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I. Die Entwicklung der Rechtsfigur

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Es gibt im Rahmen der mittelbaren Täterschaft nur drei Formen der Tatherrschaft: Diese kann auf der ausgeschlossenen Verantwortlichkeit des unmittelbar Handelnden (oben Rn. 26 ff., 157 ff.) oder auf seiner Irrtumsbefangenheit (oben Rn. 73 ff., 164 ff.), daneben aber auch auf der Beherrschung einer tatausführenden deliktischen Organisation beruhen.

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Diese dritte Form der Tatherrschaft in Gestalt der mittelbaren Täterschaft ist von mir zuerst im Jahr 1963 entwickelt worden und zielte darauf ab, die Urheber nationalsozialistischer Gewaltverbrechen als mittelbare Täter zu erfassen. Unmittelbarer Anlass war der Prozess gegen Eichmann in Jerusalem, der den Transport von Juden in die Vernichtungslager organisiert hatte. Der Grundgedanke ist, dass die Beherrschung eines der Deliktsbegehung dienenden Machtapparates, wie sie vor allem bei diktatorisch veranlassten Systemverbrechen anzutreffen ist, die Ausführung einer angeordneten Straftat sicherstellt, ohne dass der Ausführende – anders als im Falle der Anstiftung – durch seine Weigerung die Tatbegehung verhindern kann.

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Die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft ist nach der letzten Fassung meiner Lehre an drei Voraussetzungen gebunden. Der Anordnende muss im Rahmen der Organisation eine Befehlsgewalt ausüben (1); die Organisation muss sich im Bereich ihrer strafrechtlich relevanten Tätigkeiten vom Recht gelöst haben (2); und die individuell Ausführenden müssen ersetzbar (fungibel) sein, so dass beim Ausfall eines Vollstreckers ein anderer an seine Stelle tritt (3).

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Bei den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen – nicht nur im Fall Eichmann – waren diese Voraussetzungen problemlos aufweisbar. Die Anordnung der Morde in den KZ-Lagern etwa erfolgte unter grundsätzlicher Missachtung des Tötungsverbotes und war von der Bereitwilligkeit individuell Ausführender unabhängig, weil beim Ausfall einzelner Exekutoren ihre Tätigkeit von anderen übernommen wurde.

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Diese Form der mittelbaren Täterschaft blieb in der deutschen Rechtsprechung zunächst unbeachtet und wurde bei Aburteilung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nicht herangezogen. Sie fand jedoch in der Literatur überwiegend Zustimmung und wurde auch im Ausland viel diskutiert.

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Der Bundesgerichtshof hat diese Lehre dann 1994 im sog. Mauerschützen-Prozess[123] übernommen und die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der ehemaligen DDR als mittelbare Täter der Erschießung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze verurteilt. Er hat diese Lehre freilich entgegen meiner Intention auf die Leiter von Wirtschaftsunternehmen erstreckt (dazu Rn. 213 ff.) und die Anerkennung dieser Form der mittelbaren Täterschaft hernach in zahlreichen Urteilen bestätigt.

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Im Ausland hat sich die Lehre von der Organisationsherrschaft auch in der Rechtsprechung vor allem Lateinamerikas vielfach durchgesetzt.[124] Am eindrucksvollsten und gründlichsten ist dies in Peru geschehen, wo die Sala Penal Especial des obersten Gerichtshofs in einem Urteil vom 7. April 2009 den ehemaligen Präsidenten Fujimori als mittelbaren Täter der von seinen Einsatzkommandos verübten Verbrechen bestraft und sich dabei in allen Einzelheiten auf meine Lehre von der Organisationsherrschaft gestützt hat.[125] Das Revisionsurteil der peruanischen Primera Sala Transitoria vom 30. Dezember 2009 hat das erstinstanzliche Urteil in ausführlichen Darlegungen unter Bekundung seiner „tiefen Überzeugung“ („profunda convicción“) von der Richtigkeit der Organisationsherrschaftslehre bestätigt.

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Auch der Internationale Strafgerichtshof hat sich die Lehre von der Organisationsherrschaft verschiedentlich zu eigen gemacht.[126] So heißt es z.B. in der sog. Katanga-Entscheidung der Vorverfahrenskammer I aus dem Jahr 2008 mit zustimmenden Ausführungen: „In der Rechtslehre ist ein Konzept entwickelt worden, das die Möglichkeit anerkennt, eine Person strafrechtlich verantwortlich zu machen, die durch einen anderen handelt, und zwar unabhängig davon, ob der Ausführende (der unmittelbar Handelnde) ebenfalls strafrechtlich verantwortlich ist. Diese Lehre gründet sich auf die frühen Arbeiten von Claus Roxin.“

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