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II.

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Nachdem Peisistratos im Jahr 528 in hohem Alter eines natürlichen Todes gestorben war, ging die Herrschaft auf seine Söhne über.51 Es gibt keine Anzeichen dafür, dass in diesem Moment die Tyrannis der Peisistratiden gefährdet gewesen wäre. Von nun an hielt Hippias als der Ältere die Herrschaft in seinen Händen, an der aber auch Hipparch beteiligt war.52

Zu einer Gefährdung ihrer Herrschaft kam es erst, als Hipparch, der »lebenslustige und zu Liebschaften geneigte« jüngere Tyrann,53 Harmodios kennenlernte, einen Aristokraten aus der Familie der Gephyräer. Um ihn, den Thukydides mit den Worten charakterisiert, er sei von einer »strahlenden Jugend« gewesen,54 bemühte sich Hipparch nach Kräften. Seine Anträge aber blieben erfolglos, weil Harmodios seinem Liebhaber Aristogeiton die Treue hielt. Thukydides meint, dass schon der Versuch des Hipparch, Harmodios für sich zu gewinnen, zum Sturz der Tyrannis hätte führen können. Denn Harmodios habe Aristogeiton von den Anträgen des Hipparch berichtet, und Aristogeiton, »in wildem Liebesschmerz und in Angst, daß Hipparch mit der Gewalt seiner Macht den Geliebten zwänge, macht sofort Pläne, um, bei seiner bescheidenen Stellung, die Tyrannis zu stürzen«.55

Bislang aber hatte Hipparch seine Macht noch nicht missbraucht. Mit seinem Werben um Harmodios nahm er an einem der aristokratischen Wettkämpfe teil, und Harmodios hatte offensichtlich keine Schwierigkeiten, die Anträge des Tyrannen auszuschlagen. Dann allerdings machte Hipparch einen für ihn verhängnisvollen Schritt. Da er es nicht ertragen konnte, abgewiesen worden zu sein, sann er auf Rache. So wie er zurückgewiesen worden war, so wollte Hipparch nun Harmodios eine Kränkung zufügen. Dabei wollte er jedoch seine Herrschaft und die seines Bruders nicht durch einen Machtmissbrauch gefährden. »Wie er ja«, so heißt es bei Thukydides, »überhaupt in seiner Herrschaft die Menge nicht bedrückte und Ärgernis vermied; weit mehr als andere Tyrannen pflegten Hippias und Hipparch Rechttun und Vernunft«.56

Hipparch wartete für seine Rache auf eine günstige Gelegenheit und fand sie anlässlich der Vorbereitung des Panathenäen-Festzugs.57 Als eine der jungen Frauen, die als Trägerinnen der Opfergaben an der Prozession teilnehmen sollten, wählten die Tyrannen die Schwester des Harmodios aus. Als diese aber erschien, um die ehrenvolle Aufgabe auszuführen, wurde sie mit der Bemerkung, weder sei sie jemals ausgewählt worden noch sei sie dieses Amtes würdig, von den Tyrannen wieder fortgeschickt.

Nun fühlte sich Harmodios verletzt. Die Beleidigung seiner Schwester wollte er nicht hinnehmen. Als sich die Tyrannen damit beschäftigten, den Festzug zu ordnen, führte er gemeinsam mit Aristogeiton einen Anschlag aus.58 Die Attentäter stürzten sich auf Hipparch und erstachen ihn. Sofort wurde Harmodios von den Leibwächtern des Hipparch erschlagen, während Aristogeiton zunächst fliehen konnte. Später wurde er gefasst und hingerichtet.

Im Hinblick auf Anschläge, die sich gegen Tyrannen richten, unterscheidet Aristoteles zwischen zwei Zielrichtungen der Attentäter:

Die Angriffe richten sich bald gegen Leib und Leben der Herrscher, bald gegen ihre Herrschaft. Wo sie wegen Gewalttätigkeit und Übermut erfolgen, kehren sie sich gegen ihre Person. Der Übermut hat viele Formen, und jede ruft den Zorn wach. Wo der Zorn bestimmend wirkt, verfolgt der Angriff wohl meistens die Rache, nicht den Besitz der Gewalt. So geschah der Anschlag gegen die Peisistratiden infolge der öffentlichen Beschimpfung der Schwester des Harmodius und der Beleidigung des Harmodius selbst. Harmodius wollte für seine Schwester Rache nehmen, Aristogeiton für Harmodius.59

Worin bestand aber der Übermut des Hipparch und wodurch hatte er Harmodios so schwer beleidigt, dass dieser ein Attentat durchführte, das für ihn selbst lebensgefährlich sein musste?

