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2. Höflichkeit und Übersetzbarkeit

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Wie eingangs bereits angedeutet, beschränkt sich das Bedeutungspotential sprachlicher Äußerungen längst nicht immer nur auf die Ausführung einer einzigen sprachlichen Handlung. Selbst bei vermeintlich unprätentiösen Aussagen schwingen nicht selten Momente der Selbstdarstellung oder Impulse der Beziehungsgestaltung mit. Sandig (1978) spricht in dem Zusammenhang von ‚Zusatzhandlungen‘:

„Zusatzhandlungen können als weitere, aber nicht konstitutive Teile den Sprechhandlungen hinzugefügt werden“. (1978: 84)

Was im einzelnen als Haupt- oder Zusatzhandlung gilt, ist eine Frage der Äußerungsinterpretation. Für Übersetzungen stellen Zusatzhandlungen und ihr Bezug zur übergeordneten Handlung eine besondere Herausforderung dar. Dies sei an einem einfachen, von Knapp-Potthoff (1992: 208) übernommenen Sprachmittlungs-Beispiel illustriert:

1 Ehm, tut mir leid, dass ich da drängen muss. Aber ich brauch’s wirklich ganz dringend.

2 He says it’s urgent.

B reduziert als Sprachmittler die Äußerung von A auf den aus seiner Sicht wesentlichen Punkt, die Betonung der Dringlichkeit einer zuvor formulierten Bitte. Dabei fallen mehrere abschwächende, gesichtsschonende Komponenten unter den Tisch: die Verzögerungspartikel (ehm), die Bedauerns-Bekundung (tut mir leid), der akzeptanzstützende Glaubwürdigkeitsappell (brauch’s wirklich ganz dringend). Als Test zur Unterscheidung von Zusatz- und Haupthandlung kann die Umstellprobe dienen. An die obige Äußerung von A anschließend, wäre paraphrasierbar:

,Der Sprecher A insistiert mit seiner Bitte – und bringt außerdem zum Ausdruck, in welchem Maße er diese als dringend bewertet und inwieweit er den Eingriff in die Handlungsfreiheit des Adressaten bedauert.’

Eine umgekehrte Reihenfolge wäre kaum denkbar, die Bewertung der Bitte und die Signalisierung des Bedauerns sind als Zusatzhandlungen hier eindeutig nachgeordnet.

Bei der Übertragung in eine Zielsprache ergibt sich oft das Problem, Formulierungen finden zu müssen, die nicht nur als als Wiedergabe der Haupthandlung, sondern auch als adäquate Entsprechung der Zusatzhandlung(en) gelten können. Dies ist bekanntlich in vielen Fällen nur schwer oder gar nicht möglich. Dieser Gedanke soll nun anhand literarischer Auszüge weiter vertieft und veranschaulicht werden. Alle Belege sind dabei den Fontane-Romanen Irrungen, Wirrungen (1888) und Frau Jenny Treibel oder „Wo sich Herz zum Herzen find’t“ (1892) entnommen.1 Der folgende Beleg liefert erste Hinweise auf die in dieser Hinsicht möglichen Schwierigkeiten:

(1) (a) [Frau Nimptsch:] Und nu rücken Sie ’ran hier, liebe Frau Dörr, oder lieber da drüben auf die Hutsche … […] (Irrungen, Wirrungen I, 5) (b) [madame Nimptsch :] Bon, et maintenant approchez-vous donc, ma chère madame Dörr, ou plutôt non : mettez-vous là-bas sur le tabouret5. […] (Errements et tourments I, 62)

Ohne Frage handelt es sich in (1) um eine vertrauensvolle Bitte, nämlich um die Einladung an eine Gesprächspartnerin, umstandslos und direkt neben der Sprecherin Platz zu nehmen. Beiden Redebeiträgen kann man also das allgemeine Handlungsmuster Aufforderung zuordnen:


Abb. 2a: Zuschreibung eines gemeinsamen Handlungsmusters

Doch weisen die Äußerungen auch Unterschiede auf. So wird in (1a) eine nähesprachliche Formulierung gewählt, die mit den mündlichen Kurzformen nu, ’ran und dem dialektalen Hutsche (‚kleine Fußbank‘, ‚Schemel‘) ein hohes Maß an Vertrautheit und Informalität signalisiert. Im Vergleich dazu erscheint die französische Version deutlich distanzierter: Es fehlen die Mündlichkeitssignale (allenfalls die Partikel donc könnte man als in diese Richtung gehend auffassen), das direktive « et maintenant approchez-vous » drückt eher Formalität aus als „nu rücken Sie ’ran hier“, die Negation in « ou plutôt non : mettez-vous là-bas » hat im Ausgangstext keine Entsprechung, der Berlinismus Hutsche ist nicht übersetzbar und wird mit dem standardsprachlichen, nicht ganz äquivalenten Lexem tabouret (‚Hocker‘) wiedergegeben und außerdem um eine erklärende Fußnote ergänzt.


Abb. 2b: Zentrales Handlungsmuster und höflichkeitsspezifische Zusatzhandlungen

Es gibt hier also Zusatzhandlungen, die verschiedenen Ebenen zuzuordnen sind (Abb. 2b): Mit der Verwendung des Berlinismus wird z.B. auf der Ebene der Selbstdarstellung eine regionale und soziale Markierung vorgenommen. Darüber hinaus zeigt die Art der Diktion bezüglich der Beziehungsgestaltung ein Bemühen um kommunikative Nähe, wobei der deutsche Ausgangstext dies stärker betont als die französische Übersetzung; letzteres gilt ebenso für die Ebene der Kommunikationsmodalität, wo die etablierte vertraute Informalität in der deutschen Fassung wiederum deutlicher ausfällt. Hinsichtlich der ablaufregulierenden Funktion, der Textorganisation, kann man die zitierte Äußerung als Eröffnung, als Anbahnung eines längeren vertrauten Gesprächs betrachten.

Wie oben skizziert, ist die Art der Herstellung von Informalität und von kommunikativer Nähe sowie insgesamt die Modulierung der direktiven sprachlichen Handlung durch Zusatzhandlungen an dieser Stelle kennzeichnend für die Imagearbeit und für die Signalisierung höflicher Kommunikationsgestaltung. Und in der Hinsicht ergeben sich bei der Übertragung in eine andere Sprache mehr oder weniger zwangsläufig oft Divergenzen (vgl. in Abb. 2b die schattierten Felder, für die in der Übersetzung Reduktionen auftreten). Diese Beobachtung sei im Folgenden anhand weiterer Beispiele präzisiert.

Sprachliche Höflichkeit

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