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Blutrausch im Regenwald

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Tagelang segelte ich an dem riesigen Nigerdelta mit seinem Fluß- und Inselgewirr entlang, das einst Sklavenhändlern wie Sklaven ideale Verstecke bot. Noch vor 80 Jahren nahmen in dieser Gegend spanische und portugiesische Sklavenschiffe ihre schwarze Fracht auf und machten sich dann so schnell wie möglich aus dem Staube, weil englische, amerikanische und französische Fregatten und Korvetten hinter ihnen her waren.

Gewiß, die Sklavenjäger haben dem Lande entsetzlich geschadet – aber wurden ihre Grausamkeiten nicht noch übertroffen durch die Massenschlachtungen, die der Herrscher von Benin ungefähr zur gleichen Zeit im Hinterland des Nigerdeltas an seinen eigenen Untertanen vornehmen ließ? Oder durch die Mordgier des Königs von Dahomey und seiner blutrünstigen Amazonentruppe? Dieser Unmensch ließ noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts Tausende und Abertausende von Menschen schlachten oder einem Fetisch opfern und fand persönliches Vergnügen daran, immer neue, raffiniert ausgetüftelte Varianten des Mordens zu ersinnen.

Nach zwei Tagen Fahrt kam das Leuchtfeuer auf Kap Formoso in Sicht. Es liegt etwa in der Mitte der 450 Seemeilen langen Strecke zwischen Lagos und Santa Isabel, der Hauptstadt der spanischen Insel Fernando Póo. Obwohl ich in der belebten Dampferstraße segelte, konnte ich weder tags noch nachts ein Schiff ausmachen – der Harmattan umgab mich wie eine ditke Watteschicht und raubte mir jegliche Sicht. So hieß es doppelt aufpassen.

Nach weiteren zwei Tagen schretkten mich um vier Uhr morgens laute Brandungsgeräusche auf, ich suchte verzweifelt, die Dunkelheit mit meinen Blitken zu durchdringen, doch es war nichts zu erkennen, gar nichts. Erst im Morgengrauen machte ich im Harmattan und Dunst den dunklen Schatten des Kap Europa an der Nordwestetke von Fernando Póo aus; laut Handbuch wirft dort ein Leuchtturm sein Feuer über 20 Seemeilen weit in die Nacht. Aber bei diesem mörderischen Guinea-Nebel hatte ich nachts kaum meine Hand vor den Augen sehen können, geschweige denn den Lichtfinger des Leuchtturms!

Im Meer hatte ich inzwischen zahlreiche Kokosnüsse entdetkt, die vom Steilufer ins Wasser gefallen waren. Mit dem Ketscher fischte ich mir ein paar davon aus dem Wasser; sie waren alle noch frisch! Kokosnüsse können sich im Meer bis zu einem Jahr keimfähig halten – bis sie auf ein einsames, ödes Inselchen getrieben und zu Ahnherren eines neuen Kokosnußhaines werden.

Einige Stunden später rasselte der Anker in dem halbkreisfönnigen Krater, der den Hafen von Santa Isabel bildet, in die Tiefe. Neben mir lag ein Thunfischfischer aus Bilbao, weiter im Osten dümpelten sampaähnliche Schmugglereinbäume, die aus dem Nigerdelta kamen, um auf Fernando P60 billig Tabak und Alkohol einzuhandeln, den sie im britischen Gebiet weiterverkaufen.

Fernando P60 ist nur 17 Seemeilen vom Festland entfernt. Ich hatte mich schon auf den Anblick des großen Kamerunberges gefreut, den bereits der karthagische Suffet Hanno rund 1900 Jahre vor den Portugiesen mit seiner kleinen Expedition gesehen haben soll. Jedoch der Nebel verhinderte jede Fernsicht.

