Читать книгу Feindbild Russland - Hannes Hofbauer - Страница 8
Länder sammeln
ОглавлениеDas legendäre »Sammeln der russischen Erde«, wie es in jeder Historiografie Russlands ausführlich dargestellt ist, kann in erster Linie als Machtkampf des Moskauer Fürsten und Zaren um die Ausschaltung herrschaftlicher Konkurrenten interpretiert werden. Die ganzen 1470er Jahre hindurch benötigte Iwan III., um die im russischen Nordwesten bestehenden autonomen slawischen Fürstentümer unter Moskauer Kontrolle zu bringen. Jaroslawl, Rostow Weliki, Wladimir sowie die lange Zeit bedeutende, selbstständig agierende Stadtrepublik Nowgorod wurden gewaltsam annektiert und dem Moskauer Reich eingegliedert. Die Einnahme Twers gelang parallel zur Überwindung der mongolisch-tatarischen Oberhoheit im Jahre 1478. Der Aufstieg Moskaus zum Zentrum der russischen Welt war damit historisch besiegelt.
Gegen Ende seiner Regentschaft setzte Iwan III. das Ländersammeln im Nordwesten fort, indem er militärische Konflikte mit dem polnischen-litauischen Nachbarn eskalieren ließ. Die unter litauischer Heerführung kämpfende Allianz aus livländischer Konföderation und Deutschem Orden, Teilen der mongolischen Streitkräfte und Khan Achmat erlitt 1503 eine schwere Niederlage.9 Weite weißrussische Gebiete fielen daraufhin der Moskauer Kontrolle anheim. Kurz darauf erfolgte die Eingliederung Pskows und Rjasans in den Moskauer Staat unter dem Sohn Iwan des III., Wassili III., in den Jahren 1510 bis 1521. Eine Generation später saß Wassilis Sohn Iwan IV., genannt Grosny, der Schreckliche, auf dem Zarenthron. Seine Expansionsstrategie ließ er im Inneren von einem repressiven Regime begleiten, für das er eine eigene Verwaltungseinheit schuf, die Opritschnina.10 De facto war dies eine dem Zaren hörige Truppe von 5000 kampfbereiten Gardisten. Sie trugen schwarze Kleider und führten einen Hundekopf mit sich, der den »Feinden des Zaren« (den Hunden) zeigen sollte, wie sie mit ihnen umzugehen beabsichtigten. Die ordensmäßig organisierte Opritschnina wütete in weiten, aber genau abgegrenzten Teilen des Landes. Ihre Mitglieder gingen insbesondere gegen die Häupter jener Bojarenfamilien vor, die der Zar des Verrats im Krieg gegen die Livländer bezichtigte. An die Stelle der geschwächten Bojaren setzte Iwan IV. einen willigen Dienstadel, gut entlohnte Staatsbeamte. Und ganz nebenbei presste die Opritschnina noch aus dem Volk heraus, was die vergleichsweise selbstverwalteten Bauerngemeinden (mir) dem Zaren nicht zu geben bereit waren. Die Schreckensherrschaft im Inneren gegen Adel und Volk nutzte Iwan IV. für seine Erweiterungspläne im Nordwesten wie im Osten. Noch zur Herrschaftszeit Grosnys kamen die Wolga, Astrachan und die fruchtbaren Schwarzerde-Böden unter die Fittiche Moskaus. Ende des 16. Jahrhunderts stand das Tor zur Kolonisierung Sibiriens offen.
Zu dieser Zeit lebten fast 7 Mio. Menschen unter dem russischen Doppeladler im Einflussbereich des Moskauer Zaren; über 90% von ihnen von der Landwirtschaft.