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Der Minister und die Doktorarbeit
ОглавлениеGeamtet aber werden die Afrikaner erst seit kurzem. Hatten die Kolonialvölker denn wirklich keine Möglichkeit, ihre afrikanischen Länder durch eine klügere Politik Europa zu erhalten?
Als ich den jungen Ernest Boka, Erziehungsminister der Elfenbeinküste, fragte, wie er den Kolonialismus in der Gesmichte Westafrikas beurteile, antwortete er zu meinem Erstaunen:
„Sehen Sie, im arbeite gerade an meiner Dissertation, und der Kolonialismus ist mein Thema. Im glaube, er ist eine Erscheinungsform der menschlichen Entwicklung im allgemeinen und nicht den Europäern vorbehalten. Schauen Sie sich Liberia an, dort haben Afrikaner ihre eigenen Brüder versklavt, smlimmer als die Europäer es selbst in den schlimmsten Zeiten taten.“
„Dann hat also der sogenannte Kolonialismus Ihrer Meinung nach für Westafrika seine geschichtliche Berechtigung?“
„Ich glaube ja. Wir alle wissen, daß er seine barbarischen Seiten hatte, daß aber umgekehrt die bleibenden Werte, die er geschaffen hat, doch überwiegen: die Sprache der kolonisierenden Völker als Band und Verständigungsmittel, die Beendigung der Streitigkeiten zwismen den einzelnen Stämmen und natürlich die Errichtung von Plantagen und Industrieanlagen, der Bau von Städten, Häfen, Krankenhäusern. Wir verdanken den Franzosen sehr viel.“
Boka glaubt wie ich nicht daran, daß der Intellekt der Afrikaner dem der Europäer nachsteht. Bei gleichen Voraussetzungen – gleicher Schulung und Ausbildung – könnte die schwarze Rasse geistig das Gleime leisten wie die Weißen.
Der Erziehungsminister hat in Grenoble Rechtswissenschaften studiert. Den steten Mangel an französischen Lehrern versucht er, zuweilen durch persönlich abgeschlossene Kontrakte mit französischen Lehrerinnen zu beheben. Großzügig stellt er den jungen Damen ab und zu eine seiner Villen als Wohnung zur Verfügung, in der Hoffnung, daß seine Gastfreundschaft entgolten wird. Aber auch bei Französinnen kann man sich täuschen; wenigstens lachte man in Abidjan damals gerade über eine Ohrfeige, die der Minister in seinem Haus empfangen haben sollte. Diese Geschichte gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man die vielen, ausgesucht hübschen jungen Damen sieht, die in seinem Vorzimmer aus- und eingehen.
Daß die Franzosen in zahlreichen Ländern ihrer riesigen überseeischen Gebiete sehr Beachtliches geleistet haben, kann keiner abstreiten. Man denke allein an Marokko. Die Elfenbeinküste liegt zwar weiter entfernt von der französischen Metropole, und ihr Klima lockt weniger Siedler herbei, aber man muß dennoch den Aufschwung dieses Landes, das die Franzosen erst kurz vor der Jahrhundertwende erwarben, nach dem Zweiten Weltkrieg bewundern.
Abidjan selbst hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt; etwa 10.000 Franzosen und über 120.000 Eingeborene sind heute dort ansässig. Straßen und Eisenbahnen ziehen sich durchs Land; Afrikaner wie Weiße haben im Regenwaldgebiet der Küste oder in der Savanne des Hinterlandes ungezählte Plantagen angelegt. Die Elfenbeinküste könnte eines der reichsten Länder der Welt werden, wenn ihr mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stünden, denn 2,5 Millionen Einwohner sind für ein Gebiet, das so groß ist wie Norwegen und so ertragreich wie ein Treibhaus, viel zu wenig.