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2. Der Verbotsirrtum des Ausführenden ist vermeidbar

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Sehr umstritten ist aber die Frage, wie zu entscheiden ist, wenn jemand durch Herbeiführung eines vermeidbaren Verbotsirrtums beim Ausführenden einen strafbaren Tatbestandserfolg verursacht.

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Die Vertreter eines strikten Verantwortungsprinzips (vgl. oben Rn. 4 ff.) nehmen, soweit sie diesen Ansatz durchhalten, nur eine Anstiftung an. Da der unmittelbar Ausführende trotz seines Verbotsirrtums als Täter einer vorsätzlichen Tat verantwortlich gemacht werde, könne ein Außenstehender, da es keinen Täter hinter dem Täter gebe, nur Teilnehmer sein.[59]

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Dagegen nimmt die überwiegende Ansicht – wenigstens im Regelfall – eine mittelbare Täterschaft an mit der Begründung, dass der Hintermann als einziger die Rechtslage übersehe und dadurch, dass er den Ausführenden zum Werkzeug seiner Pläne mache, die Tat beherrsche.[60]

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Der BGH hat sich mit dem Problem erstmals in dem – auf einem absurden Sachverhalt beruhenden – „Katzenkönig-Fall“ beschäftigt.[61] Hier hatten eine Frau (H) und ein Mann (P) den unmittelbar handelnden Täter (R) in den wahnhaften Aberglauben versetzt, dass ein „Katzenkönig“ Millionen von Menschen töten werde, wenn ihm nicht ein Menschenopfer in Gestalt der Frau N gebracht werde. In Wirklichkeit wollten sie Frau N aus Hass und Eifersucht umbringen. R hatte Bedenken, die ihm angesonnene Tat auszuführen, doch überzeugten sie ihn davon, dass die Tötung der Frau N „ein göttlicher Auftrag“ sei und nur auf diese Weise Millionen von Menschen gerettet werden könnten. R hielt daraufhin eine Tötung der Frau N für gerechtfertigt und versuchte, sie zu erstechen, scheiterte aber dabei.

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Der BGH hat den unmittelbar handelnden R als noch – wenngleich erheblich vermindert – zurechnungsfähig angesehen und ihm einen vermeidbaren Verbotsirrtum zugebilligt.[62] Er lehnt es ab, eine mittelbare Täterschaft von Hintermännern, die den Verbotsirrtum hervorgerufen haben, allein unter Berufung auf das Verantwortungsprinzip abzulehnen:[63] „§ 25 Abs. 1 StGB erfordert jedenfalls nicht ein derart enges Verständnis des Begriffs der mittelbaren Täterschaft, wie es aus dem Verantwortungsprinzip hergeleitet wird … Ein wertender Vergleich der Fälle des unvermeidbaren Verbotsirrtums – hier ist unbestritten mittelbare Täterschaft möglich – mit denen des vermeidbaren Verbotsirrtums zeigt, dass allein die Vermeidbarkeit des Irrtums kein taugliches Abgrenzungskriterium ist. Auch dem in einem solchen Irrtum handelnden Täter fehlt zur Tatzeit die Unrechtseinsicht. Dass er Kenntnisse hätte haben können, die er im konkreten Fall nicht hatte, braucht an der Tatherrschaft des die Erlaubtheit vorspiegelnden Hintermannes nichts zu ändern …“.

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Der BGH schließt sich damit fast wörtlich den Ausführungen an, die ich schon 1976 gemacht hatte:[64] „Der Bewusstseinszustand des Tatmittlers ist ceteris paribus bei vermeidbarem und unvermeidbarem Verbotsirrtum derselbe; infolgedessen ändert sich am Einfluss des Hintermannes (d.h. an seiner Herrschaftsausübung) nicht das geringste dadurch, dass der Ausführende Kenntnisse hätte haben können, die er actualiter nicht hatte.“

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Bei Bestimmung der mittelbaren Täterschaft in Fällen des vermeidbaren Verbotsirrtums sei, fährt der BGH fort, „auf das Kriterium der vom Täterwillen getragenen objektiven Tatherrschaft“ abzustellen. Danach sei jedenfalls derjenige mittelbarer Täter,[65] „der mit Hilfe des von ihm bewusst hervorgerufenen Irrtums das Geschehen gewollt auslöst und steuert, so dass der Irrende bei wertender Betrachtung als ein – wenn auch (noch) schuldhaft handelndes – Werkzeug anzusehen“ sei.

