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Über Höflichkeit
ОглавлениеHans Jürgen Heringer
Generally we speak about politeness as an activity that needs some kind of special effort. In the use of language and in communication that means that one has to do something more than required by the default case and the communication maxims. One word more, something stilistically elevated, a difficult or more complex form (e.g. subjunctive) an indirect speech act.
For a strucutralist linguist it is also possible to ask: from what do polite speakers distinguish with their polite expressions? In terms of Saussure: To what are polite expressions in opposition? What do they live upon?
Here we arrive immediately on the dark side of politeness. I don’t dare to pass there. Why not? (see my App „Wildes Deutsch“).
Wer sich mit Höflichkeit befasst, von dem wird vielleicht zu Anfang eine Antwort auf die Frage erwartet: Was ist Höflichkeit?
Dieser Art Fragen sind nun allerdings in mehrerlei Sinn naiv: Höflichkeit ist nicht irgendein vorgegebener Gegenstand, den man nach aristotelischem Muster definieren könnte. Schon bei der Frage nach dem genus proximum zeigt sich eine Vielfalt – und eine Tendenz.
Duden Universalwörterbuch
höflich
in seinem Verhalten anderen Menschen gegenüber aufmerksam u. rücksichtsvoll, so, wie es die Umgangsformen gebieten
PONS Schulwörterbuch
höflich
den Regeln des Anstands entsprechend
ein höflicher Mensch
höfliches Verhalten
jemanden höflich grüßen/ um etwas höflich bitten
Höflichkeit (Meibauer 2008, 197)
Ausdruck sozialer Distanz oder Nähe mithilfe sprachlicher (Duzen/ Siezen) oder nicht-sprachlicher Mittel.
Wikipedia meint doch wirklich: „Die Höflichkeit […] ist eine Tugend …“. Da wird dann auch noch eine bemerkenswerte Gleichsetzung eingeführt. In meiner Auslassungsklammer heißt es nämlich: „oder Zivilisiertheit“. Wie man wohl darauf kommt? Introspektion eines Individuums. Und wohin Sie das Stichwort „Tugend“ führt, können Sie leicht erproben. Wollte man in dieser Weise verfahren, wäre doch ein genus wie „ein Verhaltensmuster“ schon etwas besser.
Aber mit empirischer Wissenschaft hat das wenig zu tun. Auch viele (die meisten?) Linguisten gehen nicht gerade empirisch vor. Üblich ist es, Höflichkeit anzuhängen an ein in der Linguistik etabliertes Konstrukt. Ich denke da etwa an den üblichen Anschluss an Goffmans face-Begriff, wie es auch in der Fortsetzung bei Meibauer anklingt, wo es dann um gesichtsbedrohende oder gesichtsbewahrende Akte geht. Vom face-Konstrukt leben die meisten pragmatischen Arbeiten zur Höflichkeit seit Brown/ Levinson 1978.
Wir sollten uns davor hüten, wie in vielen Untersuchungen, den Untersuchungsbereich noch weiter auszudehnen. So wuchert auch die Unhöflichkeit hin zu Akten wie Ablehnen, Vorwerfen, Belehren. Oder Höflichkeit driftet in Stilregister. Kribbliger wird es dann noch, wenn kontrastiert werden soll. Wie soll verglichen werden, wie es Japanisch geht, wie Deutsch oder Italienisch? Das Gespenst des tertium comparationis erscheint.
These 1
Höflich hat (wie alle Wörter?) eine Streubedeutung.
Man könnte auch sagen: schwammig.
Sich mit Höflichkeit zu beschäftigen heißt für mich erst einmal:
Was verstehen Menschen unter Höflichkeit?
Und das heißt für Linguisten vor allem:
Wie wird das Wort höflich gebraucht?
Als Linguist
einen Begriff der Höflichkeit vorauszusetzen,
oder
einen eigenen zu schaffen,
das ist für mich nicht empirisch.
Was die Empirie betrifft, könnten wir Einiges zusammensuchen aus diesem höflich-Stern. Er ist empirisch gewonnen auf Basis des Mannheimer Korpus DeReKo und verwendet die Kookkurrenzdatenbank von Belica (http://corpora.ids-mannheim.de/ccdb/).
Um einige dieser Kookkurrenten wird es auch im Folgenden gehen.
These 2
Höflich bezieht sich auf Interaktion, auf Kommunikation.
Höflichkeit ist eine Sache des Tuns, nicht des Seins.
Ein Vokabular für höflich Kommunizieren gibt es nicht.
Die vokabularistische Betrachtungsweise ist höchstens ein Anfang.
Kommunikation beherrscht Vokabular. Auch wenn eine Mutter ihr Kerlchen „kleinen Hosenscheißer“ nennt.
Deshalb geht es weniger um das „Was ist …“? als darum:
Wie geht es?
Und zwar kommunikativ gesehen.
