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Deutsches Vaterland:
Der Kampf gegen die österreichische Nation
ОглавлениеWährend des Präsidentschaftswahlkampfes bestritt Norbert Hofer ausdrücklich, dass seine Burschenschaft die österreichische Nation ablehne. „Hier liegt offenbar eine bewusste Fehlinformation vor. Meine Verbindung, bei der ich Ehrenmitglied bin, hat die österreichische Nation niemals abgelehnt“, formulierte er forsch die belegbare Unwahrheit.19
In ihrer Gründungsfestschrift bezeichnet die Marko-Germania zu Pinkafeld, wie andere Burschenschaften auch, die österreichische Nation als „geschichtswidrige Fiktion“, die nach 1945 „in den Gehirnen der Österreicher festgepflanzt“ worden sei. Sie bekennt sich zum „deutschen Vaterland, unabhängig von bestehenden Grenzen“, verpflichtet ihre Mitglieder, sich „für die freie Entfaltung des Deutschtums einzusetzen“ und dabei „alle Teile des deutschen Volkes zu berücksichtigen“.20
Die deutschnationale Standortbestimmung schließt nahtlos an Jörg Haiders Ausspruch von der „Missgeburt“ der österreichischen Nation an, mit dem dieser ein Zitat von Adolf Hitler aus Mein Kampf übernommen hatte.21
In einem 2005 erschienenen Handbuch des Dachverbandes Deutsche Burschenschaft22, dem die österreichischen Burschenschaften angehören, liest man es ähnlich: Die Österreicher seien Deutsche, folglich sei Österreich ein „deutscher Staat“. Die europäischen Grenzen seien „einseitige Verletzungen des Völkerrechts“, weil „keine freiwillige Abtretung der deutschen Ostgebiete“ stattgefunden habe.23
Die rechtsextreme Ausrichtung der österreichischen Burschenschaften und ihr Eintreten für die Wiedererrichtung Großdeutschlands hat 1996 zur Spaltung geführt. In Deutschland verließen zahlreiche liberale Bünde den Dachverband, um sich als Neue Deutsche Burschenschaft (NDB) vom „braunen Block“24 der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) abzugrenzen.* Dieser tritt unbeirrt für ein Deutschland in den Grenzen von 1939 ein.25
Hofers Burschenschaft ist nicht die einzige, die sich zu diesen Grundsätzen bekennt. Die Marko-Germania Graz lässt auf ihrer Homepage den freiheitlichen Gemeinderat Armin Sippel mit dem Leitspruch werben: „Deutsch sein bedeutet für uns das Bekenntnis zum Deutschen Volk in unserer österreichischen Heimat. Nur wer deutsch ist, erfüllt die Voraussetzungen, Mitglied in unserer Gemeinschaft zu werden.“26
Deutschtümelei und „Herrenrassen-Bewusstsein“ haben bereits die Wegbereiter der Burschenschaften als oberste Prinzipien ausgegeben. Der bis heute als Vordenker burschenschaftlichen Selbstverständnisses verehrte Schriftsteller und Historiker Ernst Moritz Arndt (Corps Rhenania, Bonn, Namensgeber der pennalen Burschenschaft Ernst Moritz Arndt, Greifswald), schrieb 1813 in seinem Deutschen Volkskatechismus: „Die Deutschen sind nicht durch fremde Völker verbastardet, sie sind keine Mischlinge geworden, sie sind mehr als viele andere Völker in ihrer angeborenen Reinheit geblieben.“
Bis heute berufen sich Burschenschafter auf geistige Wegbereiter wie Johann Gottlieb Fichte. Der deutsche Philosoph und Erzieher hatte formuliert: „Die Deutschen sind das auserwählte Werkzeug und Volk Gottes“, was Kaiser Wilhelm II. in seiner berüchtigten „Hunnenrede“ aufgriff: Den berühmt gewordenen Satz „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht“ werten Historiker als Vorgriff auf die Verbrechen des Faschismus.27
Auch die Mensur geht auf solche Vorbilder zurück. Durch sie verursachte Schmisse gelten Burschenschaftern als Beleg dafür, notfalls ihr Blut „für das deutsche Vaterland“ zu geben. „Nur dieser Symbolcharakter macht den Wunsch nach einem ‚schönen Schmiss‘ erklärlich“, heißt es dazu in einer Festschrift der Olympia.28 In der Festschrift der Marko-Germania musste das nicht wiederholt werden: Es ist fester Bestandteil burschenschaftlichen Selbstverständnisses.29
Um mit den Gesetzen nicht in Konflikt zu kommen, wird an wenig prominenter Stelle der Festschrift ein „Bekenntnis zur österreichischen Eigenstaatlichkeit“ eingebaut, eine Formulierung, die von rechtsextremen und neonazistischen Autoren verwendet wird, um sich drohender Strafverfolgung zu entziehen.
