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Allianz gegen Russland:
Vom Krimkrieg zum deutsch-russischen Zerwürfnis

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Vom Osmanischen Reich verweigerte Schutzrechte für orthodoxe Popen und Gläubige, wie sie Russland als Reaktion auf die Entfernung eines silbernen Sternes von der Geburtskirche Jesus in Bethlehem gefordert hatte, waren der formale Auslöser für den Waffengang am nördlichen Ufer des Schwarzen Meeres. Er fand als »Krimkrieg« seinen Platz in den Geschichtsbüchern und dauerte von 1853 bis 1856. Während dieser Zeit fanden, bedingt durch technische Neuerungen und die schlechte Versorgungslage, die blutigsten und verlustreichsten Schlachten zwischen dem Napoleonischen Russlandfeldzug (bis 1815) und dem Ersten Weltkrieg (ab 1914) statt.

Geo- und machtpolitisch ging es, wie schon seit dem Ende des 17. Jahrhunderts, um die Aufteilung des Osmanischen Reiches, das von innen langsam erodierte und von außen immer mehr unter Druck kam. Erstmals tauchte im Osten Europas ein neuer »globaler Spieler« auf: Großbritannien. Das britische Herrscherhaus war entschlossen, seine und die Interessen der erstarkenden britischen Industrie im Raum zwischen Balkan und Schwarzem Meer wahrzunehmen und dafür auch entsprechend militärisch aufzutreten. Einem solchen Plan stand in erster Linie Russland entgegen. Also trieb man in London die Kriegspläne gegen Sankt-Peter­burg voran. Vorerst geschah dies indirekt, indem man Konstantinopel dazu drängte, Russland den Krieg zu erklären. Am 1. Oktober 1853 war es soweit. Fünf Monate später fuhren britische und französische Flottenverbände über die Dardanellen ins Schwarze Meer ein, landeten in der Bucht von Jewpatorija auf der Krim und nahmen die Hauptstadt Sewastopol ein. Odessa wurde einen ganzen Tag lang beschossen und dabei zerstört. Nach drei Jahren Schlachtengeheul standen 150.000 Soldaten aus Frankreich, Großbritannien und Sardinien auf der Krim. Russlands Armee war gedemütigt, die Schwarzmeerflotte versenkt.

Der Krimkrieg beendete die Vision von einem »Griechischen Projekt«, wie es Katharina II. imaginiert hatte. Der Zugang zum Mittelmeer, eine der wesentlichen Triebkräfte zaristischer Expansionsbestrebungen, blieb Russland verwehrt. Der Frieden von Paris 1856 goss die auf dem Schlachtfeld erlittene Demütigung in einen Vertrag. Darin verlor das Zarenreich seinen Zugang zur Donaumündung, Teile Bessarabiens sowie die Schutzmachtfunktion über Christen im Osmanischen Reich. Die 40 Jahre zuvor rund um den Wiener Kongress gegründete »Heilige Allianz« aus Österreich, Preußen und Russland zerbrach. Sankt-Peter­burg stand isoliert wie kaum zuvor auf der Weltbühne. Und das Russlandbild im Westen des Kontinents, aber auch in Deutschland, wandelte sich schlagartig. Nun fand sich Russlandhass nicht mehr nur unter Revolutionären und national orientierten studentischen Burschenschaften, die den Idealen der Französischen Revolution anhingen, sondern auch herrschende Kreise – allen voran das britische Königshaus und sein Regierungs­kabinett – entwarfen das Bild vom russischen Feind und dichteten ihm entsprechend negative Charaktereigenschaften an.

