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Vorwort zur Neuauflage

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Im Wintersemester 1995/96 fand an der Freien Universität Berlin eine Ringvorlesung zum Thema »Das Attentat in der Geschichte« statt, getragen vom Friedrich-Meinecke-Institut und der Historischen Gesellschaft zu Berlin. Die Auswahl der Themen ergab sich aus den verfügbaren Rednern. So erklärt sich die Absenz ostasiatischer Fälle, von denen aus Japan Hamaguchi (1931) und Inukai (1932) eine Behandlung verdient hätten. Bei der Planung im Sommer 1995 wurde angeregt, wir sollten den letzten Abend thematisch freihalten für einen bis dahin noch zu erwartenden Anschlag. Die Ermordung Rabins hat uns das traurig in Erinnerung gerufen. Ekkehard Krippendorff hat Rabin in seine Ausführungen über Lincoln einbezogen. Eine entsprechende Überlegung 2018 wäre möglicherweise anders motiviert. Wer wünschte sich heute nicht den einen oder anderen politischen Mord angesichts der das Geschick von Millionen bestimmenden starken Männer in der Weltpolitik?

Unsere Ringvorlesung wandte sich bewusst ab von der lange dominierenden strukturanalytischen und systemtheoretischen Frageweise zugunsten einer Rückkehr zum geschichtlichen Ereignis, zur historischen Erzählung. Schon die drei Vortragsreihen »Deutschlands Grenzen in der Geschichte« (C.H.Beck 1990, 3. Aufl. 1993), »Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte« (C.H.Beck 1990 und 1996) und »Mit Fremden leben« (C.H.Beck 1995) und »Das Ende der Weltreiche« (C.H.Beck 1997) waren gut aufgenommen worden.

Den Rednern war die Aufgabe gestellt, den Vorgang selbst, seine Vorgeschichte und seine Wirkung wiederzugeben. Jeder hat das auf seine Weise gelöst. Die Publikation übernahm damals der Böhlau-Verlag in Köln und Wien, sie erschien dann als Suhrkamp-Taschenbuch 1999 (u.ö,). Neuere Literatur findet sich bei M. Gehler/R. Ortner (Hgg.), »Von Sarajewo zum 11. September« (Innsbruck 2007).

Für die Neuausgabe konnte Literatur ergänzt, die Zusammenfassung überarbeitet werden. Aus Platzgründen mussten entfallen Kaspar Elm, Das Attentat von Anagni, 1303; Joachim Ehlers, Ludwig von Orleans und Johann von Burgund 1407/1419; sowie Olaf Mörke, Der Tod der ware vrijheid. Der Lynchmord an den Gebrüdern De Witt in Den Haag 1672.

Neu hinzu kam der Beitrag zum Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981. Es fällt etwas etwas aus dem Rahmen, weil es weder politisch bedeutsame Folgen hatte noch in einem weiteren Zusammenhang steht. Symptomatisch ist allenfalls, dass es sich bei dem Einzeltäter um einen Moslem handelte – er blieb nicht der einzige. Interessant an diesem Fall ist das breite Spektrum der Spekulationen über die Hintergründe. Isolierte Phänomene fordern ihren Ort in einem vorgegebenen Ordnungsschema. Die Publizität des Anschlags verlangte eine Schuldzuweisung an eine hochrangige Instanz. Dafür wurden gemäß den verwirrenden Angaben des Türken alle großen Spannungen der Zeit haftbar gemacht, die zwischen Muslimen und Christen, zwischen Kommunisten und Kapitalisten, zwischen Ost und West, Rechts und Links.

Das zweite hier nachgetragene Attentat, der spektakuläre Anschlag auf das World Trade Center 2001, ist ebenso ein Sonderfall, weil es nicht einer prominenten Person galt, die ein System vertritt, sondern einem System als solchem, wobei es ganz gleichgültig war, wer dabei starb. Mit dem Papstattentat gemein hat Nine Eleven die Ratlosigkeit darüber, wie so etwas möglich war. Da man den Nutznießer einer Katastrophe gern als dessen Urheber ansieht, konnte man darauf verweisen, dass unter den Islamisten Jubel herrschte (So stark sind wir!), dass den Sicherheitsorganen der Vereinigten Staaten gewaltige Summen zuflossen (Die brauchen wir!) und dass für Israel der »Weltfeind« sich unübersehbar offenbart hatte (So gefährdet sind wir!). War eine solche teuflische Tripelallianz nicht ein Thema für Rolf Hochhuth? Drei Todfeinde verbünden sich zum eigenen Nutzen auf Kosten biederer Bürger. Der Hergang ist minutiös dokumentiert, lässt aber Fragen offen, zumal hinsichtlich der sofortigen Verfügbarkeit der Beweisunterlagen. Warum bleiben bestimmte Erhebungen unter Verschluss? Nachdem Tausende von Schuldlosen in New York gestorben sind, traf der Racheakt von Präsident Bush jr. Abertausende von Unschuldigen im Irak.

Attentate sind neuralgische Punkte im politischen Geschehen, unvorhersehbare Aufbrüche innerer Gegensätze, wie sie zu allen Zeiten bestanden, zeigt doch die Geschichte unendliche Variationen der alten Themen: den immer gleichen Menschen, seine immer ähnlichen Konflikte in immer neuen Konfigurationen.

Lindheim, Sommer 2018 Alexander Demandt

Das Attentat in der Geschichte

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