Als Beispiel das Höflichkeitssuperwort danke: Es „drückt Anerkennung des Anderen und seiner Leistungen aus.“ (Bonacchi 2013, 1691) Aber Kommunikation geht etwas anders.
Ich wandle des Morgens auf meinem lauschigen Uferweg, nachdenkend über Höflichkeit. Entgegen kommen mir drei schnelle Biker hoch zu Rad. Ich bleibe starr stehen. Sie brausen vorbei. Der letzte ruft mir ein freundliches „Danke“ zu.
Umdefinition der Situation: Sich bedanken für etwas, was man erzwungen hat.
Vorauseilendes Danke: Sie will mich zu etwas bringen.
Auf schmalem Treppenweg an der Küste kommt mir eine Frau mit Krücken entgegen. Zwei Meter vor mir sagt sie: „Merci.“
Ironisch oder so tun als ob?
Der kleine Knirps verliert grad seinen Euro.
Die kleine Maus dabei schnappt sich die Münze und sagt: „Danke“.
Ich halte meiner Frau – wie immer? – die Tür auf. Und bekomme ein Danke. Is was? – denke ich.
Da können Eheleute sich ihre Gedanken machen. Eine stille Gemeinheit? Tut sie so, als täte ich es aus Höflichkeit oder normal nicht? Möchte sie sich ankratzen, versöhnen nach dem Krach von gestern?
Ich bin versucht, eine Typologie für das danke zu entwickeln.
Wohin das face-Konstrukt führt, kann man schon im Meibauer-Zitätchen erkennen. Als sprechend und ernst genommen das Sie als Pronomen der Höflichkeit. Siezen aber ist unter den entsprechenden Gebrauchsbedingungen der Default und Duzen desgleichen. Mit Höflichkeit hat das bestenfalls zu tun über die dunkle Seite, weil man vielleicht als unhöflich gesehen wird, wenn man sich nicht an die übliche Verwendung hält. Aber was heißt da schon üblich? Und für wen und wann? Wie das gehändelt wird, können Sie sehen an Garfinkeling-Experimenten (Heringer 2009).
Einen Standard des höflichen Kommunizierens gibt es nicht. Das face einer Person ist nichts Objektives, jeder Person in gleicher Weise Zukommendes. Schon Goffman macht deutlich: Es ist etwas sozial Entstandenes und Gemachtes. Was Standardisierer als höflich sehen und proklamieren, gilt bestenfalls für standardisierte faces. Unter Prollis mag Höflichkeit anders ausschauen als unter Gentlemen.
Das face einer Person ist etwas Individuelles. Was des Einen face bedrohen könnte, muss für andere keine Bedrohung darstellen. Ja, sogar face fördernde Akte unterliegen keinem allgemeinen Standard (so wie Etikettebewusste sich das vielleicht vorstellen und vokabularistisch orientierte Linguisten). Es kommt auf das reziproke Wissen der Partner an und alles, was kommunikativ dazugehört.
These 3
Für mich haben die Wörter höflich und Höflichkeit etwas Fischiges. Für mich haben sie ein Gschmäckle. Sie riechen nach upperclass und Adel gar.
Schon die Etymologie zeigt, worum es ging und oft noch geht. Ähnlich die verwandten gentilhomme und etwas auch gentleman. Und es zieht sich durch die Geschichte: Es ist soziale Abgrenzung.2 Und die Höflichen sind die Tollen.
Ein anderer Punkt ist der Übersprung von höflich zu Höflichkeit. Der Übersprung von interaktivem Verhalten von Personen zu stehenden Eigenschaften der Person, gar zu irgendwas im platonischen Himmel. (Denken Sie an die Tugend!) Gilt also etwa: Einmal höflich, immer höflich? Oder darf die Höfliche sich mal einen Ausreißer gestatten?
Es gibt noch mehr Fischiges. Wer hat nicht alles versucht das Konzept „Höflichkeit“ zu läutern – bis hin zu Verbrämungen. So ist nicht unüblich:
Der Höfliche verfolgt kein Eigeninteresse. Er gibt ohne haben zu wollen.
Wer diese gängige Idee ernst nähme, der würde die Höflichkeitsvorkommen drastisch begrenzen. Und er würde den Selbstdarstellungsaspekt des Höflichen vergessen.
Ein kleiner Business-Knigge lässt die Katze alsbald unreflektiert aus dem Sack. Zuerst das Soziale:
„Mit Höflichkeit und Respekt meistern Sie heikle Situationen.
Zeigen Sie, dass Sie Ihren Partner achten“.
Dann aber:
„Wer Benimmregeln beherrscht, profitiert im Geschäftsleben“.
Und:
„Wie Sie durch richtiges Verhalten punkten“.
Da ist die Katze aus dem Sack. Natürlich wollen Höfliche was mit ihrem Verhalten. Das ist normal und ich finde es sowieso ok. Dennoch wurden große Anstrengungen (auch von Linguisten) unternommen, diesen Aspekt wegzudefinieren. Es gelingt nur nicht. Es schlummert in der Wortbedeutung.
