Читать книгу Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus - Gunda Trepp - Страница 8
»Ich kenne niemanden, der ein Problem mit Juden hat.«
ОглавлениеPolitiker betonen bei vielen Gelegenheiten, wie froh und stolz die Bundesrepublik sei, dass »jüdisches Leben wieder blüht«. Ist das wirklich so? Kann es gedeihen und wachsen? Können Juden ihr Judentum offen und selbstbewusst leben? Nicht wirklich. Seit dem Ende der Schoah waren jüdische Bürger nie sicher in dem Land, das in verbrecherischer Weise alles für ihre Auslöschung getan hatte. Als der deutsche Bundespräsident anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz eine Rede in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem hielt, sprach er auch an, was Juden beinahe täglich spüren. »Antisemitismus ist kein Randphänomen«, sagte Frank-Walter Steinmeier, und: »Die bösen Geister zeigen sich in neuem Gewand.« Es war richtig, dass der höchste Repräsentant der Bundesrepublik diese Wahrheit so offen aussprach. An einem Ort, der durch Erinnerungen an die Ermordeten, durch Haare, die man ihnen abschnitt, Nummern, die man ihnen einbrannte, und Koffer, die sie an einen Ort mitnahmen, von dem sie nie zurückkommen sollten, geprägt ist – an einem Ort also, der anhand unzähliger Gesichter, Orte und Dokumente erzählt, wie es enden kann, wenn ein Staat seine Aufgabe, alle Bürger zu schützen, nicht mehr wahrnimmt, und wenn Menschen ihre Mitmenschen nicht mehr zu schützen bereit sind. Und es wird Zeit, dass Bürger der Zusage Form und Inhalt geben, die der Präsident ebenfalls in Yad Vashem gab, nämlich jüdisches Leben zu schützen und Antisemitismus zu bekämpfen.1 Sie muss von den Bürgern getragen werden, denn der Staat, das sind die Menschen. Sie müssen die Versprechen, die Staatsvertreter in ihrem Namen geben, einlösen. Und damit sich jüdische Bürger in diesem Land sicher fühlen, müssen sie viel verändern. Die erste Voraussetzung ist: Die nichtjüdischen Bürger müssen bereit sein, das Problem zu erkennen und klar zu benennen.