie Coseriu (1981: 43) es schlagwortartig nennt – „Invarianz des Textinhalts“ anzustreben.1
Mit Blick auf Theodor Fontane erhalten diese Bemerkungen zusätzliches Gewicht, da es sich hier um einen Autor handelt, für den die Thematisierung von Sprache und Sprachverhalten eine zentrale Rolle spielt. Dies gilt ebenfalls für seine Romane. Ganz generell dienen sprachliche Verhaltensweisen sowohl der Charakterisierung einzelner Protagonisten als auch der Darstellung und Abgrenzung verschiedener gesellschaftlicher Milieus, als Zeichen für Kultiviertheit, Bildung, Kreativität oder aber als Indiz für Überheblichkeit und peinliche Niveaulosigkeit. Einige Figuren sind mit einer markanten Sensibilität für Sprachliches ausgestattet. Nicht selten werden Handlungsabläufe unterbrochen, um metakommunikativen Kommentaren mit Problematisierungen des sprachlichen Ausdrucks Raum zu geben. Sprache und Stil rücken somit nicht nur in der Figurenrede, sondern ebenso im Erzählertext immer wieder in den Vordergrund.2
Fontane gehört bekanntlich zu den Autoren, die sich um eine starke Annäherung an den alltäglichen Sprachgebrauch bemühen. Dies zeigt sich vor allem in den gesprochenen Passagen der Protagonisten, wo z.B. mit dialektalen Ausdrücken, Registerwechseln oder mit verschiedenen syntaktischen Mitteln ein möglichst realistisches, d.h. zeit-, schicht- und situationsspezifisches Bild vom mündlichen Sprachverhalten erzeugt werden soll. Das Gespräch wird gleichsam, so Preisendanz (1984: 473), zum „beherrschenden Medium der Wirklichkeitsmodellierung“. Trotz eines solchen Bestrebens bleibt jedoch festzuhalten: Die in den Romanen vorgestellte Mündlichkeit ist immer nur eine fingierte bzw. simulierte. Eine auch nur annähernd komplette Wiedergabe alltagsweltlicher Gesprächsstrukturen (etwa mit simultanem Sprechem, Rückmeldepartikeln oder Selbst- und Fremdkorrekturen) würde für literarische Texte als unangemessen gelten; andererseits schafft die zugrundeliegende fiktionale Bezugswelt auch Freiräume für Verbalisierungsmöglichkeiten jenseits zweckrationaler Handlungsbedingungen.
In diesem Rahmen ist nun ebenfalls der Ausdruck sprachlicher Höflichkeit anzusiedeln. Wie bringen die Kommunikationsbeteiligten ihre Beziehung zueinander zum Ausdruck, wie regulieren sie diesbezügliche Veränderungen? In welcher Form wird wechselseitige Respektbezeugung signalisiert? Welche Verfahren kommen in Frage, um Gesichts- oder Imagebedrohungen zu vermeiden oder abzumildern, wie wird auf Gesichtsverletzungen reagiert? Mit welchen Mitteln lassen sich Erwartungen an das Partnerimage bestätigen, wie können Sprecher das Gewähren von Freiraum und Distanz bestätigen oder einschränken?3 Für all diese Fragen und den Einsatz von Höflichkeitsstrategien kommen in den Fontane-Romanen vor allem die folgenden Bereiche in Betracht (vgl. Abb. 1):
Abb. 1: Simulierte Mündlichkeit und Bereiche verbaler Höflichkeit
1 SprechstileMit dem Einsatz dialektaler Elemente und der Kontrastierung zum Hochdeutschen wird nicht nur Lokalkolorit vermittelt; oft handelt es sich auch um ein Verfahren zur Herstellung kommunikativer Nähe, zur Markierung von Schichtzugehörigkeit, von Überlegenheit oder Unterlegenheit. Ebenso kann der Rückgriff auf vorgeprägtes Sprachgut, auf floskelhafte Ausdrücke unter bestimmten Bedingungen einen Imageverlust oder eine soziale Herabstufung zur Folge haben.
2 Dissens-RegulierungEin geradezu privilegiertes Feld höflichkeitsrelevanter Kommunikation stellt die Aushandlung kontroverser Positionen dar; hier ist die Beziehung zwischen den Partnern fast immer mit im Spiel, ein Umstand, der im allgemeinen das Vorkommen abschwächender oder zurückweisender Maßnahmen zum Schutz des positiven Gesichts wahrscheinlich macht. Beispiele für den entgegengesetzten Fall der Selbstdemontage sind seltener.
3 Phraseme, ZitateFontane gilt nicht zuletzt als ein Meister der kreativen Verwendung phraseologischer Ausdrucksmittel: Auf diese Weise lassen sich z.B. bestimmte Romanfiguren – besonders im Falle von Modifikationen oder anspielungsreich in die Rede eingefügter Zitate und geflügelter Worte – leicht als originell, literarisch gebildet und gesellschaftlich hochgestellt charakterisieren.
4 Fremdsprachen-EinsatzAuch das Vorkommen fremdsprachlicher Elemente ist alles andere als zufällig, vielfach ist es ebenfalls ein Signal der Status-Differenzierung. So deutet der Rückgriff auf französische Wortverbindungen in der Regel darauf hin, einen Sprecher als dem Bildungsbürgertum oder dem Adel zugehörig auszuweisen bzw. ihm den elitären Konversationston der Salons zuzuschreiben; dagegen steht das Englische eher für das Aufkommen einer neuen, modernen Zeit.
Alle genannten Merkmale, darauf sei noch hingewiesen, sind in ihrer textuellen Funktion abhängig von der konkreten „Dosierung“ und von ihrer kommunikativen Einbettung. Insofern können sie Höflichkeitseffekte jeweils verstärken oder abschwächen, die Protagonisten aufwerten, als normenkonform präsentieren oder unter Umständen auch der Lächerlichkeit preisgeben.