Die Einbußen im Westen konnte das Zaren­reich durch den Vormarsch in Zentral­asien nicht adäquat kompensieren. Zwar unterwarfen russische Truppen zwischen 1864 und 1885 turk­sprachi­ge Gebiete südlich von Sibirien bis hin zum Hindukusch,39 aber die Expansion stieß bald an innere und äußere Grenzen. Im Inneren kämpfte der Zar mit Aufständen eben eroberter Völkerschaften und deren Eliten; der äußere Widerstand war indes bedeutsamer, denn an der Nordgrenze Afghanistans begann der britische Einflussbereich, der weitere russische Erweiterungspläne Ende der 1880er Jahre zum Stillstand brachte. Der Vertrag von Sankt Petersburg 1907 schrieb die Demarkationslinie zwischen dem Zarenreich und dem Britischen Empire fest. Afghanistan wurde darin das Schicksal eines Pufferstaates zugedacht.

In den 1870er Jahren nutzte Russland nationale Erhebungen am Balkan, die sich gegen die Hohe Pforte und die Verwaltung des Sultans richteten, für einen weiteren Versuch, Einfluss in Südosteuropa zu erhalten. Dabei geriet es in direkte Konkurrenz mit Österreich-Ungarn, dem Deutschen Reich und Großbritannien. Im Februar 1878 standen zaristische Soldaten vor den Toren Konstantinopels. Und wieder war es das britische Königshaus, diesmal im Verein mit den Habsburgern aus Wien, das den Osmanen zu Hilfe eilte. London drohte dem Zaren mit einer Kriegserklärung und unterstrich dies durch eine massive Präsenz der britischen Flotte in den Dardanellen. Das hielt die Russen ab, das Zentrum Ostroms und der Osmanen im Sturm zu nehmen. Der Friedensschluss zwischen dem Zaren und dem Sultan vom 3. März 1878 in San Stefano bestätigte die territorialen Verluste des Osmanischen Reiches auf dem Balkan und die Gebietsgewinne Bulgariens, Serbiens und Montenegros. Er sollte nicht lange halten. Denn durch das Erstarken Russlands und seiner mit ihm sympathisierenden slawischen Staaten alarmiert trat Berlin auf den Plan und richtete nur drei Monate später eine große internationale Konferenz aus. Am 13. Juni 1878 fanden sich die Vertreter der europäischen Großmächte zur Eröffnung des Berliner Kongresses ein und gaben sich ein koloniales Stelldichein.40 Der Zar verlor an eben gewonnenem Einfluss, San Stefano wurde revidiert, die Osmanen – wenngleich stark geschwächt – im europäischen Spiel gehalten. Die in Berlin vereinbarte Neuordnung Südosteuropas brachte die internationale Bestätigung der staatlichen Anerkennung für Serbien, Montenegro und Rumänien. Großbritannien entriss dem »kranken Mann am Bosporus« Zypern. Österreich-Ungarn wurde das Besatzungsrecht für Bosnien-Herzegowina eingeräumt. Die Kartografen hatten Hochsaison; Europas Landkarte musste neu gezeichnet werden.

