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Harmodios und Aristogeiton, die Tyrannenmörder von 514 v. Chr.

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Harmodios und Aristogeiton haben im Jahr 514 v. Chr. in Athen den Tyrannen Hipparch ermordet. Von der Antike bis in die Neuzeit hat man mit ihren Namen Tyrannensturz, Befreiung, Freundschaft und Rechtsgleichheit der Bürger verbunden. Alle diese Vorstellungen finden wir bei Friedrich Hölderlin. In seiner 1790, im Jahr nach der Französischen Revolution, verfassten »Geschichte der schönen Künste unter den Griechen« sind es Harmodios und Aristogeiton, die Athen befreit und damit den Aufschwung zur klassischen Kunst ermöglicht haben.1 Im »Hyperion« erinnert Hölderlin an die Tyrannenmörder als an die Heroen der Freundschaft:

Da Harmodius und Aristogiton lebten, rief endlich einer, da war noch Freundschaft in der Welt. Das freute mich zu sehr, als daß ich hätte schweigen mögen. Man sollte dir eine Krone flechten um dieses Wortes willen! rief ich ihm zu; hast du denn … ein Gleichnis für die Freundschaft des Aristogiton und Harmodius? Verzeih mir! Aber beim Aether! man muß Aristogiton sein, um nachzufühlen, wie Aristogiton liebte, und die Blitze durfte wohl der Mann nicht fürchten, der geliebt sein wollte mit Harmodius Liebe …

Und ursprünglich wollte Hölderlin auch die folgenden Zeilen in seinen Hyperion aufnehmen:

Schmücken will ich das Schwert! mit der Myrthe Ranken!

Wie Harmodios einst und Aristogeiton,

Da sie den Tyrannen

Schlugen, da der Athener

Gleicher Rechte Genosse ward.

Liebster Harmodios, du starbest nicht!

Denn sie sagen, du seiest auf der Seel’gen Inseln,

Wo der Renner Achilleus,

Wo mit ihm Diomedes,

Tydeus trefflicher Sprosse wohnt.

Schmücken will ich das Schwert! mit der Myrthe Ranken!

Wie Harmodios einst und Aristogeiton,

Da sie bei Athenes

Opferfest den Tyrannen,

Hipparch den Tyrannen ermordeten.2

Diese Zeilen stammen ursprünglich nicht von Hölderlin. Vielmehr hat er ein griechisches Skolion, ein Trinklied, aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. übersetzt. Dieses Skolion wurde im klassischen Athen bei Symposien gesungen.3 Es war so bekannt, dass die Komödiendichter nur von »dem Harmodios« sprechen mussten, wenn sie sich für alle Zuschauer verständlich auf das Trinklied beziehen wollten.4

Die Erinnerung an die Tyrannenmörder wurde nicht nur durch das Skolion aufrechterhalten. In den Jahren nach dem Sturz der Tyrannis schuf der Bildhauer Antenor eine Statuengruppe der Tyrannenmörder.5 Nachdem dieses Standbild aber vom Perserkönig Xerxes während der Perserkriege aus Athen geraubt worden war, entstand bald nach 479 eine zweite Gruppe durch Kritios und Nesiotes.6 Die Statuen der Tyrannenmörder wurden auf der Agora aufgestellt und blieben dort für lange Zeit die einzige Darstellung von Menschen inmitten einer Vielzahl von Götterbildnissen.7

Am Grab von Harmodios und Aristogeiton spendete alljährlich einer der höchsten Beamten Athens ein Totenopfer. Das tat er außerdem für die Athener, die ihr Leben im Kampf für die Stadt verloren hatten. So standen die Tyrannenmörder im Staatskult auf einer Stufe mit den Gefallenen von Marathon und Salamis.8 Und weil man glaubte, dass durch Harmodios und Aristogeiton die Freiheit und Demokratie Athens begründet worden sei, hat man ihre Nachkommen mit Privilegien geehrt. Sie durften auf Staatskosten speisen, sie waren von Leistungen für den Staat befreit und genossen das Vorrecht der Proedria, d.h. das Recht, im Theater in einer der ersten Reihen zu sitzen.9


Römische Marmorkopie der Tyrannenmörder von 514 v. Chr. Harmodios und Aristogeiton, geschaffen von Kritias und Nesiotes bald nach 479 v. Chr., ursprünglich aufgestellt auf der Agora in Athen, heute im Archäologischen Museum Neapel (Rekonstruktion in Gips, Museo dei Gessi Rom, Foto DAI Rom). © Privat.

War aber das von Harmodios und Aristogeiton ausgeführte Attentat tatsächlich ein so bedeutsames Ereignis in der Geschichte Athens, wie es die Statuenaufstellung, der Staatskult und die Privilegierung der Nachkommenschaft vermuten lassen? Trifft historisch überhaupt zu, was im Trinklied berichtet wird? Dass Harmodios und Aristogeiton durch ihr Attentat nicht nur »einen Tyrannen mit Namen Hipparch« ermordet, sondern dadurch auch die Athener zu Bürgern gleichen Rechtes gemacht hätten? Schon die antiken Historiker Herodot und Thukydides haben gegen diese Überlieferung Einspruch erhoben.

Herodot stellte fest, dass durch den Anschlag zwar Hipparch ermordet, dadurch die Tyrannis aber keineswegs beseitigt worden sei. Im Gegenteil sei der überlebende Bruder des Hipparch, Hippias, nun zu einer rücksichtslosen Gewaltherrschaft übergegangen und erst Jahre später entmachtet worden.10 Und Thukydides fügte hinzu, dass Harmodios und Aristogeiton ursprünglich gar nicht geplant hätten, die Tyrannis zu stürzen, sondern gegen Hipparch wegen einer »Liebesgeschichte«, einer ἐϱοτική ξυντυχία, vorgegangen seien. Zur Begründung führt Thukydides an, dass das Attentat nicht gegen den herrschenden Tyrannen Hippias, sondern gegen seinen jüngeren Bruder Hipparch ausgeführt wurde.11

Somit gab es im Athen des 5. Jahrhunderts zwei unterschiedliche Überlieferungen zu Harmodios und Aristogeiton. Die legendäre Überlieferung machte aus den Tyrannenmördern die Befreier der Stadt. Daneben hielten Herodot und Thukydides eine andere Überlieferung fest. Ihr zufolge hatten die Attentäter aus persönlichen Gründen gehandelt und den Sturz der Tyrannis nicht bewirkt.

Im Folgenden soll nun zunächst erläutert werden, wie die Tyrannis in Athen aus dem Machtkampf der Aristokraten hervorgegangen ist. In diesem Zusammenhang wird gezeigt werden, dass die Herrschaftsform der Tyrannis in der archaischen Zeit Griechenlands moralisch noch keineswegs so disqualifiziert war, wie es für uns heute selbstverständlich ist. Außerdem soll deutlich gemacht werden, dass die Tyrannis des Peisistratos den Machtkampf der Aristokraten beendete und so die Entwicklung Athens zur Staatlichkeit gefördert hat (I.). Erst vor dem Hintergrund dieser Entwicklung zur Staatlichkeit soll dann das Attentat selbst (II.) und seine Nachwirkung (III.) dargestellt und erklärt werden, warum der aus persönlichen Gründen erfolgte Anschlag zu einer politischen Tat umgedeutet wurde und als Staatslegende Bestand hatte gegenüber den Einwänden, die Herodot und Thukydides formulierten.

Das Attentat in der Geschichte

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