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Die quartäre Entwicklung der Oberrheinischen Tiefebene

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Wie betont setzt sich die Absenkung im Graben im Quartär unvermindert, teilweise sogar besonders schnell fort. Liegen die ältesten oben angesprochenen marinen tertiären Gesteine 2 km östlich Worms schon in über 2600 m Tiefe, so wurde während der letzten Million Jahre die gesamte Scholle nochmals um 200 bis 400 m tiefer gelegt. Das entspricht einer mittleren Absenkung von 0,4 mm/a, eine Größenordnung, die auch für die heutige Aktivität Gültigkeit hat, denn Nivellements zwischen 1938 und 1967 ergaben im Bereich Worms Höhendifferenzen von 15 mm. So minimal diese Beträge erscheinen, summieren sie sich doch zum Beispiel seit dem Neolithikum, der Sesshaftwerdung des Menschen, auf 2 bis 3 m. Diese Unruhe in der Erdkruste äußert sich in einer Unzahl ständig auftretender Erdbeben, die meist allerdings so schwach sind, dass sie nur instrumentell registriert werden. Aber auch stärkere Beben und sogar Schadbeben sind aus dem Oberrheingraben bekannt (Mainz 1.1.858, Basel 1356). Die Tabelle 1 zeigt eine kleine Zusammenstellung von überlieferten Ereignissen der letzten 1200 Jahre im Wormser Raum.


Tab. 1: Auswahl gemeldeter Erdbeben seit 800 n. Chr.

Dass diese Senkungsbewegung ein für die Gestaltung der Tiefebene steuernder Faktor ist, ist nicht so leicht nachzuvollziehen, denn östlich von Worms liegt keine 200 bis 400 m tiefe und 30 km breite Einsenkung. Der Grund: Der Rhein kompensiert durch die Jahrhunderttausende diese Tieferlegung durch Ablagerung der Sande und Gerölle, die ihm aus den Randlandschaften und seit 700.000 Jahren auch aus dem Alpenraum zugeführt werden. Dabei ist festzustellen, dass die Sedimentfracht zu verschiedenen Zeiträumen sehr starken Wechseln unterlegen war. Denn das Quartär ist eine Zeit bedeutsamer Klimaschwankungen, die um ein Vielfaches größer waren als die gegenwärtig diskutierten. Mehrmals, zusammengefasst mindestens in sechs Zyklen, sanken die Jahresmitteltemperaturen um 8 bis 10 °C unter die heutigen. In diesen kalten Phasen wurden dem Fluss große Mengen Abtragungsmaterial zugeführt, gleichzeitig aber die Transportkraft des Fließgewässers wegen vielmonatiger Vereisung drastisch herabgesetzt. Mächtige Schotterpakete wurden dadurch im Oberrheingraben übereinander gehäuft, wobei die letzte Ablagerungsphase, die etwa die heutige Oberfläche nachzeichnet, seit etwa 15.000 Jahren immer schwächer wurde und vor etwa 12.000 Jahren ausklang. Im geomorphologischen Sprachgebrauch wird dieses Niveau als Niederterrasse bezeichnet. Seitdem herrscht in Wellen fortschreitende Erwärmung, sodass es vor ca. 6000 Jahren sogar deutlich wärmer war als heute. Damit änderte sich auch das Fließverhalten des Rheins. Überschwemmte er in den Sommern der Kaltzeiten die Ebene auf einer Breite von 15 bis 20 km, so schnitt er sich seitdem leicht ein und verringerte entsprechend dem jetzt fast ganzjährigen Abfluss sein Bett zu Normalwasserzeit auf wenige 100 m und auch bei Hochwasser stand nur noch ein schmaler Streifen der Ebene unter Wasser. Diese Situation galt bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts: Wegen des geringen Gefälles durchzieht der Fluss in weiten Mäandern die Ebene, dabei immer wieder seine zentrale Fließlinie verlagernd und damit Altwasserbögen zurücklassend. Die Verlagerung des zentralen Fließbereichs erfolgt dabei in Zeiten besonders starken Hochwassers. Dann führt der Fluss extrem große Mengen an Sanden und Schottern mit sich, die er bei Niedrigwasser wieder ablagert und mit denen er sich dann von Zeit zu Zeit auch seinen Lauf selbst verbaut. Die Abflussmenge zwischen Hoch- und Niedrigwasser schwankt seit einigen tausend Jahren im Mittel bei Worms zwischen 500 und 4000 m3/sec. Extremereignisse, die dann eine Flussverlagerung besonders fördern, wurden zum Beispiel 1824 (5000 m3/sec.), 1882/83 (5500 m3/sec.), 1955 (5300 m3/sec.) und 1988 (5350 m3/sec.) registriert. Mindestens zwölf solcher Mäandergenerationen sind im Großbereich Worms nachweisbar. Diese ständige Stromverlagerung ist für den bei der einführenden Landschaftsbeschreibung festgestellten Abwechslungsreichtum verantwortlich. Besonders die noch offenen, aber auch die schon verlandeten ehemaligen Flussabschnitte spielen heute im Natur- und Landschaftsschutz eine bedeutsame Rolle. Noch vor knapp 200 Jahren wurden aber genau diese Bereiche als sehr nachteilig angesehen, waren sie doch in Hochwasserzeiten eine ständige Bedrohung für Mensch und Vieh und bei Niedrigwasser eine Quelle von Seuchen, vor allem von Sumpffiebererkrankungen. So begann der Bauingenieur Tulla (Gründer der TU Karlsruhe) Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Rheinbegradigung. Mäanderbögen wurden durchstochen, damit sich die Lauflänge verkürzt und das Gefälle und die Fließgeschwindigkeit erhöht. Die Folgen sind Einschneidung des Flusses um ca. fünf m und Absenkung des Grundwassers um 5 bis 7 m. Damit waren die Fiebergebiete trockengelegt und reichlich leicht beackerbares Neuland gewonnen, in Zeiten eines starken Bevölkerungsdrucks ein äußerst willkommener Effekt. Unmittelbar bei Worms wurde erst 1879 zwischen Stromkilometer 438 und 440 der Rhein begradigt und damit der Lampertheimer Altrhein geschaffen.

Heute sieht man diese Tulla’sche Landschaftsumgestaltung sehr viel kritischer. Denn durch den schnelleren Durchlauf der Wassermassen sind die Hochwasserscheitel gestiegen und damit wieder zu einer Bedrohung geworden, weil gleichzeitig die den Abfluss bremsenden natürlichen Retentionsräume durch Dämme vom Fluss abgetrennt wurden. Und so werden diese von der Natur vorgegebenen jährlichen Abflussschwankungen paradoxerweise zu Naturkatastrophen, weil der Mensch gegen jede Logik auch Wohn- und Industrieanlagen in den Überschwemmungsgebieten errichtet hat und immer weiter errichtet.

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