Die Parteinahme des österreichischen Kaisers für den Sultan rund um die russische Balkanpolitik entfremdete Wien von Sankt-Peter­burg. So verwundert es nicht, dass die sogenannte Bulgarische Krise des Jahres 1885/86, im Zuge derer der russische Einfluss zurückgedrängt wurde, einen geo­poli­ti­schen Frontenwechsel auslöste. Der nur für wenige Jahre – seit 1881 – bestehende und auf den Herrscherfamilien Romanow, Hohenzollern und Habsburg fußende Dreikaiserbund zerbrach. Zwar unterzeichneten der deutsche Kanzler Otto von Bismarck und der russische Außenminister Nikolaj de Giers im Juni 1887 ein gegenseitiges Stillhalte- oder Neutralitätsabkommen, ein als »Rückversicherungsvertrag« bekannt gewordenes Protokoll. Seine Geheimhaltung war indes schon der damals vorherrschenden antirussischen Stimmung im Deutschen Reich geschuldet. Und als Kaiser Wilhelm II. Bismarck schließlich im März 1890 entließ,41 war an eine Verlängerung des Rückversicherungsvertrages nicht mehr zu denken. Das änderte die deutsch-russische Beziehung grundlegend. Der Russland-Historiker Hans-Heinrich Nolte misst diesem Kurswechsel historische Bedeutung bei, wenn er schreibt, dass innerhalb von zwei Jahren aus Bundesgenossen potenzielle Gegner wurden. Er erklärt auch die wirtschaftspolitischen Hintergründe für diese bedeutende geopolitische Wende: »Auslösend für die Veränderung war vor allem die deutsche Führung, welche aufgrund ihrer durch Industrialisierung und Bevölkerungs­explosion überproportional angestiegenen Machtmittel glaubte, auf das auch im deutschen Nationalismus unpopuläre Freundschaftsverhältnis mit dem Haus Romanow nicht mehr angewiesen zu sein.«42 Russland wandte sich notgedrungen Frankreich zu und schmiedete ein Bündnis mit Paris. Es kann davon ausgegangen werden – und eine Reihe von Historikern bestätigt dies mit ihrer Arbeit –, dass mit dem 1894 beschlossenen französisch-russischen »Zweiverband« die geopolitischen Weichen am Vorabend des Ersten Weltkrieges neu gestellt wurden.

4 Hans-Heinrich Nolte, Kleine Geschichte Rußlands. Stuttgart 2003, S. 65

5 Offiziell wurde der Zarentitel erst 1547 anerkannt. Nolte 2003, S. 59; vgl. auch Andreas Kappeler, Russlands zen­tralasiatische Kolonien. In: Bert Fragner/Andreas Kappeler (Hg.), Zentralasien. 13. bis 20. Jahrhundert. Geschichte und Gesellschaft. Wien 2006, S. 139

6 Nolte 2003, S. 65f.

7 Hans-Heinrich Nolte, Deutsche Ostgrenze, russische Südgrenze, amerikanische Westgrenze. Zur Radikalisierung der Grenzen in der Neuzeit. In: Joachim Becker/Andrea Komlosy (Hg.), Grenzen weltweit. Zonen, Linien, Mauern im historischen Vergleich. Wien 2004, S. 62f.

8 Gespräch mit Alexej Klutschewsky am 30. September 2015

9 Christoph Schmidt, Bäuerliche Freiheit gegen Schollenpflicht. Schweden und Polen als konträre Muster auf dem Weg in die Neuzeit. In: Andrea Komlosy/Hans-Heinrich Nolte/Imbi Sooman (Hg.); Ostsee 700–2000. Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur. Wien 2008, S. 61, 72

10 Nolte 2003, S. 61

11 Ekkehard Klug, Das »asiatische« Russland. Über die Entstehung eines europäischen Vorurteils. Nach einem Gastvortrag am Seminar für osteuropäische Geschichte der Universität Köln, gehalten am 12. Dezember 1986, S. 273

12 Immanuel Geiss, Identität Europas. In: Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft und Kultur, Nr. 9/2004 (Stuttgart)

13 Andreas Kappeler, Ivan Groznyj im Spiegel der ausländischen Druckschriften seiner Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte des westlichen Rußlandbildes. Bern/Frankfurt am Main 1972, S. 242

14 Konstanty Zantuan, The Discovery of Modern Russia: Tractatus de duabus Sarmatiis. In: Russian Review 27 (1968), S. 327f.; zit. in: Klug 1986, S. 271f.