Höflichkeit ist etwas Gutes. Hätten Sie da Zweifel? Natürlich nicht. Denn wir haben es mit einer Immunisierung zu tun: Wenn es sich herausstellt, dass höfliches Verhalten nicht gut war, war es dann noch höflich?
These 4
Höflich sein heißt etwas mehr als normal tun.
Höflichkeit verbraucht sich.
Hier kriegt man es zu tun mit Paul Watzlawicks „Mehr desselben“.
Wenn eine Handlung nicht zum gewünschten Erfolg führt, sollte man sie verstärken und wiederholen. Das führe zum gewünschten Erfolg.
In einem Stück von Roda Roda gibt es unter all den Offizieren einer Garnison nur eine Frau, eine attraktive und charmante, hinter der sie alle her sind. Sie wird komplimentiert und hofiert. Ein Offizier aber kann und schafft das nicht: Er ist unsterblich in sie verliebt, drum bleibt er stumm. Und siehe da, das macht ihn besonders und weckt ihr Interesse. Also …
Präsident Obama verbeugte sich einst tief vor dem Tenno. Wie tief? Es heißt, die Japaner hätten das gut geregelt und abgestuft. Wer sich daran hält, bleibt im Default. Aber durch amerikanische Medien ging der Vorwurf, das sei zu tief und unterwürfig gewesen. So sah es das amerikanische Publikum mit seinen Augen.
Wie also dosiert man? (Eine heilsame Grenze ziehen Parodie und Ironie.)
Höflichkeit lebt vom Besonderen. Um besonders zu sein, braucht es das Normale, den Default. Je höflicher die Leute, umso mehr wird der Standard gehoben. Also … Watzlawick lässt wieder grüßen.
Und sein Prinzip hat fatale Folgen. Es führt zur Pejorisierung höflicher Ausdrücke.
Höfliche Ausdrücke nutzen sich ab. Denken Sie an die Entwicklung von frouwe. Über Ameliorisierung ist mir im Sprachwandel kaum was bekannt.
Die Höflichen zeichnen sich aus. Sie müssen vielleicht hoffen, dass nicht allzu viele allzu höflich sind.3 Höflichkeit ist im Innersten elitär.
Und da ist noch ein anderes Problem mit den Grundmaximen:
Mach dich selbst klein!
Mach den Partner größer!
Nur wie steht es mit dem elliptischen „als“?
Als du denkst?
Als du glaubst, dass du bist?
Als du glaubst, das dein Partner glaubt, dass du bist?
Sie wissen schon, wo das hinführt. Analog die zweite Maxime:
Als der Partner ist?
Als du glaubst, dass die Partnerin ist?
Als die Partnerin glaubt, dass sie ist?
Da können wir sogar ein Paradox der Höflichkeit erkennen:
Sich groß machen, indem man sich klein macht.
Der Default genügt.
Ist man nicht schon höflich, wenn man nicht unhöflich ist? Wenn man etwa Beschimpfungen und Beleidigungen unterlässt? Was ist der Default der Höflichkeit? Sich bedanken etwa ist der Normalfall. Auffällig ist, wenn man es unterlässt.
„Ein Brot, bitte“ und „Guten Morgen“ ist Default. Sogar sich bedanken für etwas, das man bezahlt hat, ist Default. Insofern ist vielleicht nicht angebracht, so etwas unter Höflichkeit zu behandeln (Kerbrat-Orecchioni 2005).
In der Moralphilosophie gibt es eine alte Tradition: Das Maß der Mitte. Für das gute Leben ist es das richtige Maß und der richtige Weg. Nicht so viel nach unten und nicht so viel nach oben.
Der sprachliche Kontrast von höflich und unhöflich lässt ein weites, weißes Feld dazwischen.
Dies zeigt die Grafik.4 Sie zeigt den Default.
Der Default ist das Glatte, das Normale. Der Default ist natürlich kein allgemeiner, genereller Standard. Er wird als im reziproken Wissen unterstellt. Und das mag bekanntlich auch nicht wohlkoordiniert sein.
Ich halte mich an die Grundmaxime (Höflichkeit eingeschlossen):
Sag, was zu sagen ist. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich möchte gern
glatt
empathisch
nett
kommunizieren.
Und ich möchte alle kommunikativen Möglichkeiten nutzen, die ich nutzen will und nutzen kann. Denn wozu haben wir denn diese Mittel?
Noch ein Wort zu höflichem Handeln und felicity conditions:
Einer hilft einer Frau in den Mantel und kugelt ihr dabei den Arm aus – ohne Absicht natürlich.
War er höflich?
Sollen Schussel höflich sein? Zumindest es versuchen?
Und ein allerletztes: Bitte klatschen Sie nicht höflich, sondern von Herzen.