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A. Einleitung
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Vorgeschichte
Die Frage nach der Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten wird in Deutschland unter verfassungsrechtlichen wie verwaltungsrechtlichen Aspekten seit vielen Jahren diskutiert. Die Einwirkung des Europarechts auf das nationale Verwaltungsrecht ist dabei schon in einer Reihe von älteren EuGH-Entscheidungen von der Fleischkontor-Entscheidung 1971 bis zum Milchkontor-Urteil 1983 nachweisbar[1] und war von den deutschen Verwaltungsgerichten bis hin zum BVerwG akzeptiert.[2] Erst mit der Alcan-Entscheidung des EuGH 1997[3] verschob sich indessen jedenfalls in Deutschland das Interesse weg von den genuin europäischen Verwaltungsrechtsstrukturen hin zur Veränderung des eigenen Rechts.[4] Die Kompetenzfrage als „Dürfen die das?“-Frage wird bei Veränderungen, die nicht uneingeschränkt vorteilhaft erscheinen, immer mit als erste gestellt.#[5] Seitdem beschäftigt die Frage nach der Reichweite europäischer Kompetenzen entsprechend auch die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft.
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Entwicklung der Kompetenzdebatte
Diese Irritation eines ganzen Rechtsgebietes ob der Konfrontation mit der Europäisierung verband sich in zeitlicher Hinsicht mit einer gerade in Deutschland ab den 1990er Jahren intensiv geführten, insbesondere von den Bundesländern getriebenen[6] Kompetenzdebatte. Die deutsche Kritik an der Kompetenzreichweite der EU blieb ein beständiger Begleitton während der Reformarbeiten über den Vertrag von Nizza 2001, den Verfassungsvertrag 2004 bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009. Danach hat sich zunehmend die Einsicht etabliert, dass weniger die Kompetenzverteilung als die Kompetenzausübung, weniger die vertikale Gegenüberstellung EU versus Mitgliedstaaten als vielmehr die horizontale Konfliktstellung Rat versus Europäisches Parlament die eigentlichen Kompetenzprobleme ausmachen.
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Bedeutung der Kompetenzfrage
Kompetenzfragen sind Machtfragen. Es geht um Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten. Entsprechend ist die Verteilung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung für das Verständnis der rechtlichen Grundlagen der europäischen Integration. Kompetenzverteilungsfragen sind ein klassisches Thema der Bundesstaatstheorie. Eine bundesstaatliche Struktur ist die EU jedoch nicht. Daher empfiehlt es sich, in einem ersten Schritt Begriffe und Konzepte des europäischen Kompetenzverfassungsrechts auszuleuchten (dazu B.). Darauf aufbauend lässt sich eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen europäischen Kompetenzordnung mit ihren Kompetenzkategorien und Kompetenzbereichen vornehmen (dazu C.). Das Kompetenzthema umschließt an sich auch Fragen nach der Zuordnung von Kompetenzen an Kompetenzträger (wer übt Kompetenzen aus), nach Handlungsformen (in welcher rechtlichen Gestalt werden Kompetenzen ausgeübt), nach Kompetenzausübungsregeln (das „Wie“ der Kompetenz im Gegensatz zum „Ob“) und nach der Ausführungs- und Umsetzungsdimension. Der Schwerpunkt der nachfolgenden Analyse liegt auf den Rechtsetzungskompetenzen, weil Fragen der Verteilung von Verwaltungs- und Rechtsprechungskompetenzen und Kompetenzausübungsfragen in anderen Kapiteln behandelt werden.[7] Jenseits der primärrechtlich vorgegebenen Kategorien und Sachbereiche erschließen sich bestimmte Wirkmechanismen und strukturelle Zusammenhänge der europäischen Kompetenzordnung erst über die Betrachtung konkreter Fallbeispiele (dazu D.). Wenn Kompetenzfragen Machtfragen sind, sind Kompetenzkonflikte unausweichlich: Dann wird die Frage, wer die Letztentscheidung im Kompetenzkonflikt trifft, zur Schlüsselfrage der Kompetenzordnung (dazu E.).