Enthalten war die Beleidigung offenkundig in dem Satz, mit dem die Tyrannen begründeten, warum Harmodios’ Schwester von der Teilnahme an der Prozession ausgeschlossen wurde: »sie wiesen die Schwester ab, in dem sie erklärten, sie sei zu dieser Aufgabe gar nicht gerufen worden, weil sie nicht würdig sei«, διὰ τὸ μὴ ἀξίαν εἶναι.60

Nun ist in der Forschung immer wieder diskutiert worden, was für eine Würde, die der Schwester angeblich gefehlt haben soll, gemeint gewesen sein könnte. Die folgenden zwei Deutungen sind wiederholt vorgeschlagen worden: Die Würdelosigkeit könnte in einer geringen gesellschaftlichen Stellung der Familie des Harmodios, der Gephyräer, begründet gewesen sein.61 Sie könnte sich aber auch daraus ergeben haben, dass die Gephyräer erst seit Kurzem in Athen ansässig waren, also nicht zu den Familien gehörten, die auf eine lange Verbundenheit mit Athen verweisen konnten.62 Dieser zweite Erklärungsversuch kann sich auf Herodot stützen, der berichtet, die Gephyräer seien ursprünglich Phönizier gewesen und hätten vor ihrer Übersiedlung nach Athen in Böotien gelebt.63

Diese beide Interpretationen aber können nicht überzeugen.64 Wenn die Gephyräer aus dem einen oder anderen Grund als eine Familie von geringerem Ansehen gegolten hätten, dann wäre der Ausschluss der Schwester von der Teilnahme am Festzug begründet gewesen. Hätte Hipparch aber die Gephyräer ganz unbegründet nicht der ihr eigentlich zukommenden Würde entsprechend behandelt, dann hätte er sich in aller Öffentlichkeit als ein Tyrann gezeigt, der seine Macht willkürlich anzuwenden bereit war. Genau das aber haben die Peisistratiden, Thukydides zufolge, immer zu vermeiden gesucht.65 So bleibt nur, dass Hipparch einen schwer nachprüfbaren Vorwurf ausgesprochen hat, der Harmodios deshalb so sehr verletzt haben muss, weil nicht sofort und in aller Öffentlichkeit klar wurde, dass er entweder gerechtfertigt oder aber nur ein Ausdruck tyrannischer Willkür war.

Brian Lavelle hat nun eine neue Deutung vorgeschlagen. Er verweist auf den großen gesellschaftlichen Stellenwert, den in der archaischen und klassischen Epoche Griechenlands die Tugend und Keuschheit der unverheirateten jungen Frau hatte. Und dies nicht etwa nur für ihre eigenen Heiratsaussichten, sondern auch für die Ehre und Stellung ihrer Familie. Lavelle zeigt außerdem, dass sich die Begriffe, die für das »Würdigsein« von Frauen gebraucht wurden, also z.B. das gerade zitierte ἄξιος εἶναι in der Beleidigung des Hipparch, auf den Bereich des Sexuellen beziehen.66

Σωϕϱονεῖν, besonnen, enthaltsam, keusch zu sein, das war für die Frauen des antiken Griechenlands das wichtigste Gebot. Die jungen Frauen wurden im Haus gehalten und beaufsichtigt, weil man vermutete, aufgrund eines schwachen Willens seien sie der Gefahr ausgesetzt, von ihrem sexuellen Trieb beherrscht zu werden. Aus diesem Grund wurden sie so früh wie möglich verheiratet. Ihre Heiratsaussichten hingen aber ganz entscheidend davon ab, dass ihr Ruf unbeschadet blieb. Schon der bloße Verdacht bedrohte die Ehre der jungen Frau und ihrer Familie.67

Das Gegenteil zum entehrenden Verdacht und schlechten Ruf, der Begriff der Ehrhaftigkeit, begegnet in einem Zeugnis aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., in dem die Teilnahme der jungen Frauen an den Prozessionen thematisiert wird. So wie im Thukydides-Zitat wird hier das ἀξίωμα, das gute und auf Keuschheit beruhende Ansehen der jungen Frauen, als Kriterium für ihre Teilnahme angeführt: »Es sind die angesehenen jungen Frauen«, so schreibt Philochoros, »welche die Körbe, in denen die Opfergaben liegen, zur Göttin tragen, sowohl bei den Panathenäen, als auch bei den anderen Festen«.68

