Читать книгу Hochschulrecht - Группа авторов - Страница 13
d) Wissenschaftsfreiheit als Individualgrundrecht
Оглавление29
Die ursprüngliche, bis heute erhaltene Funktion der Grundrechte besteht darin, dem einzelnen Individuum Freiheit gegenüber staatlicher Macht zu sichern. Dies verhält sich bei der Wissenschaftsfreiheit nicht anders. Dass dieses Grundrecht ein drittnütziges Grundrecht ist,[35] ändert nichts. Der Drittnützigkeitseffekt stellt sich gerade dadurch ein, dass die individuelle wissenschaftliche Betätigung frei von staatlicher Fremdbestimmung ist. Es ist im Übrigen auch kein Bruch mit oder Widerspruch zu der individualbezogenen Grundrechtskonzeption, dass „juristische Personen“ (Art. 19 Abs. 3 GG)[36] neben den Einzelindividuen grundrechtsfähig sind. Damit erkennt das Grundgesetz lediglich an, dass einzelne Grundrechtsträger sich in Personenverbänden zusammenschließen, um durch diese Organisation zu gemeinsamer Grundrechtsausübung zu gelangen. Letztlich ist es die grundrechtliche Freiheit der in ihr zusammengeschlossenen natürlichen Personen, die sich in der grundrechtsgeschützten Freiheit der juristischen Person widerspiegelt. Dabei soll nicht verkannt werden, dass die grundrechtliche Freiheit der juristischen Personen qualitativ etwas anderes ist, als die Summe der in ihr zusammengeschlossenen Einzelfreiheiten. Die juristische Person im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG ist in grundrechtlicher Hinsicht ein eigenes Rechtssubjekt und nicht bloß ein Sachwalter oder ein Sprachrohr von natürlichen Personen. Und doch stehen die juristischen Personen mit ihrer eigenen Grundrechtsfähigkeit ganz im Dienst der individuellen Freiheiten.
30
Die öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie die Fakultäten bzw. Fachbereiche sind grundrechtsfähig, weil sie als Rechtssubjekte selbstständig an der wissenschaftlichen Forschung und Lehre beteiligt sind. Ihre Beteiligung besteht nicht in einem eigenen Forschen oder Lehren: Eine juristische Person kann naturgemäß keine eigene wissenschaftliche Erkenntnis haben oder solche Erkenntnis verbreiten. Wissenschaftliches Forschen und Lehren ist der Art nach ein Handeln natürlicher Personen. Aber die juristischen Personen des akademischen Ausbildungssektors und der Forschung stellen den organisatorischen Rahmen her, in dem Einzelindividuen forschen und lehren. Dies reicht aus, um sie als Grundrechtsträger der Wissenschaftsfreiheit zu qualifizieren.[37] In der Konsequenz bedeutet dies, dass im Bereich der Universitäten drei Grundrechtsträger zu unterscheiden sind, die sich, wenn auch in unterschiedlicher Weise, alle auf das selbe Grundrecht berufen: die Universität, die Fakultät und der einzelne Universitätsprofessor (bzw. wissenschaftliche Mitarbeiter oder Student). Die naheliegende Frage nach dem grundrechtsdogmatischen Verhältnis der drei Grundrechtsträger zueinander ist keineswegs akademischer Natur. In der jüngeren Zeit ist eine politische Tendenz zu erkennen, die Wissenschaftsfreiheit zu entindividualisieren und in einer kollektiven wissenschaftlichen „Verantwortung“ aufgehen zu lassen. Bemerkbar wird diese Tendenz in den teilweise schon verwirklichten hierarchischen und monokratischen Organisationsmodellen, in denen der Universitätsleitung und/oder den Dekanen in dem Maße Einflussmöglichkeiten auf Forschung und Lehre eingeräumt werden, in dem sie den einzelnen Professoren genommen werden. Aber auch in den Bemühungen, einzelne Lehrzuständigkeiten (z.B. das Betreuen von Doktoranden) vom einzelnen Professor auf Professorengruppen zu verlagern, ist die neue Entwicklung erkennbar.[38]
31
In grundrechtlicher Perspektive ist dazu anzumerken: Ausgangspunkt jeder grundrechtlichen Gewährleistung ist die individuelle Freiheit. Die Grundrechte stehen in systematischem Zusammenhang mit der Menschenwürde als Inbegriff aller Individualität.[39] Im Wortlaut des Grundgesetzes kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck, wenn es nach der Betonung der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG in Abs. 2 derselben Bestimmung heißt:
„Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten …“
32
Die Grundrechtsträgerschaft der juristischen Personen[40] kommt im Grundgesetz dagegen eher beiläufig vor, wenn es in Art. 19 Abs. 3 GG heißt:
„Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen …“
33
Daraus nun die Schlussfolgerung zu ziehen, den Einzelindividuen als Inhabern der Wissenschaftsfreiheit komme ein schwächerer oder minderer Grundrechtsschutz zu als den Einrichtungen, in denen sie wissenschaftlich tätig sind, würde die Dinge geradezu auf den Kopf stellen. Die Einrichtungen (grundrechtsdogmatisch: die juristischen Personen, in denen Wissenschaft betrieben wird, Art. 19 Abs. 3 GG) besitzen vielmehr nur einen gleichsam derivativen Grundrechtsschutz. Sie sind Grundrechtsträger, weil und soweit in ihnen wissenschaftlich tätige Einzelindividuen zusammengeschlossen sind, und nicht umgekehrt sind die Wissenschaftler Inhaber des Art. 5 Abs. 3 GG deshalb, weil sie in einer wissenschaftlichen Einrichtung tätig sind. Dieser grundrechtsdogmatische Zusammenhang verbietet es, die überindividuelle grundrechtliche Freiheit gegen die individuelle Freiheit auszuspielen. Rechtlich gesehen ist es nicht möglich, der überindividuellen Einrichtung alle Wissenschaftsfreiheit zu geben und den in ihr zusammengeschlossenen Wissenschaftlern alle Wissenschaftsfreiheit zu nehmen, kurz: Eine Universität ohne freie Professoren ist keine Universität.
