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Aufruf zum Krieg gegen die Barbaren

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Generationen lang hielt sich bei liberalen Intellektuellen vor allem in Deutschland, aber auch in Großbritannien und Frankreich eine russophobe Einstellung. Weil ihnen das Zarentum als Hort der Reaktion galt, dichteten sie den Russen alle nur erdenklichen negativen Eigenschaften an, die Inkarnation des Fortschrittsfeindes inklusive.

Spiegelbildlich zum Russenhass in Westeuropa entstand in russisch-nationalen Kreisen Ende des 19. Jahrhunderts ein Europa- und Deutschland­skepti­zis­mus. Die ideologische Klammer dafür bildeten panslawische Ansätze. Der Panslawismus wurzelt in der Vorstellung, möglichst viele slawischen Völkerschaften unter russischer Herrschaft zu vereinen; der zehnte russisch-türkische Krieg 1877/78, im Zuge dessen Sankt-Peter­burg die staatliche Unabhängigkeit Bulgariens vom Osmanischen Reich durchsetzte, wirkte als Beschleuniger zur Gründung erster panslawischer Vereinigungen.53 Wenn auch am Berliner Kongress 1878 der Traum von einem großen Bulgarien zurechtgestutzt wurde, die Idee des Panslawismus war geboren und lebte weiter. Seine geistige Kraft schöpfte er aus der griechischen Philosophie54 und der russischen Literatur. Seine orthodoxe Identität fußte auf der Einheit von zaristischer Selbstherrschaft, Kirche und Volkstum; sie stand in scharfer Abgrenzung zur westlich-bürgerlichen, laizistischen, als dekadent empfundenen Vertragsgesellschaft, die das römische Recht über kollektive Strukturen wie Familie oder Gemeinde stellte. Auch die Kritik am westlichen Individualismus speist sich aus dieser geistigen Tradition. Als ihr Vordenker kann der Minister für Volksaufklärung und Präsident der Akademie der Wissenschaften, Sergej Uwarow, genannt werden. Er verband die Kritik am individualisierenden Charakter westeuropäischer Gesellschaften in den 1830er- und 1840er Jahren mit einem Aufruf für ein starkes Russland, das sich davon distanzieren sollte. Seine Ideen fasste er mit der Doktrin »Orthodoxie, Autokratie, Nationalität«55 zusammen. In seinem Werk Études de Philosophie et de Critique schrieb er: »Infolge des schnellen Verfalls der religiösen und politischen Institutionen in Europa bei gleichzeitiger Ausbreitung zerstörerischer Auffassungen (…) mußte das Vaterland auf einer festen Basis gestärkt werden. (…) Es mußten die heiligen Überreste eines Volkstums zur Einheit zusammengefaßt werden, um darauf den Anker zu unserer Rettung zu befestigen.«56

Einer der führenden Panslawisten der 1860er Jahre, Nikolaj Danilewski, entwickelte eine Typologie der Kulturen, in der Europa – gemeint ist Westeuropa – als absteigende und das von Russland geführte Slawentum als aufsteigende Kraft gesehen wurde.57 Dem Russlandforscher Andreas Kappeler zufolge war die stark betonte Distanz der Panslawisten zu »Europa« jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Selbstwahrnehmung des Russischen als etwas Asiatischem. Der slawische Volkscharakter galt ihnen im Gegenteil als das bessere Europäische, das die zerstörerischen Irrwege des Westens vermeiden und den Kontinent wieder auf eine wahrhaftige – christlich spirituelle und sozial kollektive – Basis stellen sollte.58

In westeuropäisch-liberalen Kreisen kamen die panslawischen Ideen als Bedrohung an, auf die schnell und scharf reagiert werden musste. Erste Aufforderungen, dem geopolitisch konsolidierten und ideologisch erstarkenden Russischen Reich auch militärisch entgegenzutreten, ließen nicht lange auf sich warten. Ganz besonders tat sich bei der Kriegshetze gegen Russland General Friedrich von Bernhardi hervor. Der aus estnischem Adel stammende, 1849 in Sankt-Peter­burg geborene preußische Kavalleriegeneral galt am Ende seiner Laufbahn als führender deutscher Militärhistoriker. In seinem erstmals 1912 erschienenen Buch Deutschland und der nächste Krieg59 rief er zur militärischen Niederwerfung Frankreichs und zur Eroberung von Siedlungsgebieten im von Russland kontrollierten Osten auf. Bedauernd stellte er fest, dass dieser von ihm als Notwendigkeit dargestellten Expansion die aktuelle Friedfertigkeit der Deutschen gegenüber stünde, weshalb er in einem eigenen Kapitel »das Recht zum Krieg« einforderte. Schon 1890 ortete er den Russen als »wahren Nationalfeind« und verfasste damals anonym ein Kriegspamphlet, in dem es hieß: »Kampf des Germanentums gegen den Panslavismus, das wird das Wahrzeichen der nächsten Geschichtsepoche sein«.60 Sein Wunsch sollte sich in grausamer Weise im Ersten Weltkrieg erfüllen, für den er übrigens als bereits pensionierter General reaktiviert wurde.