Hipparch hatte es durch seine Beleidigung erreicht, Harmodios auf das Äußerste zu kränken. Ahnte er aber nicht, wie gefährlich eine solche Beleidigung für ihren Urheber werden konnte? Harmodios blieb doch, wenn er die Ehre seiner Schwester und seiner Familie wiederherstellen wollte, nur die Möglichkeit, den Beleidiger zu töten. Wenn man die Schuld nicht aufseiten der jungen Frau finden konnte, dann musste derjenige bestraft werden, der die Beleidigung ausgesprochen und die Familie der Beleidigten in der Öffentlichkeit bloßgestellt hatte, auch, wenn es sich um den Tyrannen handelte.69

Durch das Attentat auf Hipparch wurde die Tyrannis nicht gestürzt, aber die Herrschaft des Hippias war doch erschüttert. Seine innerstädtische Residenz erschien Hippias nun nicht mehr als sicher. Deshalb veranlasste er, Munichia, den im Osten des Piräus gelegenen Hügel, zu befestigen.70 Außerdem versuchte er, seine auswärtigen Beziehungen zu verbessern. Er verheiratete seine Tochter Archedike mit Hippoklos, dem Tyrannen von Lampsakos. Thukydides erklärt diese Verbindung mit den guten Beziehungen, die Hippoklos zum Perserkönig Dareios gehabt habe.71 Tatsächlich fand Hippias später, nach seiner Vertreibung aus Athen, in Lampsakos und dann bei Dareios Zuflucht.

Die Tyrannis wurde nach 514 härter. Überliefert wird, dass Hippias eine große Anzahl von Athenern habe umbringen lassen.72 Offensichtlich fand infolge des Attentats die bisherige Verständigungspolitik zwischen den Peisistratiden und den in Athen gebliebenen Aristokraten ein Ende. Auch die Alkmeoniden unter jenem Kleisthenes, der 524 das Archontat bekleidet hatte, haben Athen möglicherweise erst jetzt, nach 514, verlassen.

Die aus Athen Geflohenen versuchten von nun an, die Tyrannis gewaltsam zu stürzen. Zunächst aber zeigte sich Hippias in der Lage, seine Herrschaft zu verteidigen. Er fügte den Alkmeoniden und ihren Verbündeten eine verheerende militärische Niederlage zu, als diese Leipsydrion, eine Siedlung auf dem nördlich von Athen gelegenen Gebirgszug des Parnes, zu einer Festung auszubauen versuchten, von der aus sie gegen Athen hätten vorstoßen können.73 Erst als im Jahr 510 Sparta aufseiten der Verbannten in den Kampf um Athen eintrat, wendete sich das Blatt. Zwar konnte Hippias einen ersten Angriff der Spartaner abwehren. Ein zweiter Versuch Spartas führte dann aber zum militärischen Erfolg. Hippias zog sich auf die Akropolis zurück. Hier hätte er vielleicht nur zu warten brauchen, bis die Spartaner wieder abgezogen wären. Denn auf eine Belagerung wollten diese sich nicht einlassen. »Die Peisistratiden«, so bemerkt Herodot, »wären von den Spartanern auf keinen Fall zum Abzug gezwungen worden.«74 Als die Spartaner aber durch Zufall die Kinder der Peisistratiden in ihre Hände bekamen, begann Hippias zu verhandeln. Nachdem ihm der freie Abzug unter Mitnahme seines Eigentums zugestanden worden war, verließ er die Stadt.75 Nach über fünfzig Jahren war die Tyrannis in Athen beendet.

Der Sturz der Tyrannis führte aber sogleich zu einem Neubeginn der Stasis, die Athen so oft schon erlebt hatte. Es gab noch immer kein friedliches Verfahren, um die politische Macht unter den Aristokraten oder der ganzen Bürgerschaft Athens zu verteilen. Für die Alkmeoniden war das Eingreifen Spartas zunächst eine große Hilfe gegen die Peisistratiden gewesen. Nach dem Ende der Tyrannis aber zerbrach diese Koalition. Denn Sparta verfolgte nun sein Ziel, in Athen eine Oligarchie einzusetzen, indem es den athenischen Aristokraten Isagoras, den Gegenspieler des Kleisthenes, unterstützte.76 Auch Kleisthenes wird nicht sogleich eine demokratische Politik im Sinn gehabt haben. Auch für ihn wird es anfangs nur um die Frage gegangen sein, wie er Einfluss und Macht in der Stadt gewinnen konnte.77 Aber er muss bald erkannt haben, dass eine große Mehrheit der Athener nicht mehr bereit war, eine Tyrannis oder eine Oligarchie, die Herrschaft eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe, zu akzeptieren. Schon am Sturz der Tyrannis waren die Einwohner der Stadt beteiligt gewesen. Gemeinsam mit den Spartanern hatten sie Hippias auf der Akropolis belagert.78