Aus dem gleichen Grund hat Norbert Hofer bei seinem Eintritt in die Burschenschaft keinen Eid auf das „deutsche Vaterland“ leisten müssen. Die österreichische Bundesverfassung verbietet jede Werbung für Großdeutschland. Also beschränkt sich die Gelöbnisformel auf die „Erhaltung des deutschen Volkstums“.
Das Bekenntnis des freiheitlichen Präsidentschaftskandidaten zur österreichischen Nation während des Wahlkampfes, das manche seiner Waffenbrüder insgeheim als Verrat empfanden, hat Hofer bei erster sich bietender Gelegenheit relativiert. Bei dem von Burschenschaftern und der FPÖ organisierten Akademikerball im Januar 2017 trat er in offizieller Funktion als Dritter Nationalratspräsident auf – aber nicht mit rot-weiß-roter Fahne, wie das bei offiziellen Anlässen üblich ist, sondern mit schwarz-rot-goldener Schärpe. In seiner Rede klopfte er ein wenig pathetisch auf die deutschen Farben an seiner Brust und erneuerte seinen deutschnationalen Treueschwur: „Ich trage diese Fahne! Und ich trage sie mit Stolz!“30
Erklärungsversuche, Schwarz-Rot-Gold als Farben der Urburschenschaft und Hofers Verbindung Marko-Germania einzuordnen, klingen nur plausibel, solange man die historischen Zusammenhänge ausblendet. Die deutschen Farben waren von Anfang an Bekenntnis zur Deutschen Einheit. Als Farben des Lützow’schen Freikorps standen sie für den Kampf gegen das Nichtdeutsche (damals die Franzosen), als Symbol „deutscher Kraft und Zucht“ sowie der „Ehre und Herrlichkeit des deutschen Volkes“.31 Beim Hambacher Fest 1832 erhielten Schwarz-Rot-Gold die Weihe als deutsche Einheits- und Freiheitsfarben. Die Frankfurter Nationalversammlung erklärte sie 1848 zu Reichsfarben.32
Schwarz-Rot-Gold waren aber auch die Farben der österreichischen Nationalsozialisten in der Verbotszeit und des deutschnationalen österreichischen Burschenschafters und Politikers Georg Ritter von Schönerer (Libertas), der sie zum Symbol für die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich und zum Kampf gegen den Panslawismus machte (siehe Seiten 37–39).33
Den Akademikerball nützte Hofer auch, um in offizieller Funktion als Parlamentspräsident gegen jene zu polemisieren, die nach Österreich kommen, „um hier Mindestsicherung ohne Leistung“ zu beziehen, und um gegen österreichische Medien (ORF, profil, news) zu wettern – ohne das FP-Kampfvokabel von der Lügenpresse in den Mund zu nehmen. Dass er Österreich als Land der „Mittelmäßigkeit“ beschrieb, den versammelten Burschenschaftern, Identitären und Ehrengästen von Europas rechtsextremen Parteien34 für ihre „Gesinnung“ dankte und sie für ihre „aufrechte Haltung“ lobte, zeigt jedenfalls eines: Von den österreichtreuen Beteuerungen während des Präsidentschaftswahlkampfes ist wenige Wochen danach so gut wie nichts übrig geblieben.35
Dass Burschenschafter mit ihren Bekenntnissen zum deutschen Volkstum in Wirklichkeit das „deutsche Vaterland“ meinen, belegen zahlreiche Beispiele. Hofers burschenschaftliche Waffenbrüder haben Landkarten verteilt, auf denen die „Ostmark“ als Teil Großdeutschlands ausgewiesen wurde.36 Vor der deutschen Wiedervereinigung forderten Burschenschafter die Einbeziehung Österreichs37, danach beklagten sie sich darüber, dass diese ohne Österreich erfolgte. Ihr Ziel sehen sie erst erreicht, wenn auch Österreich, Südtirol und ehemalige deutsche Siedlungsgebiete in Osteuropa zu einem „deutschen Staat“ gehören. 38
Der FPÖ-Parlamentarier und Burschenschafter Werner Neubauer (Gothia Meran, Markomannia Eisenstadt und Teutonia zu Linz – aus letzterer ausgetreten), der politisch Andersdenkende in lupenreiner Nazi-Diktion als blutsaugendes Ungeziefer – „linker Zeck“39 – bezeichnet, begann seine Rede anlässlich einer Anti-Minarett-Demonstration der rechtsextremen Gruppierung Pro Nordrhein-Westfalen mit den Worten: „Liebe deutsche Landsleute. Ich darf das sagen, weil ich Deutscher bin.“40
Norbert Hofer tut Fragen nach dem Nationalitätenbegriff seiner Burschenschaft als „Kinkerlitzchen“ ab. Für ihn ist dieses „Minithema“ für Österreich „völlig unerheblich“.41