34
Außerhalb der Tabuzone solcher fließt aus Art. 5 Abs. 3 GG ein grundrechtlich fundiertes, objektiv-rechtliches Organisationsprinzip, das insbesondere der Gesetzgeber bei der Gestaltung des Hochschulwesens zu beachten hat. Er hat für das größtmögliche Maß an freier wissenschaftlicher Betätigung der einzelnen Wissenschaftler in den öffentlich-rechtlichen Hochschulen zu sorgen. Das Bundesverfassungsgericht sagt:
„Im Bereich des mit öffentlichen Mitteln eingerichteten und unterhaltenen Wissenschaftsbetriebs, d.h. in einem Bereich der Leistungsverwaltung, hat der Staat durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, dass das Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung soweit unangetastet bleibt, wie das unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist.“[41]
35
Zu den bemerkenswerten Eigenarten der Dogmatik des Art. 5 Abs. 3 GG gehört eine Weiterung, die das Bundesverfassungsgericht mit diesem Organisationsprinzip verbindet. Das Gericht erklärt nämlich, dass der einzelne Wissenschaftler einen Anspruch auf freiheitssichernde organisatorische Vorkehrungen hat:
„Dem einzelnen Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG erwächst aus der Wertentscheidung ein Recht auf solche staatliche Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraums unerläßlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen.“[42]
36
Aus Art. 5 Abs. 3 GG ergibt sich mithin nicht nur ein Recht zur Abwehr wissenschaftsbeeinträchtigender staatlicher Maßnahmen, sondern auch ein subjektiver Teilhabeanspruch[43] auf eine wissenschaftsadäquate Hochschulorganisation. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht die Reichweite dieses grundrechtlich fundierten Anspruchs und überhaupt die freiheitssichernde Funktion des Art. 5 Abs. 3 GG neuerdings erheblich modifiziert, wenn es nun hochschulorganisatorische Regelungen solange für unbedenklich hält, wie nicht eine „strukturelle Gefährdung“ des einzelnen Wissenschaftlers zu befürchten sei. Im sog. Brandenburg-Urteil vom 26.11.2004[44], dem vorläufig letzten grundlegenden Urteil zum Hochschulorganisationsrecht, führt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts aus:
„Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Vereinbarkeit von Organisationsnormen mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist darauf abzustellen, ob durch diese Normen die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung strukturell gefährdet werden. Entscheidungen, die im Einzelfall die Wissenschaftsfreiheit verletzen, lassen sich durch Organisationsnormen allerdings nie völlig ausschließen (vgl. BVerfGE 35, 79 <124>). Dagegen ist der jeweilige Grundrechtsträger jedoch durch die Möglichkeit rechtlicher Gegenmaßnahmen geschützt. Zur Klärung der Frage, ob eine Regelung Strukturen schafft, die sich gefährdend auswirken können, ist das hochschulorganisatorische Gesamtgefüge mit seinen unterschiedlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten in den Blick zu nehmen. Zu berücksichtigen ist dabei auch der Grad der Bedeutung der jeweils zu treffenden Entscheidung für die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung. Da sich die meisten hochschulorganisatorischen Entscheidungen, auch wenn sie den Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung nicht unmittelbar berühren, aufgrund der Angewiesenheit der wissenschaftlich Tätigen auf den öffentlich bereitgestellten und organisierten Wissenschaftsbetrieb mittelbar auf die wissenschaftliche Betätigung auswirken können (vgl. BVerfGE 61, 260 <279f.>, insoweit BVerfGE 35, 79 <123> präzisierend), reicht eine nur hypothetische Gefährdung nicht aus.“[45]
Die schwierige Abgrenzung der grundrechtsirrelevanten „hypothetischen Gefährdung“ der Wissenschaftsfreiheit von der relevanten „strukturellen Gefährdung“ hat in nachfolgenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Konturen gewonnen. Im Beschluss zum Hamburgischen Hochschulgesetz vom 20.7.2010 hat das Gericht hervorgehoben, dass dem mit Hochschullehrern besetzten Vertretungsgremium (der Fakultät) hinreichend substantielle personelle und sachliche Entscheidungsbefugnisse gegenüber den Leitungsorganen verbleiben müssen[46], und diese Rechtsprechung hat das Gericht im Beschluss zur Medizinischen Hochschule Hannover (MHH-Beschluss) fortgesetzt.