Читать книгу Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus - Gunda Trepp - Страница 18

Das Positive liegt in der Abgrenzung

Оглавление

Es begann mit dem Apostel Paulus, der, als Jude geboren und als religiöser Pharisäer aufgewachsen, Jesus zu dessen Lebzeiten nie begegnet war. Nachdem er sich zu dem Glauben ›bekehrt‹ hatte, dass Jesus der Sohn Gottes und von den Toten auferstanden sei, zog er über die Lande, predigte zu Nichtjuden und gründete christliche Urgemeinden. Paulus, der bis zum Jahr 65 lebte, ging als erster davon aus, dass Heiden sich nicht mehr erst zum Judentum bekennen mussten, bevor sie Christen wurden. Denn die neuen Christen sollten nicht dem Juden Jesus folgen, der beschnitten und in einem koscheren Haushalt aufgewachsen war, sondern dem Christus. In einem Streit mit dem Apostel Petrus darüber machte Paulus klar, was er damit meinte.32 Auf keinen Fall könne man von den Heiden erwarten, sich zunächst zu judaisieren – womit er offensichtlich meinte, sich wie ein Jude zu verhalten, sagt der Historiker David Nirenberg.33 Damit war Paulus der Erste, der die Juden als ›die Anderen‹ darstellte und das Judentum als etwas vollkommen anderes als das Christentum und ihm gleichzeitig unterlegen. Das Positive am Christentum zeigt sich für Paulus laut Nirenberg am besten in der Abgrenzung zum Judentum. Da sich neu konvertierte Christen auf keinen Fall so verhalten dürfen wie die Juden, ist alles, was »die« tun, negativ besetzt: Wert zu legen auf die Einhaltung der Gesetze, auf die Beschneidung und Ernährungsvorschriften, oder auf die Bedürfnisse des Körpers und auf das weltliche Wohlergehen zu achten, musste infolgedessen nicht nur abgelehnt, sondern als Weg zur Judaisierung verachtet werden.34 Paulus deutet aber Nirenberg zufolge auch an, dass jeder Christ unter der Versuchung stehe, sich wie ein Jude zu verhalten. James Carroll beschreibt in Constantine’s Sword Antijudaismus deshalb auch als etwas, das neben der jüdischen Gemeinschaft den eigenen inneren Juden im Christen bekämpfe.

Zu dem Bedürfnis, sich über die Distanz zu Anderen selbst besser zu definieren, kam spätestens bei den Schreibern des Johannesevangeliums die Überzeugung, dass die Juden vom Teufel besessen seien. Die Wahrnehmung, dass die Juden auf der dunklen Seite stehen, wurde durch deren Kampf mit den Römern verstärkt, die die jüdischen Bürger nicht nur deshalb als Bedrohung sahen, weil sie ihrem Gott treu blieben, sondern weil dieser Gott auch auf die Nachbarn der Römer sehr anziehend wirkte und es immer wieder Übertritte zum Judentum gab. Nachdem die Römer zwei Kriege gewonnen, den Tempel zerstört und den Geschichtsschreibern Tacitus und Josephus zufolge anderthalb Millionen Juden getötet hatten, verboten sie die Beschneidung und benannten Judäa um in Palästina, nach den Philistern. Die Juden durften nicht mehr nach Jerusalem. In den Augen der Römer, so schreibt Wistrich, sei es »für die Juden damit eindeutig vorbei gewesen, als Volk in ihrem eigenen Land zu leben«.35

Allerdings ging die Besatzungsmacht zu dieser Zeit auch noch gegen christliche Gruppen vor. Wie Carroll darstellt, kam die radikale Wende, als das Christentum im Jahr 380 zur Staatsreligion wurde. Zu dem Bedürfnis der Christen, sich von den Juden zu unterscheiden, um selbst in einem helleren Licht dazustehen, kam von nun an die Notwendigkeit, sie und zwar ausschließlich sie, für den Tod Jesu verantwortlich zu machen. Denn wie konnte noch irgendetwas, das im Neuen Testament als negativ oder brutal geschildert wurde, den Römern zugerechnet werden, die ja immerhin Schutzherren der neuen Religion waren? So deckten sich nun also die Interessen von Christen und Römern. Demzufolge rückte die Rolle von Pontius Pilatus in den Interpretationen der Kirche immer mehr in den Hintergrund. Genauso, wie völlig aus dem Blick geriet, dass der Tod durch Kreuzigung eine Hinrichtungsart war, die ausschließlich die Römer anwendeten. Nun waren es die Juden, die den Tod Jesu zu verantworten hatten. Johannes Chrysostomos, im vierten Jahrhundert Erzbischof von Konstantinopel, war der erste wichtige Kirchenvater, der die Juden dafür – und vor allem dafür, dass sie Christus immer noch nicht folgen wollten – mit dem Leben büßen lassen wollte. Seine Acht Reden gegen die Juden seien von einem »abgrundtiefen Hass« gegen die jüdischen Bewohner geleitet, schreibt Leo Trepp.36 Für den Bischof sind alle Juden Mörder. In einer seiner Predigten heißt es: »Wenn auch damals gottlos gehandelt wurde, so war das, was verübt wurde, noch kein Todeswürdiges. Nun aber habt ihr alle alten Untaten in den Schatten gestellt durch die Raserei gegen Christus. Deshalb werdet ihr auch jetzt mehr gestraft.«37 Doch aus den Reden gehe laut Trepp auch hervor, dass es zwischen Christen und Juden Freundschaften und enge Kontakte gegeben habe, denen sich Chrysostomos mit aller Kraft entgegenstellte. Die jüdische Religion habe Menschen angezogen, und oftmals seien Christen zu Festen wie Pessach oder zu Feiern in der Synagoge gekommen. Das sollte sich im Laufe der Jahrzehnte durch die anhaltende Indoktrinierung ändern.

Augustinus, Bischof im nordafrikanischen Hippo, verlieh den Juden im späten vierten und zu Beginn des fünften Jahrhunderts eine neue Rolle. Sie waren immer noch verdammungswürdig, weil sie den richtigen Glauben ablehnten. Doch anders als viele andere Kirchenväter wollte er sie leben lassen. »Schlachtet sie nicht«, zitierte er aus den Psalmen.38 Aus seiner Sicht hatten die Juden, im Gegensatz zu den Häretikern und Heiden, immer noch einen Platz im göttlichen Plan: Sie sollten als versklavte, in der Vergangenheit verhaftete Menschen unter miserablen Lebensbedingungen zeigen, dass sie die Prophezeiungen ihrer eigenen Bücher nicht verstanden hatten. Die Christen dagegen waren der lebende Beweis, wie man die Hebräische Bibel, die nun das Alte Testament war, richtig und seligmachend liest – nämlich als Weg zum Neuen, also aktuellen und damit nun richtigen Testament.

Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus

Подняться наверх