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Russische Reichsbildung

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Beginnen wir unseren historischen Rückblick mit dem Jahr 1480. Es steht für eine bedeutende Zäsur in der russischen Geschichte. Jahrhunderte waren vergangen, seitdem der schleichende Niedergang der Kiewer Rus zur Mitte des 11. Jahrhunderts die mittelalterliche Reichsbildung in Vergessenheit geraten ließ. Vom Glanz des einstigen Kiew mit seinen 100.000 Ein­wohnerIn­nen war schon lange vor der Ankunft der Mongolen nicht mehr viel übrig geblieben. Die Eroberung der alten Hauptstadt im Dezember 1240 durch die »Goldene Horde« gilt bis heute als russisches Trauma.

240 Jahre später schüttelte ein Regent aus dem Moskauer Zweig der Rurikiden-Familie die mongolisch-tatarische Oberherrschaft ab. Unter ihr hatte sich zwar eine gewisse politische Autonomie und religiöse Selbstverwaltung behaupten können, die Tributpflicht gegenüber dem Khanat blieb jedoch ökonomisch bestimmend. Unter Iwan III. fanden die Tributzahlungen an die Tataren, die sich zu Herrschaftsträgern4 der »Goldenen Horde« entwickelt hatten und in deren Fußstapfen getreten waren, im Jahr 1480 ein Ende. Dies war nicht zuletzt der Zersplitterung tatarischer Reiche in die Khanate Kasan, Astrachan und Krim geschuldet. Ihre Raubzüge und Sklavenjagden blieben indes für ein weiteres Jahrhundert eine bestimmende Konstante im Leben der Moskowiter. So überfielen noch im Mai 1571 Einheiten der Krimtataren Moskau und brannten es nieder. Die oberherrschaftliche Stellung der turksprachigen Tataren-Khane endete allerdings 1480.

Bereits einige Jahre vor dem Ende der Tributpflicht, die in der russischen Literatur als »Tatarenjoch« bezeichnet wird, sandte Iwan III. kräftige Zeichen einer Konsolidierung der slawisch-russischen Herrschaft an das eurasische Kernland. 1472, knapp zwei Jahrzehnte nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen (1453), ehelichte er die letzte byzantinische Prinzessin, Sophia Palaiologa, genannt Zoe. Durch diese Verbindung sah sich der russische Führer in den Rang eines byzantinischen »Selbstherrschers« gehoben, einen Titel, mit dem sich Iwan III. in die (ost)römisch-christliche Traditionslinie setzte. Wie der Kaiser im Westen Europas legte sich das russische Fürstengeschlecht einen Doppeladler als Wappentier zu und ließ sich mit »Großfürst und Zar«, der russischen Entsprechung von Cäsar, ansprechen.5 Es sollte noch weitere 100 Jahre dauern, bis mit der Einsetzung eines Moskauer Patriarchen im Jahre 1589 die politische und territoriale Konsolidierung Russlands auch kulturell und religiös ihre Entsprechung fand. Seit damals postuliert das Moskauer Patriarchat mit seiner Erhebung zum »Dritten Rom« einen christlich-universellen Herrschaftsanspruch. Die orthodoxe Mission kennt im Gegensatz zur weströmisch-katholischen nicht Feuer und Schwert, war also weniger gewalttätig.6 Sie beruhte im Kern auf wirtschaftlichem Druck. Religiöse Toleranz und die Kooptierung von nicht-russischen Eliten gehörten bis ins 18. Jahrhundert zur Herrschaftspraxis. Erst unter dem Einfluss des Westens kam es zu Zwangsmissionierungen von muslimischen Tataren an der Wolga und von »heidnischen Völkern« in Sibirien.7 Sie verliefen allerdings weit weniger aggressiv als in den Amerikas.8 Vertreibungen von Andersgläubigen fanden kaum statt, was auch einen ökonomischen Sinn hatte. Dem orthodoxen Herrscher waren Steuer- und Tributleistungen der Untertanen wichtiger als ethnische oder religiöse Homogenität.

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