Читать книгу Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus - Gunda Trepp - Страница 15
Die Anderen
ОглавлениеUnd dieses Anderssein wird gewertet. Und zwar nicht als etwas Bereicherndes, das zum Leben und zur Kultur der Umwelt beiträgt, sondern als etwas, das bedroht, abstößt und nicht dazu gehört. Schon in der Antike lehnten andere Völker die Juden ab, weil sie anders waren und auf ihrem Anderssein beharrten. Grund genug, sich ein wenig näher mit dieser Wahrnehmung der Juden zu beschäftigen – und zu sehen, dass sie in einer logischen Linie zur Abneigung und dann zum hartnäckigen Hass gegen sie führte. Der richtete sich ausschließlich gegen diese bestimmte kleine Gruppe von Menschen und sollte sich unter den verschiedensten Regenten und in den unterschiedlichsten Systemen ausbreiten und halten. Robert Wistrich, der sich bis zu seinem Tod im Jahr 2015 wissenschaftlich ausschließlich mit dem Phänomen des Antisemitismus beschäftigte und als einer der renommiertesten Forscher auf diesem Gebiet weltweit galt, hat deshalb einem Buch zum Thema den Titel »The longest Hatred« gegeben – der älteste Hass.22
Juden konnten über die Jahrhunderte hinweg machen, was sie wollten – ihnen schlug Ablehnung entgegen. Mal, weil sie angeblich reich und ausbeuterische Kapitalisten und mal, weil sie arme Schlucker waren. Manchmal, weil sie das Staatssystem unterstützten, und ein andermal, weil sie die Herrschaft angeblich aushebeln wollten. Oft, weil sie laut christlichen Vorstellungen Jesus umgebracht hatten, und genauso oft, weil sie sich nicht von den Vorstellungen und Idealen, die auch der Jude Jesus vertreten hatte, abkehren wollten. Der Antisemitismus verschwand nicht einmal, wenn es keine Juden mehr gab, gegen die er sich richten konnte. So hielt sich der Hass unter den Nichtjuden im Kerngebiet des künftigen Russischen Reichs selbst im 16. Jahrhundert, als das Land keine Juden mehr duldete und jüdische Menschen in eroberten Gebieten zwischen Übertritt zum Christentum und Tod wählen mussten, und fand erneut lebende Ziele, als das Russische Reich Ende des 18. Jahrhunderts Gebiete Polens und Litauens einnahm, in denen es große jüdische Gemeinschaften gab. Auch wegen des starken Antisemitismus, forciert durch die Christlich-Orthodoxe Kirche, wurde die Ansiedlung von Juden nun in vielen Gebieten weiterhin teils stark beschränkt oder ausgeschlossen.
Schaut man sich die Geschichte des Antisemitismus an, erkennt man oft dieselben Muster und Stereotype in verschiedenen Formen. Und selbst heute spiegeln viele einfach dahingeworfene Bemerkungen ein Bild in den Köpfen der Nichtjuden wider, das meist mit einer antisemitischen Haltung einhergeht: Die Juden gehören nicht dazu. Wenn überhaupt, dann nur, wenn sie sich assimilieren. Wenn sie sind und sich verhalten wie alle. Doch das kann und darf nicht die Lösung sein, denn es würde bedeuten, die jüdische Identität aufzugeben oder zu verstecken. Davon abgesehen half unter dem Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten selbst die Anpassung nicht. Und doch werden wir im Verlauf dieser Überlegungen sehen, dass immer mehr Juden den Weg der Assimilation wählen, um unbehelligt zu bleiben. Das ist eine Entwicklung, die, wie es aussieht, auf fatale Weise Dynamiken und Prozesse wiederholt, die es über viele Jahrhunderte immer wieder gegeben hat.