Friedrich von Bernhardi, dessen Kriegshetze in mehreren Auflagen erschien, war nur einer von vielen Russenhassern, die Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges in das große Völkerschlachten trieben. Ein weit verbreitetes antislawisches Ressentiment half ihm dabei. Auch die Sozialdemokratie argumentierte ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten am 4. August 1914 mit Aufrufen zum Kulturkampf des Guten (der Deutsche) gegen das Böse (der Russe). »Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich«, lautete die Losung der SPD-Reichstagsfraktion an jenem 4. August.61 August Bebel, Ko-Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, hatte sich schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Vorahnung kommender Völkerschlachten auf die deutsche Seite gegen Russland gestellt. Während des Parteitages in Essen Mitte September 1907 stellte er sich hinter eine Russen-feindliche Rede seines Parteifreundes Gustav Noske und meinte: »Vor etwa sieben Jahren führte ich aus, daß, wenn es zu einem Kriege mit Rußland käme, das ich als Feind aller Kultur und aller Unterdrückten nicht nur im eigenen Lande, sondern auch als den allergefährlichsten Feind von Europa und speziell für uns Deutsche ansehe, (…) dann sei ich alter Knabe noch bereit, die Flinte auf den Buckel zu nehmen und in den Krieg gegen Rußland zu ziehen. Man mag darüber lachen, aber mir war es mit dem Wort bitter ernst.«62

Zur argumentativ vorgetragenen Abscheu vor dem »zaristischen Despotismus« gesellte sich eine gehörige Portion Rassismus. Dem ließen die Sozialdemokraten im Sommer 1914 auch publizistisch freien Lauf. Sie hieß es etwa in der Bergarbeiterzeitung, man erhoffe nichts sehnlicher als den Frieden, könne aber »nicht wünschen, daß Kosakentum und echtrussisches Knutenregiment den Sieg über Deutschland davonträgt.«63

Mühelos schaffte das Feindbild des »despotischen Zaren« die Transformation zum »russischen Barbaren«.

43 Immanuel Wallerstein, Der Siegeszug des Liberalismus (1789–1914). Das moderne Weltsystem IV. Wien 2012, S. 169

44 Peter Jahn, Befreier und halbasiatische Horden. Deutsche Russenbilder zwischen Napoleonischen Kriegen und Erstem Weltkrieg. In: Unsere Russen, unsere Deutschen. Bilder vom Anderen 1800 bis 2000. Berlin 2008, S. 15

45 Darstellung der denkwürdigsten europäischen Weltereignisse vom Jahr 1789 bis auf unsere gegenwärtigen Tage. Memmingen 1824/25, Bd. 6, S. 427. Zit. in: Jahn 2008, S. 16

46 Dmitrij Tschischewski/Dieter Groh (Hg.), Europa und Russland. Texte zum Problem des westeuropäischen und russischen Selbstverständnisses. Darmstadt 1959, S. 84f.; zit. in: Hans-Heinrich Nolte/Bernhard Schalhorn/Bernd Bonwetsch (Hg.), Quellen zur Geschichte Russlands. Stuttgart 2014, S. 193

47 Manfred Alexander, Kleine Geschichte Polens. Bonn 2005, S. 202

48 Andreas Kappeler, Russland und Europa. Russland in Europa. In: Thomas Ertl/Andrea Komlosy/Hans-Jürgen Puhle (Hg.), Europa als Weltregion. Zentrum, Modell oder Provinz? Wien 2014, S. 102

49 zit. in: Jahn 2008, S. 18

50 Friedrich Engels, Deutschland und der Panslawismus. Marx-Engels-Werke, Bd. 11, S. 198. Zit. in: Hans-Heinrich Nolte, »Drang nach Osten«. Sowjetische Geschichtsschreibung der deutschen Ostexpansion. Köln/Frankfurt a. M. 1976, S. 41

51 Jahn 2008, S. 19

52 E. von Seydlitz, Geographie. Ausgabe B, Kleines Lehrbuch. Breslau 1908, S. 243f. Zit in: Jahn 2008, S. 25

53 http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Russlands (19.4.2015)

54 Nolte 2003, S. 446

55 http://de.sputniknews.com/german.ruvr.ru/radio_broadcast/54791151/79833725/ (11.11.2015)

56 Sergej Uwarow, zit. in: Nikolaj Zimbajew, Zur Entwicklung des russischen Nationalbewußtseins vom Aufstand der Dekabristen bis zur Bauernbefreiung. In: Andreas Kappeler (Hg.), Die Russen. Ihr Nationalbewußtsein in Geschichte und Gegenwart. Köln 1990, S. 41; zit in: Petra Stykow, Slawophile und Westler – die unendliche Diskussion. In: Michael Brie/Ewald Böhlke, Rußland wieder im Dunkeln. Ein Jahrhundertstück wird besichtigt. Berlin 1992, S. 110

57 vgl. Alexander von Schelting, Russland und der Westen im russischen Geschichtsdenken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Bd. 43). Wiesbaden 1989, S. 79ff. Zit. in: An­dreas Kappeler, Russland und Europa. Russland in Europa. In: Thomas Ertl/Andrea Komlosy/Hans-Jürgen Puhle (Hg.), Europa als Weltregion. Zentrum, Modell oder Provinz? Wien 2014, S. 105

58 Kappeler 2014, S. 104

59 Friedrich von Bernhardi, Deutschland und der nächste Krieg. Stuttgart 1912

60 zit. in: Jahn 2008, S. 25

61 Verhandlungen des Reichstags. XIII. Legislaturperiode. II. Session. Stenographische Berichte. Bd. 306, Berlin 1916

62 August Bebel auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 15.–21. September 1907. Zit. in: Franz Klühs, August Bebel. Der Mann und sein Werk. Hamburg 2013, S. 77

63 Bergarbeiter-Zeitung, Nr. 32 vom 3. August 1914

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