Читать книгу Sprachliche Höflichkeit - Группа авторов - Страница 15
3. Beziehungsgestaltung in der Übersetzung
ОглавлениеIn seinem Roman Frau Jenny Treibel führt Fontane eine ganze Reihe von Kommnunikationssituationen vor, in denen die Aushandlung von Positionen und Beziehungen im Mittelpunkt steht. Es ist geradezu eine Konsequenz der Figuren-Konstellation, wenn hier Vertreter unterschiedlicher Milieus und Stände ihr Selbstbild und ihre Erwartungen bezüglich gesellschaftlicher Wertschätzung zur Schau stellen und versuchen, Abgrenzungen und Imageansprüche in der Auseinandersetzung mit Gegenspielern geltend zu machen und durchzusetzen. Gegensätze zwischen Adel und Emporkömmlingen, zwischen Besitz- und Bildungsbürgertum, zwischen Herrschafts- und Dienerfiguren bilden daher einen omnipräsenten Hintergrund für den häufig kontrovers und asymmetrisch gestalteten Dialog zwischen diesen Welten.
Ein anschauliches Beispiel bietet in Frau Jenny Treibel die Verlobungs-Kontroverse, an der mehrere Protagonisten mit ihrer speziellen Vorstellung von gesellschaftlich angemessenem Redeverhalten beteiligt sind: zuallererst die Kommerzienrätin Jenny Treibel, dann der Gymnasialprofessor Schmidt, seine selbstsichere Tochter Corinna und schließlich auch die Haushälterin Schmolke. Ein erster Beleg ergibt sich bereits aus dem Gebrauch der nominalen Anredeformen (und ihrer Übersetzungen, s. Abb. 3):
Abb. 3: Nominale Anrede und Sprecherbeziehung
Im Wissen um den Geltungsdrang der aus recht bescheidenen Verhältnissen stammenden Jenny Treibel werden im Hause Schmidt durchweg ehrerbietige und statusorientierte Anredeformen verwendet: Die Hausangestellte benutzt den Titel Frau Kommerzienrätin (XIII, 174), den Jenny dank der Position ihres Mannes für sich Anspruch nimmt, und Schmidt wie auch seine Tochter wählen die formelle und aufwertende Form meine gnädigste Frau (XIII, 175ff.), das vor allem, so lange es um eine ernste Auseinandersetzung geht. In vertrauterer Situation, z.B. bei der Begrüßung oder Verabschiedung, kann es auch liebe Freundin oder mein lieber Freund heißen. Die französischen Entsprechungen bestätigen zwar das Bemühen um Distanzwahrung, allerdings nur in einem abgemilderten Maße: Die Formel chère Madame ist weniger formell als meine gnädigste Frau, und die Bezeichnung Conseillère de commerce hat im Französischen überhaupt keine Bedeutung, wie ihm der preußische Ehrentitel Kommerzienrat in der Wilhelmischen Zeit zukommt. Dies ist indes kein Versäumnis des Übersetzers, sondern den unterschiedlichen politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet; der Leser kann die Art der Beziehungsgestaltung zwischen den betreffenden Protagonisten somit nur über den weiteren Austausch im Dialog erschließen.
Die Formulierung von Vorwürfen und der Ausdruck von Meinungsverschiedenheit bergen leicht die Gefahr von Verletzungen des positiven Gesichts. Auch hierzu liefert die sog. Verlobungs-Kontroverse reichlich Beispielmaterial.
1 (a) [Jenny Treibel:] „[…] und so muß ich denn, zu meinem lebhaften Bedauern, von etwas Abgekartetem oder einer gestellten Falle, ja, Verzeihung, lieber Freund, von einem wohlüberlegten Überfall sprechen.“(b) Dies starke Wort gab dem alten Schmidt nicht nur seine Seelenruhe, sondern auch seine gewöhnliche Heiterkeit wieder. Er sah, daß er sich in seiner alten Freundin nicht getäuscht hatte, daß sie, völlig unverändert, die, trotz Lyrik und Hochgefühle, ganz ausschließlich auf Äußerlichkeiten gestellte Jenny Bürstenbinder von ehedem war und daß seinerseits, unter selbstverständlicher Wahrung artigster Formen und anscheinend vollen Entgegenkommens, ein Ton superioren Übermutes angeschlagen […] werden müsse. […](c) [Schmidt:] „Ein Überfall, meine gädigste Frau. Sie haben vielleicht nicht ganz unrecht, es so zu nennen.(d) […] Erlauben Sie mir, gnädigste Frau, daß ich den derzeitigen Junker generis feminini herbeirufe, damit er seiner Schuld geständig werde.“ (Frau Jenny Treibel XIII, 175)
Jenny Treibel macht Prof. Schmidt ihre Aufwartung, um gegen die heimliche Verlobung seiner Tochter Corinna und ihres Sohnes Leopold zu protestieren (2a). Ihre Vorwürfe sind durchaus schwerwiegender Natur, ungeachtet der formelhaften Abschwächungsversuche (zu meinem lebhaften Bedauern; ja, Verzeihung, lieber Freund), sie lassen sich in Form einer dreischrittigen Klimax mit folgenden negativwertenden Bezeichnungen wiedergeben: etwas Abgekartetes → gestellte Falle → wohlüberlegter Überfall. Die genannten Ausdrücke stellen für den Adressaten, den alten Schmidt, ohne Zweifel einen massiven Angriff auf das positive Gesicht dar und würden normalerweise eine deutliche Zurückweisung als Gegenreaktion provozieren. Dieser Erwartung entspricht der Text jedoch nicht, im Gegenteil: Der so Angegriffene reagiert gelassen und, in Rückbesinnung auf die Herkunft Jennys, aus einer Position der Überlegenheit heraus und in einem „Ton superioren Übermuts“ (2b). Dieser Haltung folgend, kommt Schmidt seiner Kontrahentin zunächst entgegen und zeigt, zumindest nach außen hin, sogar Verständnis bezüglich der Vorwürfe (2c). Für den Leser ist aufgrund des Erzählerkommentars jedoch klar: Der Sprecher versucht, auf humorvolle und unernste Weise zu antworten und so zur Entspannung der Situation beizutragen. Dies gilt auch für den abschließenden Vorschlag (2d).