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So liege es im zu entscheidenden Fall, so dass H und P als mittelbare Täter anzusehen seien. Der BGH will aber keineswegs ausnahmslos bei vermeidbarem Verbotsirrtum des unmittelbar Handelnden eine mittelbare Täterschaft des die Rechtslage übersehenden Hintermannes annehmen. Vielmehr müsse das Vorliegen mittelbarer Täterschaft[66] „je nach der konkreten Fallgestaltung im Einzelfall wertend ermittelt werden …“ Die Abgrenzung hänge „von Art und Tragweite des Irrtums und der Intensität der Einwirkung des Hintermannes ab“.

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Trotz dieser Einschränkung wird man sagen können, dass der BGH den Befürwortern einer mittelbaren Täterschaft näher steht als den Vertretern eines strengen Verantwortungsprinzips. Denn für den „klassischen“ Fall, dass der Hintermann das Geschehen durch einen von ihm bewusst hervorgerufenen Verbotsirrtum steuert, ist sein Votum für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft eindeutig.

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Und damit ist der BGH im Recht. Denn die Tatherrschaft, die bei der mittelbaren Täterschaft als „Willensherrschaft“ in Erscheinung tritt, ist beim Handeln „durch einen anderen“ eine vorwiegend auf psychologischer Überlegenheit beruhende Herrschaft. Unter psychologischen Aspekten ist es aber, wenn dem unmittelbar Handelnden die Sozialwidrigkeit seines Verhaltens verschlossen bleibt, gleichgültig, ob er seinen Irrtum durch weitere Nachforschungen hätte vermeiden können oder nicht. Er ist hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung seines Tuns ein blindes Werkzeug in der Hand des Hintermannes.

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Von den Vertretern des Verantwortungsprinzips wird dem durchweg entgegengehalten, dass es ein Widerspruch sei, wenn man die Abgrenzung von mittelbarer Täterschaft und Anstiftung in den Nötigungsfällen normativ (nach dem Maßstab der Verantwortung), in den Fällen des Verbotsirrtums dagegen nach psychologischen Kriterien vornehme. Das ist aber falsch. Denn auch die Nötigungsherrschaft ist psychologischer Art, indem sie auf der Stärke des psychischen Drucks („Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit“) beruht. Nur weil ein psychischer Druck seiner Stärke nach nicht exakt messbar ist, müssen zur Grenzziehung die normativen Vorgaben des § 35 StGB verwendet werden. Der Verantwortungsgrundsatz ist also, wie Küper[67] mit Recht sagt, „im Nötigungsbereich kein normatives Begründungsprinzip der Tatbeherrschung, sondern lediglich ein sekundäres Maß- und Abgrenzungsprinzip“.

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Eine Normativierung im Grenzbereich ist aber, obwohl dies bisher kaum anerkannt wird, auch in den Fällen des Verbotsirrtums sinnvoll. Darin könnte eine gewisse Berechtigung für die vom BGH vertretene Ansicht liegen, dass ein Verbotsirrtum des unmittelbar Handelnden nicht ausnahmslos zur mittelbaren Täterschaft des die Rechtslage übersehenden Hintermannes führen müsse, sondern dass „im Einzelfall wertend ermittelt werden“ müsse, ob mittelbare Täterschaft oder nur eine Anstiftung vorliege. Zu bemängeln ist freilich, dass der BGH keine näheren Angaben darüber macht, unter welchen Voraussetzungen er eine bloße Anstiftung annehmen will.