15 Klug 1986, S. 274

16 Gustav Bauch, Deutsche Scholaren in Krakau in der Zeit der Renaissance, 1460-1520, in: 78. Jahresbericht der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Breslau 1901, S. 2f. In: Klug 1986, S. 274

17 Andreas Kappeler, Die deutschen Flugschriften über die Moskowier und Iwan den Schrecklichen im Rahmen der Rußlandliteratur des 16. Jahrhunderts. In: Mechthild Keller (Hg.), Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 9.–17. Jahrhundert. München 1985, S. 170

18 Vgl. Wolfgang Geier, Europabilder. Begriffe, Ideen, Projekte aus 2500 Jahren. Wien 2009, S. 35

19 zit. in: Klug 1986, S. 275

20 zit. in: Klug, S. 279

21 vgl. Karl-Heinz Ruffmann, Das Rußlandbild im England Shakespeares. Göttingen 1952, S. 82

22 Vgl. z. B. Manfred Hilderheimer, Geschichte Russlands: Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution. München 2013, S. 281; siehe auch: Nolte 2033, S. 68f.

23 Nolte 2003, S. 71

24 Stefan Donecker, Konfessionalisierung und religiöse Begegnungen im Ostseeraum. In: Komlosy/Nolte/Sooman 2008, S. 98

25 Gespräch mit Alexej Klutschewsky am 30. September 2015

26 Jacques Margeret, Estat de L’Empire de Russie et Grande Duché de Moscovie. Paris 1669, VI. Zit in: Klug 1986, S. 289

27 Andreas Kappeler, Russland und Europa – Russland in Europa; in: Thomas Ertl/Andrea Komlosy/Hans-Jürgen Puhle (Hg.), Europa als Weltregion. Zentrum, Modell oder Provinz? Wien 2014, S. 100

28 Nolte 2003, S. 75

29 siehe: Guide of the Museum of the History of Zaporozhzhyan Cossaks. The national reserve »Khortitsya«. Saporoschschje o.J. (2004), S. 8

30 Nolte 2003, S. 77

31 Seit ihrer Gründung Mitte der 16. Jahrhunderts entwickelte sich die Elitetruppe mehr und mehr zu einem Staat im Staate. Nach mehreren Aufständen warf ihr Peter der Große Verschwörung vor und hielt ein martialisches Blutgericht. Siehe: Mathias Schreiber, Tyrannischer Aufklärer. In: Uwe Klußmann/Dietmar Pieper (Hg.), Die Herrschaft der Zaren. Russlands Aufstieg zur Weltmacht. München 2013, S. 62

32 Waldemar Guerrier, Leibniz in seinen Beziehungen zu Russland und Peter dem Großen. St. Peterburg/Leipzig 1873 (Nachdruck: Hildesheim 1975), S. 14f.; in: Hans-Heinrich Nolte/Bernhard Schalhorn/Bern Bonwetsch (Hg.), Quellen zur Geschichte Russlands. Stuttgart 2014, S. 91/92

33 Peter Rehder (Hg.), Das neue Osteuropa von A bis Z. München 1993, S. 505, 693

34 Edgar Hösch, Das sogenannte »griechische Projekt« Katharinas II. Ideologie und Wirklichkeit der russischen Orientpolitik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, Band 12 (Neue Folge), München 1964, S. 168f.

35 Nolte 2003, S. 115

36 Hannes Hofbauer/Viorel Roman, Bukowina, Bessarabien, Moldawien. Vergessenes Land zwischen Westeuropa, Ruß­land und der Türkei. Wien 1993, S. 57, 182f.

37 Dies berichtet Napoleon in einem Brief an seine Frau Marie-Louise am 16. September 1812. Zit. in: Klußmann 2013, S. 113

38 Peter Jahn, Befreier und halbasiatische Horden. Deutsche Russenbilder zwischen Napoleonischen Kriegen und Erstem Weltkrieg. In: Unsere Russen, unsere Deutschen. Bilder vom Anderen 1800 bis 2000. Berlin 2007, S. 17

39 Nolte 2003, S. 142

40 vgl. Hannes Hofbauer, Experiment Kosovo. Die Rückkehr des Kolonialismus. Wien 2008, S. 35

41 http://www.wilhelm-der-zweite.de/kaiser/kritik_bismarck.php (17.4.2015)

42 Nolte 2003, S. 146

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