Die drei anderen Inseln in der Bucht von Biafra, der äußersten Ostecke des Golfes von Guinea, sind Principe, São Tomé und AnnobÖn. Sie erstrecken sich wie Fernando P60 mit den Festlandsgebirgen, den Kamerunbergen und den Baluebergen, in einer Richtung: von Nordosten nach Südwesten. In prähistorischen Zeiten waren alle Vulkane dieser Gebirgskette aktiv. Heute rumort es nur noch in Kamerun, die anderen Vulkane sind kalt, ihre Krater haben sich mit Wasser gefüllt und bilden paradiesische Seen, die nur den einen Nachteil haben: sie liegen so abseits von aller Welt, daß kaum jemand den Weg zu ihnen findet.

Alle Inseln waren früher einmal in portugiesischem Besitz. Später sind Fernando P60 und das Inselchen Annobon im Austausch für südamerikanische Gebiete an Spanien gefallen. England wollte den Spaniern Fernando Pbo streitig machen und bot ihnen als Entschädigung eine karibische Insel an, die – ebenfalls zu Spanien gehörte! Kenner historischer Begebenheiten werden sich eines ähnlichen Falles erinnern: Helgoland und St. Croix …

Die Urbevölkerung von Fernando P60 stammt V01.1 Festland, das sie wahrscheinlich auf der Flucht vor kriegerischen Stämmen verlassen hat. Man unterscheidet mehrere Stämme, die unter dem Sammelnamen „Bubi“ zusammengefaßt werden. Und diesen Bubis sagt man in allen Büchern nach, sie seien degeneriert. Mir schienen sie genauso intelligent zu sein wie die Spanier; es gibt unter ihnen sogar Akademiker, die „emanzipiert“ sind, die also die gleichen Rechte wie die Spanier besitzen.

Fernando Pbo ist zum größten Teil für die Plantagenwirtschaft erschlossen. Fincas reihen sich an Fincas, Kakaobäume an Kaffeesträucher, Bananenstauden an Manilahanf – so daß der Laie das eine kaum vom anderen unterscheiden kann. Infolge dieser intensiven Plantagenwirtschaft braucht die Insel stets dringend Arbeitskräfte, koste es sie, was es wolle.

Von den liberianischen Arbeitssklaven hört und sieht man nichts mehr. Nur von einem erzählte man mir: er hatte sich eine Farm gekauft und war inzwischen so reich geworden, daß er seine Kinder in Madrid zur Schule schicken konnte. Das Los der Afrikaner ist im Vergleich zu dem der Landarbeiter auf der Iberischen Halbinsel nicht schlecht.

Im Süden der Insel, an der schönen Bucht von San Carlos, traf ich eine deutsche Dame, die sich seit dem letzten Kriege auf Fernando Pöo eine größere Faktorei aufgebaut hat. Als ich mich vorstellen wollte, fiel sie mir ins Wort: „Halt! Ich kenne Sie! Keinen Namen sagen!“

Ich war rasiert und trug unauffällige Kleidung und fühlte mich somit völlig „inkognito“. In jedem Hafen war ich auf Leute gestoßen, die zumindest von dem Arzt gehört hatten, der mit Hilfe der Hypnose in einem Faltboot den Atlantik überquert hatte. Aber diese Dame argumentierte anders: „Sie riechen nach Meer … Sie kommen aus Hamburg und haben La Corufia passiert!“

Des Rätsels Lösung: ein halbes Jahr zuvor, in La Corufia, hatte ein Herr aus Fernando P60 meine Eintragung in das Gastbuch des Yachtclubs – darunter meine geplante Reiseroute – gelesen und flugs seine Inselfreunde benachrichtigt. So war ich schon lange vorangemeldet. Kein Mensch kann heutzutage mehr inkognito reisen …

In Santa Isabel kam ich gerade zu einem Ereignis zurecht, das man seit Monaten mit Sehnsucht erwartet hatte: zum ersten Mal in der Geschichte der Insel fand ein Stierkampf statt.

Die Toreros waren eigens zu diesem Zwecke aus Spanien angereist. Schwarz und Weiß begrüßen sie voller Jubel. Die Begeisterung der Zuschauer war so groß, daß sie auf die Mangobäume kletterten, um besser sehen zu können. Sie krachten dann auch mitten in der Corrida mit Geschrei zu Boden, und einige von ihnen mußten mit gebrochenen Knochen ins Krankenhaus abtransportiert werden.

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