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I. Einordnung

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Vollzugsteilung und -verflechtung

Der europäische Verwaltungsverbund umschreibt die Vernetzung der mitgliedstaatlichen und unionalen Verwaltungen zu einem Informations-, Entscheidungs- und Kontrollverbund.[13] Er ist darauf ausgerichtet, sowohl Unionsrecht als auch unionsrechtlich harmonisiertes nationales Recht zu vollziehen. Innerhalb des Verbunds besteht zwar eine organisatorische Trennung zwischen den Verwaltungsräumen von Mitgliedstaaten und Union.[14] Bei der Vornahme von Verwaltungshandlungen wird jene Trennlinie aber durch funktionale Zusammenarbeit überwunden.[15] In diesem Sinne erweisen sich Vollzugsteilung und -verflechtung, Trennung und Kooperation als zentrale Elemente des Verwaltungsverbunds.[16]

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Verbot der Mischverwaltung

Die im Grundsatz festzustellende Trennung der Vollzugsformen und ihre funktionale Überwindung prägt auch das Primärrecht. Einerseits folgt aus dem Zusammenspiel der Absätze 1 und 2 des mit dem Vertrag von Lissabon implementierten Art. 291 AEUV ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen nationalem und unionalem Vollzug.[17] Andererseits wird die Verteilung der Durchführungskompetenzen durch das zum gleichen Zeitpunkt ins Primärrecht aufgenommene Kooperationsgebot des Art. 197 Abs. 1 AEUV ergänzt.[18] Danach stellt „[d]ie für das ordnungsgemäße Funktionieren der Union entscheidende effektive Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten“ eine „Frage von gemeinsamem Interesse“ dar. Diese Kooperation kann von der Union in den Formen, unter den Voraussetzungen und in den Grenzen von Art. 197 Abs. 2 AEUV unterstützt werden. Dergestalt erfolgt eine Auflösung der „Antagonie zwischen Unionsvollziehung und nationaler Vollziehung“ zugunsten einer Öffnung für die Verwaltungszusammenarbeit zwischen beiden Ebenen.[19] Bedenkt man weiter, dass im Lichte der allgemeinen Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) die effektive Aufgabenerfüllung stärker im Vordergrund steht als im Bund-Länder-Verhältnis auf nationaler Ebene, so wird einsichtig, weshalb dem Unionsrecht ein prinzipielles Verbot der Mischverwaltung gerade nicht immanent ist.[20]

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Kooperation und Hierarchie

Unter dem deskriptiven Ordnungskonzept[21] des Verwaltungsverbunds sollen vielmehr die Prinzipien der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie einerseits sowie der Effektivität und Äquivalenz andererseits zusammengeführt werden.[22] Inhaltlich geht es um auf Dauer angelegte (nicht nur punktuell-sporadische) Kooperations- und Verflechtungsphänomene. Diese können sowohl vertikal zwischen EU-Administration und mitgliedstaatlichen Verwaltungen als auch horizontal zwischen den nationalen Verwaltungen unter dem Dach der Union angelegt sein.[23] Damit lässt sich der Verbund als „Verschränkung zweier Organisationsprinzipien, der Prinzipien der Kooperation und der Hierarchie“[24], begreifen.

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Intensitätsschwelle

In Abgrenzung von der bloßen Verwaltungskooperation müssen diese Verflechtungsphänomene eine gewisse Intensitätsschwelle überschreiten, damit von einem Verwaltungsverbund gesprochen werden kann.[25] Mit Blick auf die schwierig zu ermittelnde (graduelle) Trennung werden unterschiedliche Anforderungen formuliert. Richtigerweise setzt die Annahme einer Verbundverwaltung notwendig voraus, dass sich im Verhältnis zwischen europäischen und mitgliedstaatlichen Verwaltungsstellen auch Elemente hierarchischer Verwaltung finden.[26] Diese können z. B. in einer Betrauung der Kommission mit übergeordneten Aufsichts- und Kontrollbefugnissen oder in der Einräumung von Selbsteintrittsrechten bestehen.[27] Wenn hiergegen eingewandt wird, dass „Verbindungen“ auch auf Ebene der Gleichordnung erfolgen können,[28] wird übersehen, dass sich der Verwaltungsverbund als Steigerung einer bloßen Verwaltungskooperation durch die substanzielle Verschränkung beider Organisationsprinzipien auszeichnet. Zu restriktiv erscheint es freilich, wenn eine Zusammenarbeit in allen Phasen der Entscheidungsfindung und Durchführung gefordert wird.[29] Ein solches Erfordernis der Omnipräsenz würde das Verbundkonzept unnötig einengen.[30]

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Typologie der Verbundsysteme

Zur weiteren Systematisierung der vielgestaltigen Erscheinungsformen einer Vollzugsteilung und -verflechtung dient die auf Wolfgang Kahl zurückgehende „materiale Typologie“ der Verbundsysteme.[31] Danach gliedert sich der Europäische Verwaltungsverbund zunächst in die Kerntypen des Vollzugs-, Lenkungs- und Aufsichtsverbunds.[32] Hinzu treten als nicht trennscharf zuordenbare „Mischformen“ der Regulierungs- und der Planungsverbund.[33] Den übrigen Verbundtypen vorgelagert ist schließlich der querschnittsartige Informationsverbund, dem eine primär dienende Funktion als wesentliche Voraussetzung für eine(n) wirksame(n) Vollzug, Lenkung, Aufsicht, Regulierung und Planung zukommt.[34] In konkreten Referenzgebieten treten diese unterschiedlichen Verbundsysteme regelmäßig in Kombination auf.[35] Die vorstehende Typologie liefert daher eine wertvolle Hilfestellung bei der Bestimmung des Telos von Verbundverfahren, ohne dass damit freilich eine trennscharfe Systematisierung verbunden wäre.

