Читать книгу Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus - Gunda Trepp - Страница 22
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ОглавлениеDenn dieser Rolle konnten sie nicht mehr entkommen. Es tat nichts zur Sache, ob sie konvertierten, sich integrierten oder dass sie Bürger ihres Staates waren – sie gehörten nicht dazu. Keine Leistung war wichtig, keine Errungenschaft bedeutend genug, als dass dies ihren Status hätte ändern können. Ihre Rasse definierte sie. Der neue Hass gegen sie richtete sich damit noch stärker gegen ihre Existenz an sich. Von nun an schrieben Philosophen wie Houston Stewart Chamberlain in England oder Künstler wie Richard Wagner über die destruktive Rolle der Juden, ihre Unterlegenheit und ihre Absicht, Arbeit und Erfolge der »Arier« zu unterminieren. Das also, was Heinrich von Treitschke mit dem Slogan »Die Juden sind unser Unglück« beschrieben hatte. Dieses Gefühl prägte das Denken der Gesellschaftsmehrheit, vom Klempner bis zum Kaiser. Wilhelm II. las seinen Kindern als Bettgeschichte gern antisemitische Pamphlete vor, die damals bereits im Umlauf waren. Unter ihnen gab es bald die Protokolle der Weisen von Zion, die 1903 zuerst in Russland erschienen waren, sich nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland verbreiteten und angeblich Geheimdokumente eines Treffens von jüdischen Weltverschwörern enthielten. Sie gaben dem Denken, die Juden seien Zersetzer der Gesellschaft, neue Nahrung. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass sie, obgleich bereits in den dreißiger Jahren festgestellt wurde, dass es sich bei den Protokollen eindeutig um Fälschungen handelt, auch heute noch als Grundlage für Verschwörungsphantasien gegen die Juden genutzt werden. Immer noch halten sie weltweit Millionen von Antisemiten für authentisch.
In seinen Lebenserinnerungen schreibt auch Leo Trepp, dass schon während seiner Jugend in den zwanziger Jahren judenfeindliche Journale und Bücher in den Schaufenstern zu finden waren, und er erwähnt ebenfalls die Erinnerungen an seine Abiturklasse. Bereits 1930 schlossen seine Mitschüler ihn aus und machten ihm, wo sich Gelegenheit bot, klar, dass er als Jude anders zu behandeln sei als die Christen. In der Abschiedszeitung zum Abitur beschrieben sie ihn in beleidigender und feindlicher Weise.48 Die gebildete Bürgerschicht, Akademiker, Schulen, Universitäten – sie schufen das Fundament für den schleichenden Ausschluss der Juden aus der Gesellschaft.
Die Ermordung des Außenministers der Weimarer Republik, Walther Rathenau, im Jahr 1922 zeigte deutlich, wogegen sich der neue, nun auf der angeblich anderen Rasse beruhende Hass besonders richtete: Gegen Juden, die integriert waren, die als Deutsche das Land voranbringen und als Patrioten und Demokraten in ihm leben wollten. Das passte überhaupt nicht, wo man doch die jüdische Gemeinschaft als fremdes, schwächendes Element darstellte. Den Juden wurde entweder Ausbeutung der »Arier« oder aber ein teuflischer Plan unterstellt, mit dem sie Land und Bürger schwächen wollten – so auch in dem Fall des liberalen Politikers Rathenau, dem nationalistisch eingestellte, rechts-konservative Politiker vorwarfen, Deutschland in den Verhandlungen mit den Siegern des Krieges zu verraten. Alles, was Juden taten, konnte nun gegen sie verwendet werden. Die neue Theorie, getrieben von demselben Hass, der sich seit Jahrtausenden gegen die jüdische Gemeinschaft richtete, schuf die Grundlage für die Rassenpolitik der nationalsozialistischen Regierung.
Als ein staatenloser Maler namens Adolf Hitler sich anschickte, die Macht zu übernehmen, fand er eine Gesellschaft mit antijüdischen Ressentiments in allen Schichten vor. Ob Kirche, Universitäten, Kultur – überall habe man gegen »den jüdischen Geist« gekämpft, sagt der Historiker Dan Michman.49 Viele seien bereit gewesen, diesen Geist aus dem Land zu vertreiben, am besten aber die Juden selbst loszuwerden. Die Nationalsozialisten, überzeugt von der Überlegenheit der arischen Rasse und davon, dass die »Arier« vom jüdischen Volk in jeder Hinsicht ausgebeutet und bedroht würden, konnten ihr System der Ausgrenzung, Vertreibung, Versklavung und Ermordung der Juden etablieren, ohne auf größeren Widerstand in der Bevölkerung zu stoßen. Der Wunsch nach der Austreibung alles Jüdischen endete im industriell betriebenen Völkermord.