Es war im Verlauf der neu ausgebrochenen Stasis, wie aus der Athenaion Politeia hervorgeht, eine Reaktion des Kleisthenes auf eine für ihn ungünstige politische Entwicklung, als er »das Volk auf seine Seite brachte und die politische Gewalt der Masse übertrug«.79 Möglich war eine solche Maßnahme des Kleisthenes aber nur, weil die Athener die Angelegenheiten in ihrer Stadt nicht mehr einigen wenigen überlassen wollten, weil sie also die Politik als ihre eigene Sache entdeckt hatten. Es ist daran zu erinnern, dass diese Entdeckung durch die Peisistratiden vorbereitet worden war; unter ihnen hatten sich die Athener an erste Formen der Staatlichkeit gewöhnt. Nach der Tyrannis konnte Kleisthenes zu einem persönlichen Machtgewinn nur noch durch Vorschläge kommen, die darauf abzielten, den absoluten Machtgewinn eines Einzelnen zu verhindern. So zeigt sich in der Beteiligung vieler Einwohner Athens am Machtkampf, dass sich nunmehr, nach den Jahrzehnten der Tyrannis, die Bürger für ihre Stadt verantwortlich fühlten, wie es ein Jahrhundert zuvor Solon gewünscht hatte. Aus der Erfahrung von Staatlichkeit unter der Tyrannis und gegen die erneuerte Stasis wurde es die Sache aller, Regeln der Machtverteilung festzulegen und so eine Verfassung zu entwickeln, die später als Demokratie bezeichnet wurde. Von nun an konnten die Aristokraten nur noch in diesem Rahmen um ihre Stellung wettkämpfen.

Auch nachdem die Spartaner aus Attika wieder abgezogen waren, fühlten sich die Athenern von außen bedroht. In Sparta bedauerte man bald, die Tyrannis gestürzt zu haben. Hippias wurde nach Sparta eingeladen und sollte erneut zum Herrscher über Athen eingesetzt werden.80 Mit diesem Plan konnte sich Sparta bei seinen Bundesgenossen allerdings nicht durchsetzen. Hippias verließ daraufhin Griechenland und gelangte nach Sardes, in das Herrschaftsgebiet des persischen Großkönigs Dareios. Dort soll Hippias Herodot zufolge »alles gegen die Athener in Bewegung gesetzt« haben. »Er verleumdete sie bei Artaphrenes«, dem Bruder des Dareios, der als Statthalter in Sardes residierte, »und tat das Möglichste, Athen in seine und des Dareios Gewalt zu bringen. Als die Athener von dem Treiben des Hippias erfuhren, schickten sie Boten nach Sardes, weil sie nicht zulassen wollten, daß die Perser den Verbannten aus Athen Glauben schenkten. Artaphrenes aber forderte sie auf, Hippias wieder in die Stadt aufzunehmen, wenn ihnen ihr Leben lieb sei.«81 Dieses Verlangen lehnten die Athener ab. Für Herodot sind die Athener gerade dieser Zumutung wegen, sich erneut Hippias zu unterwerfen, zu entschiedenen Gegnern der Perser geworden. So sei zu erklären, warum die Athener bereit waren, den Ionischen Aufstand gegen den Großkönig zu unterstützen. Dieser Aufstand bildet die Vorgeschichte zu den Perserkriegen.

Als Dareios dann 491 ein Heer zur Unterwerfung Griechenlands ausschickte, gehörte Hippias zu den Begleitern des Feldherrn Datis. Hippias war es, der die Perser zur Schlacht in die Ebene von Marathon führte.82 Und hier erinnerte aufseiten der Griechen der athenische Polemarch Miltiades seinen Kollegen Kallimachos, der am Tage der Schlacht den Befehl innehatte, an Harmodios und Aristogeiton:

Bei dir, Kallimachos, liegt jetzt die Entscheidung, ob du die Athener zu Sklaven machen oder befreien willst und dir ein Denkmal ewigen Ruhmes sicherst, den nicht einmal Harmodios und Aristogeiton besitzen. Seit Athen besteht, schwebte es nie in so großer Gefahr wie jetzt. Unterliegen die Athener den Medern, dann liegt auf der Hand, was sie unter Hippias leiden müssen. Wenn aber unsere Stadt siegt, dann kann sie die mächtigste in Griechenland werden.83

Das Attentat in der Geschichte

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