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b) Wissenschaft als Rechtsbegriff

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Es gehört zu den allgemein anerkannten Grundeinsichten, dass die drei Begriffe „Wissenschaft, Forschung und Lehre“ in Art. 5 Abs. 3 GG nicht eine Aufzählung beziehungslos nebeneinander stehender Tatbestände darstellen, sondern dass vielmehr zwischen diesen Begriffen ein Stufenverhältnis besteht. Wissenschaft ist dabei im Sinne eines Oberbegriffs zu deuten, während Forschung und Lehre, verstanden als wissenschaftliche Forschung und wissenschaftliche Lehre, die beiden konstituierenden Unterbegriffe sind.[2] Anders ausgedrückt: Die Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 GG lässt sich auch lesen als „wissenschaftliche Forschung und wissenschaftliche Lehre sind frei“,[3] sie lässt sich auch verstehen als ein einheitliches, Forschung und Lehre umschließendes Grundrecht der „Wissenschaftsfreiheit“.[4] Der innere Zusammenhang von Wissenschaft einerseits und Forschung und Lehre andererseits sollte dabei nicht in dem Sinne missverstanden werden, als seien die Begriffe Forschung und Lehre eine überflüssige Wiederholung des ohnehin schon Gewährleisteten. Sie weisen vielmehr auf die beiden unterschiedlichen Erscheinungsformen von Wissenschaft hin, nämlich den Erwerb von Wissen und die Weitergabe von Wissen, und machen dabei zugleich deutlich, dass in grundrechtsdogmatischer Hinsicht Differenzierungen zwischen den beiden wissenschaftlichen Betätigungsformen nicht ausgeschlossen sind.

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Dem Schlagwort von der „offenen Grundrechtsinterpretation“, derzufolge der Grundrechtsträger es beispielsweise im Zusammenhang von Kunstfreiheit und Wissenschaftsfreiheit in der Hand haben soll, eigene Verhaltensweisen als künstlerisch oder wissenschaftlich auszuweisen und damit den grundrechtlichen Schutzbereich gleichsam autonom zu bestimmen,[5] hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach Absagen erteilt.[6] Allen Schwierigkeiten, den grundrechtlichen Schutzbereich abstrakt zu bestimmen, zum Trotz, hat das Gericht einen verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff (und übrigens auch einen verfassungsrechtlichen Kunstbegriff[7]) entwickelt. In dem auch in anderen Hinsichten wegweisenden Urteil zum niedersächsischen Vorschaltgesetz für ein Gesamthochschulgesetz (oft Hochschulurteil genannt) aus dem Jahr 1973 heißt es dazu wörtlich:

„[Die] Freiheitsgarantie erstreckt sich … auf jede wissenschaftliche Tätigkeit, d.h. auf alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.“[8]

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Später und bis heute hat das Gericht an diesem Begriffsverständnis festgehalten.[9] Mit seiner weiten Fassung erkennt es die Schwierigkeit an, die darin liegt, dass jede definitorische Festlegung von Wissenschaft schon einen Eingriff in den geschützten Lebensbereich bewirken könnte. Nicht von ungefähr ist daher, freilich mit unterschiedlichen Folgen, von einem Definitionsverbot die Rede, das dem Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit zu eigen sein soll.[10] Zur grundrechtstypischen Gefährdungslage gehörte gewiss eine staatliche Definitionsmacht, die in der Lage war, Wissenschaft als „bürgerlich-kapitalistische Pseudo-Wissenschaft“ zu verpönen (oder Kunst als „entartete Kunst“ zu diskreditieren). Eine inhaltliche Definition von Wissenschaft unter dem Grundgesetz, die an bestimmte wissenschaftliche Gegenstände oder Methoden anknüpft, musste deshalb von vornherein außer Betracht bleiben, wollte sich das Bundesverfassungsgericht nicht dem Vorwurf einer staatlichen Wissenschaftszensur aussetzen. Andererseits konnte das Gericht aber auch nicht die Augen vor der Notwendigkeit verschließen, dem grundrechtlichen Begriff „Wissenschaft“ hinreichend scharfe Konturen verleihen zu müssen, um das Grundrecht im Interesse seiner Träger prozessual durchsetzbar zu machen.

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Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Lösung knüpft an zwei Merkmale an, die beide nicht unproblematisch sind[11] und sich dennoch in der Praxis des Gerichts und der Instanzgerichte bewährt haben. Das erste Begriffsmerkmal ist das der „Wahrheit“, das im Urteil zum niedersächsischen Vorschaltgesetz mit dem erhellenden Zusatz versehen ist, es handele sich „um etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes (Wilhelm von Humboldt)“.[12] Der Zusatz macht bewusst, dass die religiöse Selbstvergewisserung von Wahrheit, die durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt ist, genau so wenig gemeint ist wie die Wahrheitssuche durch Polizei und Staatsanwaltschaft, die sich auf konkrete unwiederholbare Geschehensabläufe ohne Einordnung in ein geistiges System bezieht.[13] Nicht zur Wahrheitssuche im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG gehören außerdem alle Formen einer ideologisch geprägten Indoktrination oder Propaganda. Dies gilt auch und gerade dann, wenn sie in Gestalt eines, heute freilich kaum mehr verbreiteten, „wissenschaftlichen“ Sozialismus oder Marxismus daher kommen: Ideologie ist das klassische Gegenteil von wissenschaftlicher Wahrheitssuche.[14]

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Das zweite Merkmal ist der „nach Inhalt und Form ernsthafte und planmäßige Versuchzur Ermittlung der Wahrheit. Damit ist nicht auf einen Kanon vermeintlich feststehender wissenschaftlicher Methoden verwiesen. Auch die intuitiver Erkenntnis vertrauende Wissenschaft, die Forschung außerhalb von traditionellen Denkschulen und unorthodoxe Wissenschaftsmethoden können Wissenschaft sein.[15] Schon gar nicht kommt es darauf an, ob sich Wissenschaft im Mainstream der Forschung bewegt. Geschützt sind auch Mindermeinungen und Außenseiterpositionen. Maßgeblich ist auch nicht, dass in den institutionalisierten Zusammenhängen staatlicher Forschungseinrichtungen wissenschaftlich gearbeitet wird. Auch die private wissenschaftliche Forschung ist wissenschaftliche Forschung im Sinne des Grundgesetzes. Ergebnisoffenheit und Unvoreingenommenheit sind notwendige Voraussetzungen planmäßiger Wahrheitssuche. Auftragsforschung, Drittmittelforschung, Industrieforschung und anwendungsbezogene Forschung unterfallen dem weiten Wissenschaftsbegriff des Bundesverfassungsgerichts.

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