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IV. Stufenbau versus Polyzentralität
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Stufenbau der Rechtsordnung
Das wohl wirkmächtigste Konzept, Normkollisionen aufzulösen, führt auf das Konzept des Stufenbaus der Rechtsordnung[146] zurück. Von Hans Kelsen ist dieses wie folgt beschrieben worden: „Die Rechtsordnung ist … nicht ein System von gleichgeordneten, gleichsam nebeneinander stehenden Rechtsnormen, sondern eine Stufenordnung verschiedener Schichten von Rechtsnormen.“[147] Zwischen diesen Stufen besteht ein hierarchischer Zusammenhang. Nur wenn alle Bedingungen der Ermächtigungsnorm erfüllt sind, kann eine Norm der jeweiligen Rechtsordnung zustande gekommen sein.[148] Das Modell erklärt die Unwirksamkeit der niederrangigen Norm damit, dass die Rechtserzeugungsregeln einer höherrangigen Norm missachtet worden sind.[149] Darüber hinaus kann auch eine Kollision gleichrangiger Normen über das Stufenmodell aufgelöst werden. Möglich ist dies unter der Annahme, dass in der jeweiligen Rechtserzeugungsnorm eine (höherrangige) Vorrangregel eingebaut ist.
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Polyzentrische Rechtsordnungen
Nicht weiterzuhelfen vermag das Stufenbild, wenn in polyzentrischen Rechtsordnungen zwischen den konfligierenden Normen kein sie verbindender Rechtserzeugungszusammenhang besteht. Von Polyzentralität ist prima facie im Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht auszugehen. Ob sich Völkerrecht gebildet hat, beurteilt sich nach seinen eigenen Maßstäben und nicht nach denen des nationalen Rechts. Umgekehrt kann das nationale Recht nicht aus dem Völkerrecht abgeleitet werden. Deshalb kann eine Norm in beiden Rechtskreisen unterschiedlich, nämlich einmal als rechtmäßig und einmal als rechtswidrig eingeordnet werden. Vergleichbare Fragen stellen sich auch im Verhältnis von Außenrecht und dem staatlichen Binnenrecht.[150]
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Unionsrecht und deutsches Recht
Das Verhältnis des Unionsrechts zum deutschen Recht lässt sich bruchlos weder in das eine noch in das andere Modell einordnen.[151] Dies gilt sowohl aus Sicht des BVerfG wie auch für die abweichende Position des EuGH. Für das BVerfG steht das Unionsrecht in einem Rechtserzeugungszusammenhang, der im nationalen Recht wurzelt.[152] Zur Ausübung von Hoheitsgewalt in Deutschland sind die Organe der Union daher nur insoweit ermächtigt, als sie die Grenzen einhalten, die durch die deutsche Integrationsermächtigung gesetzt sind (Art. 23 GG). Rechtsakte, die darüber hinausgehen, können in Deutschland keine Rechtswirkungen entfalten.[153] Mit diesen Einschränkungen setzt sich aber das Unionsrecht generell gegenüber dem nationalen Recht durch und entfaltet auch gegenüber Verfassungsrecht Anwendungsvorrang. Damit wird die Normhierarchie legitimatorisch quasi auf den Kopf gestellt. Im Normfall ist Unionsrecht dem nationalem Recht übergeordnet, leitet seine Legalität und Legitimität aber aus dem nationalen Recht ab. Aus Sicht des EuGH kann nationales Recht dagegen nur in dem Rahmen Rechtswirkungen entfalten, den das höherrangige Unionsrecht lässt.[154] Das Unionsrecht stellt damit eine emergente Ordnung dar, die sich von ihrem Entstehungskontext abgelöst hat. Abweichend vom tradierten Stufenmodell besteht zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht kein Rechtserzeugungszusammenhang, sodass das Stufenmodell mit polyzentrischen Elementen angereichert wird.