Читать книгу Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus - Gunda Trepp - Страница 19
Nur geduldet. Bevorzugt in schwacher Position.
ОглавлениеAufgrund dieser ambivalenten Politik, die zudem von anderen Kirchenvätern nicht immer durchgehalten wurde, fiel es dem einfachen Volk schwer, zu verstehen, welche Zeitgenossen es denn nun abschlachten durfte, wenn sie sich dem Übertritt verweigerten, und welche nicht. Denn weiterhin predigten die Kirchenvertreter über die Schlechtigkeit und das Teuflische in den Juden. Kein Wunder, schreibt Peter Hayes, dass es so immer wieder zu Pogromen gegen die Juden gekommen sei, die von der Kirche oftmals scheinheilig verurteilt worden seien.39 Die Kreuzfahrer brachen dann endgültig mit Augustinus’ Regel, die Juden als Zeugen der Vergangenheit zu verschonen. Auf ihrem Weg nach Jerusalem überfielen sie zahlreiche jüdische Gemeinschaften, vor allem im Rheinland. Wer nicht konvertierte, starb durch das Schwert. Im zwölften Jahrhundert änderte sich das Bild, das die Mehrheit von den Juden hatte. Die Wirtschaft florierte, und da die Juden wegen zahlreicher staatlicher Restriktionen die meisten Berufe nicht ausüben und die Universitäten nicht besuchen durften, handelten sie mit Haushaltswaren und Vieh oder verliehen Geld. Vor allem Letzteres führte zu neuen Stereotypen und verschlechterte ihr Ansehen bei den anderen noch weiter.40
Doch nur wenig veränderte die Sicht der Kirche auf die Juden stärker als die in jener Zeit gewonnene Erkenntnis, dass diese den ihnen von Augustinus zugedachten Platz nie eingenommen hatten. Sie hatten die Rolle der hilflosen, in der Vergangenheit verharrenden Wesen, deren Wert hauptsächlich darin bestehen sollte, den Christen die eigene Überlegenheit zu bestätigen, in keiner Weise ausgefüllt. Im Gegenteil – sie hatten ihre eigene Religion immer wieder durchdacht, diskutiert und weiterentwickelt. Das Judentum lebte. Als Kirchenväter im zwölften und dreizehnten Jahrhundert mithilfe von Konvertiten zum ersten Mal den Talmud lasen, habe sie ein »Schock« durchfahren, so Jeremy Cohen. Nicht nur sahen sie, dass die Juden sich im Denken weiterentwickelt hatten, sie erkannten, dass es ein rabbinisches Judentum gab, es nach der Zerstörung des Tempels und die Vertreibung aus dem Land also die Rabbiner übernommen hatten, die Tora weiterzuentwickeln, wie der populäre Rabbiner Yitz Greenberg erklärt.41 Sie legten Regeln für die verschiedensten Lebensbereiche, die bisher nur mündlich überliefert worden waren, im Talmud nun schriftlich fest. Nach dem Abschluss des ersten Teils, der sogenannten Mischna, im dritten Jahrhundert entstanden weitere zahlreiche Kommentare. Über die Jahrhunderte setzten sich die Rabbiner mit den Texten auseinander und bezogen aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen in ihre Entscheidungen mit ein. Das aber habe für die Kirche geheißen, sagt Cohen, dass die Juden nicht nur Jesus als Erlöser zurückgewiesen hätten, sondern aus christlicher Sicht hatten sie durch ihr unabhängiges Denken und Modernisieren »das Gesetz von Mose durch das Gesetz der Rabbiner« ersetzt.42
Damit galten sie als Häretiker. Und für die Kirchenväter war nun klar, dass die Juden genau wussten, was sie taten, als sie den Heiland der Christen als ihren Erlöser ablehnten. Und dass sie Jesus ganz bewusst ans Kreuz gebracht hatten. Diese neue Haltung der Kirche veränderte die Dynamik und brutalisierte das Vorgehen gegen die Juden in jeder Weise. Menschen, die ihren eigenen Erlöser umbrächten, so beschreibt Cohen die kirchliche Haltung den Juden gegenüber ab dem dreizehnten Jahrhundert, seien zu allen möglichen furchtbaren Verbrechen fähig. Sie galten nun als die Teufel schlechthin. Angeblich wuchsen ihnen Hörner, Männer bluteten wie Frauen. Verleumdungen von Juden, die Kinder schlachten, Christen rituell ausbluten lassen, die Brunnen vergiften oder Hostien stehlen, um sie zu durchstechen und damit Jesus noch einmal zu töten, bekamen somit immer wieder neue Nahrung und sollten sich über Jahrhunderte halten. Bis ins neunzehnte Jahrhundert wurden Juden an verschiedenen Orten wegen Ritualmordes angeklagt und verurteilt. Viele dieser Mythen sind im kollektiven Bewusstsein erhalten geblieben und, in angepasster Ausdrucksweise, in den heutigen Antisemitismus eingeflossen.43