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Nach meiner Auffassung[68] sollte man dann lediglich eine Anstiftung annehmen, wenn der Verbotsirrtum des unmittelbar Ausführenden auf Rechtsfeindschaft beruht, d.h. wenn er weiß, dass er andere in gravierender Weise schädigt. Wer seine Kinder brutal misshandelt oder seine Frau vergewaltigt und – beeinflusst durch einen Hintermann – meint, seine familiäre Stellung gestatte ihm dies, erkennt die Sozialschädlichkeit (die materielle Rechtswidrigkeit) seines Tuns und muss mit der ungemilderten Vorsatzstrafe rechnen. Er hat damit hinreichenden Anlass, von seiner Tat Abstand zu nehmen, so dass ein Hintermann, der ihm dieses Verhalten angeraten und für zulässig erklärt hat, nicht als Beherrscher des Geschehens angesehen werden kann. Entsprechendes gilt, wenn jemand andere in grob ehrverletzender Weise schmäht (§§ 185–187 StGB) oder wucherisch ausbeutet (§ 291 StGB), weil ihm ein Hintermann dazu durch die Bemerkung veranlasst hat, dies entspreche dem Recht auf freie Meinungsäußerung bzw. den Regeln der kapitalistischen Gesellschaft.

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Sachverhalte dieser Art werden relativ selten sein. Durch die Annahme einer bloßen Anstiftung in solchen Fällen könnte aber die Bemerkung des BGH, dass es auf „Art und Tragweite des Irrtums“ ankomme, einen konkreten Inhalt gewinnen.[69]

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Eine zweite Ausnahme mit dem Ergebnis einer bloßen Anstiftung wird man annehmen können, wenn ein die Rechtslage übersehender Hintermann die Handlung des sich in einem Verbotsirrtum befindenden unmittelbaren Täters zwar unterstützt, aber weder dessen Tatentschluss noch den Verbotsirrtum des Ausführenden hervorgerufen hat.[70] Hier fehlt es an einem beherrschenden Einfluss des Hintermannes, weil der Ausführende sich ohne fremde Veranlassung zur Tat entschlossen hat und auch der Irrtum auf ihn allein zurückgeht. Damit würde der Anregung des BGH Rechnung getragen, auch die „Intensität der Einwirkung des Hintermannes“ bei Bestimmung der mittelbaren Täterschaft zu berücksichtigen.

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Zu weit würde es freilich gehen, die Bestimmung zur Tat unter Ausnutzung eines schon vorhandenen Verbotsirrtums ebenfalls nur als Anstiftung zu beurteilen. Wenn jemand die Rechtsunkenntnis eines anderen benutzt, um durch ihn strafbare Handlungen zu begehen, ist er mittelbarer Täter.[71]

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Murmann[72] will bei vermeidbarem Verbotsirrtum des Ausführenden eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes nur dann annehmen, wenn „dem Hintermann zugunsten des Opfers die Pflicht obliegt, die Hervorrufung oder Ausnutzung von Irrtümern über Rechtsfragen zu unterlassen“. Das ist im Wesentlichen nur bei staatlichen Stellen der Fall. Jedoch schränkt das die mittelbare Täterschaft zu sehr ein. Auch Privatleute haben die Tatherrschaft, wenn sie die Rechtsunkenntnis anderer zur Begehung von Straftaten benutzen.

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Der BGH hat seine Rechtsprechung in späteren Entscheidungen bestätigt.[73] Verfehlt ist freilich die Annahme des BGH im zweitgenannten Urteil, dass eine mittelbare Täterschaft auch dann vorliegen könne, wenn Hintermann und Ausführender sich gleichermaßen im Verbotsirrtum befinden. Denn in einem solchen Fall fehlt dem Hintermann das überlegene Wissen, das allein ihm die Tatherrschaft verschaffen könnte. Die Entscheidung des BGH hat deshalb allgemeine Ablehnung gefunden.[74]

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