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Antijudaismus

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Dass andere etwas auf Juden projizieren, ohne dass sie je in ihrem Leben einen jüdischen Menschen getroffen haben, und dass diese Projektion das Bild formt, das sie von Juden haben, wird uns immer wieder begegnen. Doch seit der Entstehung des Christentums wurden solche Vorstellungen durch Geschichten, Lehren und Deutungen ergänzt, die nicht nur in den offiziellen und öffentlichen Institutionen entworfen und gesponnen, sondern von diesen Einrichtungen, nämlich den christlichen Kirchen, über die Jahrhunderte kontinuierlich weitergeschrieben, ausgeschmückt und genutzt wurden, um die Bevölkerung gegen die Juden aufzubringen. Im Rahmen dieses Buches kann die große Rolle der Kirchen in der Geschichte des Judenhasses nur kurz und relativ oberflächlich dargestellt werden. Und doch kann man ohne den christlichen Antijudaismus den Antisemitismus nicht verstehen.

Als Jesus, der später als der Christus verstanden wurde, im ersten Jahrhundert in den von den Römern beherrschten Gebieten Galiläa und Judäa aufwuchs, gaben in der jüdischen Bevölkerung zwei Gruppen den Ton an, die Sadduzäer und die Pharisäer. Sie interpretierten Tora und mündliche Lehren auf unterschiedliche Weise, waren sich aber in ihrer Ablehnung einig, als Jesus begann, über seine Eingebungen zu predigen. Er hatte sich von Beginn an eher einigen Splittergruppen in der Gegend verbunden gefühlt, die wir mit ihren apokalyptischen Vorstellungen und ihrer asketischen Lebensweise, wie sie der Judaist Jeremy Cohen beschreibt, wohl als esoterisch bezeichnen würden.31 Insofern war Jesus, oder Jeschu ben Josef, wie er hieß, in seiner Jugend ein normaler Jude, der, wie man heute sagen würde, »auf der Suche nach sich selbst« war. Dass er dabei seine jüdische Identität nie infrage stellte, steht für seriöse Bibelforscher fest. Sie gehen davon aus, dass er in Nazareth geboren wurde und in dem kleinen Ort, der damals rund 200 Einwohner hatte, gemeinsam mit seinen Brüdern und Schwestern aufwuchs.

Erst als Jesus später stark von dem Täufer Johannes beeinflusst wurde, der über das Ende der Welt, wie die Menschen sie kannten, und von der anbrechenden Gottesherrschaft predigte, distanzierte sich seine traditionell gläubige Familie von ihm. Nachdem Johannes von den herrschenden Römern hingerichtet worden war, brach Jesus als Wanderprediger und Heiler auf. Er hielt Predigten über jüdische Themen wie die Liebe und die Vergebung Gottes. Und er glaubte ebenfalls, dass die Herrschaft Gottes auf Erden unmittelbar bevorstehe, hob Gebote der Tora auf und verschärfte andere. Er lebte strikt asketisch, scharte Anhänger um sich und belehrte die Autoritäten und Mitglieder des jüdischen Establishments, wo er nur konnte. Sadduzäer und Pharisäer sahen ihn als falschen Messias an, der sich zu viel herausnahm und Menschen gegen sie aufbrachte. Außerdem befürchteten sie, dass es zu Unruhen führen könne, wenn die Massen durch messianische Ideen eines neuen Wanderpredigers aufgeputscht würden. Denn erfahrungsgemäß gingen solche Tumulte für die Juden nicht gut aus. Ohne Rücksichtnahme bestraften die Römer die Beteiligten oft zu Hunderten auf die damals übliche Hinrichtungsart, nämlich durch Kreuzigung.

Die Römer sahen die Attraktivität des neuen Predigers für das einfache Volk bald tatsächlich als Problem. Denn nachdem manche Juden Jesu Worten zu glauben begannen, dass Gottes Herrschaft unmittelbar bevorstehe, stellten sie nicht nur indirekt eine Bedrohung für die Besatzungsmacht dar, die ihre Herrschaft damit verlieren würde. Die Überzeugung, dass das weltliche Leben bald vorbei sein würde und man vielleicht aktiv dazu beitragen sollte, schuf eine Radikalität des Denkens und Handelns, von der sich die aktuellen Herrscher konkret bedroht sahen. Der Statthalter Judäas, Pontius Pilatus, verurteilte Jesus als Aufrührer zum Tode. Wahrscheinlich im Jahr 30, so vermuten Theologen, nagelten die Römer den Juden Jesus von Nazareth ans Kreuz. Ohne die Apostel wäre sein Tod wohl geblieben, als was ihn laut dem Althistoriker Alexander Demandt der Senator und wichtigste römische Historiker dieser Zeit, Publius Cornelis Tacitus, charakterisierte: eine belanglose Begebenheit im Römischen Reich. »Der Urheber jenes Namens, Christus, wurde während der Regierung des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet«, notierte Tacitus.

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