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VI. Allgemeine Verfahrensgrundsätze des Unionsverwaltungsrechts

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Geltungsgrund und Funktion, Kern des europäischen Verwaltungsrechts

Im Unionsrecht haben sich – maßgeblich durch die rechtsfortbildende Judikatur des EuGH[209] – allgemeine Grundsätze entwickelt, die Anforderungen an den Verwaltungsvollzug (auch den nationalen) stellen und als ungeschriebene allgemeine Rechtsgrundsätze im Rang des Primärrechts Geltung und Anwendungsvorrang beanspruchen; sie resultieren aus einem gemeinsamen Bestand grundlegender Verfahrensstandards in den nationalen (Verfassungs-)Rechtsordnungen (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV), die auch in der EMRK Niederschlag fanden[210], und stehen einer modifizierenden Konkretisierung durch den EU-Gesetzgeber nicht entgegen. Diese Anforderungen sind in ihrer Auffang- und Vereinheitlichungsfunktion vor allem dort relevant, wo keine entsprechenden sekundärrechtlichen Vorgaben existieren[211], um die Durchführung des Unionsrechts an einheitlichen Maßgaben auszurichten, und auch nationales Recht diesen Mindestanforderungen nicht entspricht. Diese Grundsätze des Unionsverwaltungsrechts leiten die Anwendung des nationalen Verwaltungsrechts und können dieses modifizieren oder gar verdrängen; denn die Mitgliedstaaten sind nach der tradierten Rechtsprechung bei ihrem Verwaltungsvollzug nicht nur an die Grundrechte, sondern an alle allgemeinen Rechtsgrundsätze der EU gebunden.[212] Diese Grundsätze gleichen für die nationale Verwaltung somit denen für das EU-Eigenverwaltungsrecht und speisen sich aus der Erkenntnis grundsätzlicher rechtsstaatlicher Anforderungen an Verwaltungsverfahren; sie legen damit das Fundament für ein gemeinsames europäisches Verwaltungsrecht[213] und bilden den „Kern des europäischen Verwaltungsrechts“ (Jürgen Schwarze). Die allgemeinen Verfahrensgrundsätze überschneiden sich mit anderen allgemeinen Rechtsgrundsätzen wie etwa den Grundrechten, insbesondere im Bereich der Respektierung von Verfahrensrechten der von Verwaltungsverfahren nachteilig Betroffenen („Verteidigungsrechte“), die mittlerweile in der Grundrechtecharta – allerdings wegen Art. 6 Abs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 3 GRCh nicht abschließend – kodifiziert sind.

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Ordnungsgemäße Verwaltung

Als Verfahrensstandard hat der EuGH mittlerweile allgemein das Recht auf ordnungsgemäße Verwaltung auch für die nationalen Verwaltungsverfahren im Anwendungsbereich des Unionsrechts anerkannt.[214] Daraus fließen Gebote wie etwa das Recht jeder Person, dass ihre Angelegenheiten unparteiisch und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Die objektive Unparteilichkeit gebietet, dass die zuständige Behörde hinreichende Garantien bieten muss, um jeden berechtigten Zweifel in dieser Hinsicht auszuschließen. Auch muss die Verwaltung einen effektiven Zugang zu sekundärrechtlich gewährten Rechten ermöglichen.[215] Fairness und Unparteilichkeit sind damit nicht nur Anforderungen an gerichtliche Verfahren vor nationalen Gerichten bei der Anwendung von Unionsrecht (vgl. Art. 47 GRCh), sondern auch an nationale Verwaltungsverfahren.[216] Zur ordnungsgemäßen Verwaltung kann man mittlerweile auch schon vom EuGH lange auch für die nationale Verwaltung anerkannte Rechtsgrundsätze etwa der Verhältnismäßigkeit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung[217] zählen.

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Rechtliches Gehör, Begründungspflicht

In Verwaltungsverfahren mit potentiell belastendem Ausgang – das gilt auch für die Ablehnung einer beantragten Begünstigung – ist das rechtliche Gehör und damit zusammenhängend das Recht auf Akteneinsicht als Bestandteil der zu gewährenden Verfahrensrechte (der EuGH spricht von „Wahrung der Verteidigungsrechte“) sicherzustellen.[218] Die Folgen seiner Missachtung bestimmen sich bei fehlender unionaler Regelung grundsätzlich nach nationalem Recht, sofern diese Regelungen der gebotenen Äquivalenz- und Effektivitätsverpflichtung gerecht werden.[219] Der EuGH steht der Beachtlichkeit von Fehlern in der Gewährung von Verteidigungsrechten im Eigenverwaltungsrecht eher stringent, ihrer Heilung eher ablehnend gegenüber[220], hat insoweit indes keine allgemeinen Grundsätze entwickelt. Ersichtlich sind gewisse Divergenzen zwischen Eigen- und Unionsverwaltungsrecht im Detail möglich. Auch die Begründungspflicht gilt für das nationale Verwaltungsrecht, selbst wenn es dort nicht vorgesehen ist.[221] Dazu gehört es, die Entscheidung so hinreichend spezifisch und konkret zu begründen, dass es dem Betroffenen möglich ist, die Gründe für die Entscheidung zu verstehen.[222]

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Rechtssicherheit, Vertrauensschutz, Bestandsschutz

Wahrung der berechtigten Interessen und der Schutz bestandskräftiger Entscheidungen als Ausdruck der Rechtssicherheit sind Rechtsgrundsätze, die auch im dezentralen Vollzug gelten.[223] Der Bestandsschutz von nationalen Vollzugsakten kann allerdings nach detaillierten Maßgaben des EuGH eingeschränkt werden, um Anforderungen der effektiven Anwendung des Unionsrechts gerecht werden zu können. Grundsätzlich gebietet auch der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht automatisch die Nichtbeachtung der Bestandskraft eines nationalen Verwaltungsakts, der unter Verkennung von Anforderungen des Unionsrechts erlassen wurde.[224] Für die Rechtskraft hat der EuGH jüngst betont, dass deren hohe Bedeutung die Unaufhebbarkeit auch einer inhaltlich unionswidrigen Entscheidung zur Folge haben kann; die Staatshaftung garantiere dann die Effektivität des Unionsrechts hinreichend.[225]

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Transparenz von Verteilungsverfahren

Nationale Vergabe- und anderweitige Verteilungsverfahren unterliegen aufgrund ihrer Bedeutung für die Ausübung der Grundfreiheiten zunehmend einem allgemeinen Transparenzgebot. Das stellt Anforderungen an die Bekanntgabe einer anstehenden Vergabeentscheidung, um Interessenten eine Interessenkundgabe zu ermöglichen.[226]

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