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C.Die Gesetzgebungskompetenzen für die Regelung des Versammlungsrechts I.Die konkurrierende Zuständigkeit des Bundes bis 2006

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35Das Versammlungsrecht gehörte traditionell zu den Gegenständen, auf die der Reichs- bzw. Bundesgesetzgeber Zugriff hatte. Bereits Art. 7 Nr. 6 WRV begründete für den Reichsgesetzgeber eine konkurrierende Zuständigkeit (s. Art. 12 Abs. 1 WRV) u. a. für das „Vereins- und Versammlungswesen“. Diese Formulierung wurde zunächst unverändert in die Entwürfe zum GG übernommen. Letztmalig findet sie sich in der Formulierung des Art. 36 (der dem späteren Art. 74 GG entspricht) durch den Zuständigkeitsausschuss nach seiner Sitzung v. 14.10.1948. Die Formulierung „Vereins- und Versammlungsrecht“ wurde erstmals im Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses v. 16.11.1948 verwendet. Eine inhaltliche Änderung war mit dem Wechsel vom Versammlungswesen zum Versammlungsrecht nicht verbunden und wohl auch nicht intendiert: Zumindest enthalten die Materialien zur Entstehungsgeschichte85 keine Anhaltspunkte dafür. In der demnach nur sprachlich geänderten Fassung wurde der Kompetenztitel Versammlungsrecht neben dem Vereinsrecht als Teil von Art. 74 Nr. 3 GG in die Verfassung aufgenommen. Dort galt er unverändert86 bis zur Föderalismusreform 2006.87 Der Bundesgesetzgeber durfte daher unter den Voraussetzungen der Bedürfnisklausel nach Art. 72 Abs. 2 GG a. F. bzw. – nach der Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG im Jahre 1994 –88 der Erforderlichkeitsklausel Regelungen zum Versammlungsrecht erlassen.

36Versammlungsrecht i. S. v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F. war das von den Versammlungsbehörden gehandhabte89 öffentliche Recht der Versammlungen.90 Trotz des engen thematischen Zusammenhangs zu Art. 8 Abs. 1 GG waren der Versammlungsbegriff des Kompetenzkatalogs einerseits und der des Grundrechts andererseits nicht identisch.91 Die Auslegung von Grundrechten einerseits und von Kompetenzvorschriften andererseits folgt ohnehin zumindest teilweise unterschiedlichen Regeln: Beispielsweise spielt das historische Verständnis bei Kompetenzvorschriften tendenziell eine größere Rolle als bei der Interpretation von Grundrechten.92 Im konkreten Fall kommt bzw. kam hinzu, dass Art. 74 (Abs. 1) Nr. 3 GG a. F. nur ausnahmsweise den Zugriff auf Teile des an sich in die Zuständigkeit der Landesgesetzgeber fallenden Polizei- und Sicherheitsrechts eröffnete.93 Über den Anwendungsbereich der Grundrechtsschranke in Art. 8 Abs. 2 GG reichte der Kompetenztitel schon deshalb hinaus, weil Bundesregelungen zum Versammlungsrecht neben Versammlungen unter freiem Himmel, auf die sich Art. 8 Abs. 2 GG bezieht, auch solche in geschlossenen Räumen betreffen durften.94 Im Übrigen war der Bundesgesetzgeber nicht nur für die Normierung von Grundrechtseingriffen zuständig.

37Vorschriften mit versammlungsrechtlicher Bedeutung hat der Bund mehrfach erlassen. 1953 hat er das Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) erlassen,95 das – ungeachtet mehrerer Änderungen –96 nach wie vor gilt, wenn auch nicht mehr in allen Ländern.97 1955 folgte das BannmeilenG.98 Es wurde seit 1999 in zwei Schritten durch das BefBezG99 ersetzt und zum 1.8.2000 aufgehoben.100 Das 1999 erlassene BefBezG wiederum wurde 2008 durch ein namensgleiches Gesetz abgelöst.101 In diesem seither unverändert geltenden Gesetz wurden die zuvor teils im VersG, teils im BefBezG enthaltenen Vorschriften über die befriedeten Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes zusammengeführt.102

38Auf den Kompetenztitel „Versammlungsrecht“ ließen sich diese Vorschriften nur zum Teil stützen. Gegenstand des Art. 74 (Abs. 1) Nr. 3 GG a. F. waren jedenfalls die spezifisch versammlungsbezogenen Regeln des VersG. Kompetenzgrundlage der straf- (und später der ordnungswidrigkeits-)rechtlichen103 Vorschriften war hingegen richtigerweise der Titel „Strafrecht“ in Art. 74 (Abs. 1) Nr. 1 GG. Davon geht (mittelbar) auch die Begründung zum Entwurf des aktuellen BefBezG aus, die offenbar wegen der Bußgeldvorschriften in § 4 BefBezG als Kompetenzgrundlage des Gesetzes u. a. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG anführt.104 Mit Blick auf das VersG jedenfalls kam es zunächst nicht auf die exakte Zuordnung an: Ob Regelungen des Bundes ihre Grundlage in Art. 74 (Abs. 1) Nr. 1 oder Nr. 3 GG fanden, war lediglich von theoretischem Interesse, solange der Kompetenztitel „Versammlungsrecht“ existierte. Seit seiner Aufhebung105 aber wird die Frage relevant.106

39Mit Blick auf das BannmeilenG und später auf die beiden Fassungen des BefBezG lässt sich zunächst festhalten, dass jedenfalls der Erlass des BefBezG 2008 keine Inanspruchnahme des Kompetenztitels „Versammlungsrecht“ aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG a. F. mehr darstellen konnte. Dieser Titel war bereits 2006 gestrichen worden,107 so dass er das aktuelle BefBezG nicht mehr zu tragen vermag.108 Die Entwurfsbegründung geht denn auch davon aus, dass der Bund – jenseits der Ordnungswidrigkeitenvorschrift – eine Bundeskompetenz kraft Natur der Sache besitzt.109 Wenn das richtig wäre,110 hätte konsequenterweise auch die Regelungszuständigkeit für das BannmeilenG sowie für das BefBezG 1999, soweit sie die im BefBezG 2008 normierten Fragen betrafen, in einer derartigen ungeschriebenen Bundeskompetenz liegen müssen.111 Art. 74 (Abs. 1) Nr. 3 GG a. F. hingegen wäre dann als Kompetenztitel nicht in Betracht gekommen: Eine Bundeskompetenz kraft Natur der Sache setzt voraus, dass die betreffenden Fragen begriffsnotwendig nur durch den Bund erlassen werden können. Fragen, auf die das zutreffen sollte, konnten bis 2006 nicht von Art. 74 (Abs. 1 Nr. 3) GG a. F. erfasst werden: Dieser Titel gehörte zur konkurrierenden Gesetzgebung, bei der es gem. Art. 72 Abs. 1 GG Bundes- oder Landesregelungen geben kann.112

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