Abb. 4: Vorwurf, Beschwichtigung, Gesichtsbedrohung
Mit Periphrasen wie seiner Schuld geständig werden und Junker generis feminini signalisiert Schmidt, nicht in erster Linie und nicht allein auf eine Klärung in der Sache aus zu sein. Für ihn kommt es vor allem darauf an, sich als überlegen, gebildet und über den Dingen stehend zu zeigen; in diesem Sinne ist auch seine gekünstelte Ausdrucksweise mit dem Rückgriff auf das Lateinische zu verstehen: Jenny Treibel soll gleichsam bereits sprachlich in die Schranken gewiesen werden. Der Professor Schmidt führt (neben den genannten Momenten der Selbstdarstellung und Beziehungsgestaltung) außerdem eine spöttisch-distanzierte Kommunikationsmodalität ein, die die gesamte Auseinandersetzung entkrampfen und den Beteiligten ein Abrücken von ihren kontroversen Standpunkten ohne größeren Gesichtsverlust erleichtern soll. Dieses Bemühen kommt in den Formulierungen der französischen Version nur sehr eingeschränkt zur Geltung (Abb. 4): Da die periphrastischen Wendungen aus (2d) in dieser Form nicht wiedergebbar sind – confesser sa faute ist ein unmarkierter standardsprachlicher Ausdruck, und chevalier moderne du sexe féminin dürfte eher als umständliche Konstruktion gelten, weniger als originelle oder gebildet klingende Bezeichnung – kommen auch Zusatzhandlungen, wie sie der ausgangssprachlichen Äußerung zuschreibbar sind, nicht weiter in Betracht.
Ein häufig thematisiertes Motiv bei Fontane ist die Frage des gesellschaftlichen Aufstiegs. So gilt zum Beispiel Jenny Treibel als typische Vertreterin der Parvenüs und Emporkömmlinge: Ihre Position verdankt sie ausschließlich dem wirtschaftlichen Erfolg ihres Mannes, leitende Ziele für sie sind: materielle Vorteile und die damit verknüpfte soziale Anerkennung. Die Verlobung ihres Sohnes versucht sie nur deshalb zu hintertreiben, weil keine nennenswerte Mitgift zu erwarten ist. Aus Leserperspektive überrascht insofern nicht, wenn ein solches Verhalten verstärkt zum Ausgangspunkt für Kritik und Spott wird. Hieran ändern auch gesichtsschonende, höflichkeitsorientierte Maßnahmen Schmidts wenig, zumal das Geschehen auf der Figuren-Ebene für den Text-Rezipienten mehr als durchsichtig erscheint. Wie schon in (2) wird dies ebenfalls im folgenden Auszug (3) überdeutlich:
1 (a) [Jenny Treibel:] „[…] Impietät ist der Charakter unsrer Zeit.“(b) Schmidt, ein Schelm, gefiel sich darin, bei dem Wort „Impietät“ ein betrübtes Gesicht aufzusetzen. „Ach, liebe Freundin“, sagte er, „Sie mögen wohl recht haben, aber nun ist zu spät. Ich bedaure, daß es unserm Hause vorbehalten war, Ihnen einen Kummer wie diesen, um nicht zu sagen eine Kränkung anzutun. Freilich, wie Sie schon sehr richtig bemerkt haben, die Zeit… alles will über sich hinaus und strebt höheren Staffeln zu, die die Vorsehung sichtbarlich nicht wollte.“(c) Jenny nickte. „Gott beßre es.“(d) „Lassen Sie uns das hoffen.“(e) Und damit trennten sie sich. (Frau Jenny Treibel XIII, 180)
Während sich Jenny Treibel wegen des selbstsicheren Auftritts von Corinna, der Tochter Schmidts, beklagt und dies u.a. mit dem gemeinplatzartigen Impietät ist der Charakter unsrer Zeit zum Ausdruck bringt (3a), geht Schmidt in seiner Replik (3b) scheinbar auf die Vorwürfe ein, zeigt vordergründig Verständnis für die Einwände, bekundet sein Bedauern und spricht sogar von Kummer und Kränkung. Gewissermaßen im Schutz eines solchen Reparaturversuchs folgt sodann mit „alles will über sich hinaus und strebt höheren Staffeln zu“ eine Formulierung, die man als zweifachadressiert betrachten kann: Aus der Sicht Jennys handelt es sich um eine Verallgemeinerung, die die Entschuldigungs-Sequenz fortführt und mit einer Erklärung abschließt – zumindest die Quittierung in (3c) bestätigt ein solches Verständnis. Andererseits, und für den Leser dürfte das aufgrund verschiedener Erzählerkommentare naheliegend sein, ist die Äußerung als massive Kritik Jennys interpretierbar, und zwar wegen ihres geradezu obsessiven Aufstiegsstrebens. Die vermeintliche Rücknahme einer gesichtsbedrohenden Handlungsweise entpuppt sich damit als eine gezielte und ungeschminkte Imageverletzung, wobei jedoch die betroffene Person weit davon entfernt ist, die ihr zugedachte Demontage als solche überhaupt wahrzunehmen. Für den Rezipienten mag sich aus einer derart vorgeführten Unhöflichkeit, verbunden mit der Diskrepanz im Äußerungsverstehen, eine zusätzliche Quelle für Lesevergnügen und Selbstbestätigung ergeben1 – das umso mehr, als vergleichbare Situationen vom Romanautor ja keineswegs zufällig angebahnt werden.