Nur wer die Geschichte des Antisemitismus und seine Entwicklung in Grundzügen kennt und zumindest ansatzweise versteht, wird sein Ausmaß und die von ihm ausgehende Bedrohung begreifen. Er war so verbreitet und akzeptiert, dass, würde man Künstler und Komponisten, Philosophen und Schriftsteller der letzten Jahrhunderte nach dem Grad ihres Judenhasses beurteilen und ihre Werke auf den Index setzen, vieles aus dem Bestand verschwände.23 In extremen Fällen kostet es wirklich Überwindung, zu der Auffassung zu gelangen, dass die Kunst stets vom Menschen zu trennen sei. Und angesichts der Black Lives Matter-Bewegung, die ehemalige Sklavenhalter und andere Rassisten aus der Geschichte am liebsten verbannen will, taucht die Frage erneut auf, inwieweit man Werk, Denken und Person wirklich trennen kann. Diese Diskussion können wir in diesem Buch nicht vertiefen. Doch man kann im 21. Jahrhundert nicht über den Judenhass sprechen und ihn verstehen, ohne über die sich immer wieder verändernden Haltungen der Mehrheit gegenüber der jüdischen Gemeinschaft in den zwei Jahrtausenden davor zu sprechen. Yad Vashem, das sich auf die Geschichte der Schoah und die Erinnerung daran, aber auch auf die Erziehung der neuen Generation konzentriert, bietet in der Universitätsreihe Future Learn einen Onlinekursus an, der bei Interesse sehr zu empfehlen ist. In ihm erklären fünfzig renommierte Experten das Phänomen des Antisemitismus von der Antike bis zum Nationalsozialismus.24 Daneben gibt es unzählige Forschungsprojekte und Bücher zu dem Thema. Schließlich hat diese spezielle Form des Menschenhasses zu einem gewissen Zeitpunkt zur industriellen Vernichtung von sechs Millionen Juden geführt, und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen haben auch das immer wieder als Anlass genommen, sich intensiver mit dem Antisemitismus zu beschäftigen. Auf einige Werke, die Standardlektüre geworden sind, weise ich am Ende des Kapitels hin. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Form des Antisemitismus immer wieder der gesellschaftlichen Situation angepasst und damit gewandelt. Die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel beurteilt die Judenfeindschaft, die seit 2000 Jahren von einer Generation in die nächste getragen wird, als »anpassungsfähig wie ein Chamäleon«.25
Schon Griechen und Römer hegten den Juden gegenüber Animositäten. Wissenschaftler sind sich uneins, ob das bereits als Antisemitismus gewertet werden kann, oder ob es eine der vielen Formen der Xenophobie war, die es zu dieser Zeit gab. Schließlich seien zu dieser Zeit auch andere Gruppen kategorisiert worden. Meist, so die Historikerin Paula Fredriksen, habe das nicht nur der Abgrenzung gedient, sondern auch dazu, die eigene Identität und eigenen Werte zu definieren. So hätten die Griechen etwa die Perser als weich und feminin geschildert, während sie sich selbst für hart und männlich hielten. Und die Ägypter seien bei den Griechen ebenso schlecht weggekommen wie die Germanen, die als rückständig galten. Die Juden waren nicht wohlgelitten, weil sie sich partout nicht anpassen wollten. Obwohl ihnen die Griechen und dann die Römer Dutzende aus ihrer Sicht attraktive Götter boten, hielten sie hartnäckig an ihrem Monotheismus fest. Daraufhin verbot der hellenistische Herrscher Antiochus Epiphanes den Juden bereits 168 vor unserer Zeitrechnung, ihre Religion auszuüben, und zwang sie, im Tempel in Jerusalem Zeus anzubeten. Ebenso wenig wie die jüdische Gemeinschaft andere Götter akzeptieren wollte, war sie bereit, die Beschneidung ihrer Söhne am achten Tag nach der Geburt aufzugeben, die besonders die Griechen furchtbar fanden. Und warum konnten diese verstockten Juden denn nicht mal ein bisschen Schweinefleisch genießen? Immerhin das Leibgericht der Griechen! Als die Römer die griechische Herrschaft ablösten, änderte sich wenig. Die regierenden Kreise sahen sich und ihresgleichen als überlegen an, und Juden und andere fielen durch das Raster.