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Ausdifferenzierung der Kategorien von Verbundverfahren

Eine weitere Ausdifferenzierung der vertikalen und horizontalen Verbundverfahren hat Thorsten Siegel vorgeschlagen und anhand des REACH-Systems für Chemikalien[36] veranschaulicht.[37] Danach finden erstens gestufte Verfahren zunächst innerhalb europäischer Einrichtungen („intravertikal“) statt. Zweitens existieren vertikale Stufungen zwischen der EU-Verwaltung und den mitgliedstaatlichen Stellen („intervertikal“). Die „interhorizontale“ Vernetzung beschreibt drittens eine solche zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten. Viertens sollen „intrahorizontale“ Verfahren die Unionseinrichtungen miteinander vernetzen, ohne abstufenden Charakter aufzuweisen. Die Typologisierung veranschaulicht einerseits prägnant den Facettenreichtum der vertikalen und horizontalen Verbundstrukturen beim Vollzug des Unionsrechts. Andererseits ist im Blick zu behalten, dass prägend für den europäischen Verwaltungsverbund die Vernetzung der mitgliedstaatlichen und unionalen Verwaltungen, mithin eine Beteiligung unterschiedlicher Rechtsträger, ist. Vor diesem Hintergrund können rechtsträgerinterne („intravertikale“ und „intrahorizontale“) Verflechtungen von vornherein nur einen ergänzenden Baustein bilden, nicht aber als solche die Existenz eines Europäischen Verwaltungsverbunds begründen.

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Systembildung für die Verwaltungskooperation

Als wirkmächtiger im wissenschaftlichen Diskurs erwies sich eine auf Gernot Sydow zurückgehende neue Systembildung für die Verwaltungskooperation beim Vollzug des Unionsrechts. Danach existieren vier Grundmodelle, die in unterschiedlichen Ausgestaltungen durch das einschlägige EU-Sekundärrecht reflektiert werden und sowohl vertikale als auch horizontale Verbundstrukturen erfassen. Namentlich handelt es sich um das „Direktvollzugsmodell“, das „Einzelvollzugsmodell“, das „Transnationalitätsmodell“ und das „Referenzentscheidungsmodell“.[38] Während mit dem Direktvollzugsmodell der eigenständige Vollzug durch die Unionsorgane erfasst wird, adressiert das Einzelvollzugsmodell den isolierten Vollzug durch die Mitgliedstaaten für ihren jeweiligen Hoheitsbereich. Zunehmend auftretende Sonderformen des indirekten Vollzugs in Verbundsystemen stellen das Transnationalitäts- und das Referenzentscheidungsmodell dar. Bei ersterem liegen die Vollzugs- und Entscheidungsbefugnisse zentral in der Hand eines einzigen Mitgliedstaats, der zugleich für alle anderen entscheidet.[39] Im Referenzentscheidungsmodell bedarf die Entscheidung eines Mitgliedstaates dagegen noch der Rezeption durch die anderen Mitgliedstaaten in einem Anerkennungsverfahren.[40] Es entscheidet hier also nicht „einer für alle“ (wie beim Einzelvollzugsmodell), sondern „einer vorab“.[41] Zur Auflösung etwaiger Meinungsverschiedenheiten wird ein Divergenzbereinigungsverfahren etabliert, das in einer staatengerichteten Entscheidung der Europäischen Kommission (nach dem Komitologieverfahren) mündet.[42] Mit diesen vier Grundmodellen wird ein analytischer Ordnungsrahmen etabliert, der eine systematische Erfassung des disparaten Normbestands und die Identifikation „systemprägender Grundstrukturen“ ermöglicht.[43] Zugleich gilt es zu erkennen, dass einzig das Referenzentscheidungsmodell bereits aus sich heraus ein Kooperationselement beinhaltet.[44] Dessen ungeachtet kann eine entsprechende vertikale oder horizontale Verzahnung je nach sekundärrechtlicher Ausgestaltung auch in den anderen drei Modellen erfolgen.[45]

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Verbundverwaltung als dritte Kategorie?

Kontrovers diskutiert wird, ob die Verbundverwaltung als eigenständige dritte Kategorie des europäischen Verwaltungsrechts neben den direkten und den indirekten Vollzug tritt.[46] Insoweit gilt es zu bedenken, dass sich Phänomene der Vollzugsteilung und -verflechtung sowohl im Bereich des Eigenverwaltungsrechts der EU als auch im Unionsverwaltungsrecht zeigen.[47] Das Verbundverwaltungsrecht schiebt sich gleichsam zwischen diese beiden Schichten und überlagert sie integrativ.[48] Es handelt sich mithin nicht um einen kategoriell eigenständigen Teil des europäischen Verwaltungsrechts, sondern um eine neuartige Form der Mischverwaltung.

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