Betrachtet man nun, wie bestimmte Formulierungen ins Französische übersetzt werden, ergibt sich wiederum der Eindruck einer gewissen Bedeutungsreduktion (Abb. 5).
Abb. 5: Aufstiegsmetaphorik und Bedeutungsreduktion
Jenny Treibel orientiert sich an einer vertikalen Schichtung der Gesellschaft; ihr großes Ziel ist es, möglichst schnell die nächsthöhere Stufe zu erreichen. Insofern erscheint die Wortwahl, wenn es um die Charakterisierung ihres Verhaltens geht, überaus konsequent:
– höher hinaufrücken (XII, 156f.) | → ne pas aller plus loin (518) |
– höher hinaufschrauben (XII, 163) | → viser un peu plus haut (522) |
– über sich hinaus wollen (XII, 180) | → vouloir sortir de sa classe (535) |
– höheren Staffeln zustreben (XII, 180) | → aspirer à un état plus élevé (535) |
Den teilweise phraseologischen Ausdrücken des Ausgangstextes kommt durchweg das Merkmal ‛nach oben gerichtet’ zu; die französischen Entsprechungen geben das nur zum Teil wieder, ein Phänomen, das auch in (3b) die Bedeutungsreduktion (und damit die geringere Markiertheit der Imageverletzung) ausmacht.
Zu den problematischen Fällen gehören für den Übersetzer ebenfalls fremdsprachige Elemente, z.B. einzelne Ausdrücke, Redewendungen, geflügelte Worte, Zitate. Wie soll der jeweilige Codeswitching-Effekt übertragen werden? Hierzu sei abschließend noch folgender Beleg aus Irrungen, Wirrungen angeführt:
1 (a) [Serge:] „[…] Aber Scherz beiseite, Freund, eines ist Ernst in der Sache: Rienäcker ärgert mich. Was hat er gegen die reizende kleine Frau. Weißt du’s?“(b) [Pitt:] „Ja.“(c) [Serge:] „Nun?“(d) [Pitt:] „She is rather a little silly. Oder wenn du’s deutsch hören willst: sie dalbert ein bißchen. Jedenfalls ihm zuviel.“ (Irrungen, Wirrungen XVIII, 131f.)
In dem zitierten Auschnitt geht es um eine Einschätzung der neuen Lebensgefährtin Botho von Rienäckers: Während Serge eine positive Meinung vertritt, äußert Pitt ein eher skeptisches Urteil, wie es in der despektierlichen Äußerung (4d) zum Ausdruck kommt. Mit dieser eindeutig negativen Bewertung setzt letzterer auch sein eigenes Image aufs Spiel, trotz der zunächst abmildernden englischen Formulierung. Indem er jedoch anschließend seine Einschätzung bekräftigt („wenn du’s deutsch hören willst…“), wird schließlich jeder Zweifel beseitigt, eine Eindeutigkeit, die in dieser Form in der Übersetzung nicht besteht (s. Abb. 6):
Abb. 6: Selbstdarstellung und Imagegefährdung
Es erstaunt, die Formulierung „wenn du’s deutsch hören willst“ (im Sinne von: ‛um es ganz deutlich zu sagen’) wörtlich übertragen und mit der französischen Aussage „elle bêtifie un peu“ kombiniert zu finden; hier dürfte eine Fehlinterpretation des Übersetzers vorliegen, was dann auch das Imagegefährdende der betreffenden Äußerung fraglich macht. Dagegen ist die Wiedergabe des Regionalismus dalbern (‛sich albern, kindisch verhalten’) nur begrenzt möglich, bêtifier entspricht allerdings dem semantischen Kern.