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Feindbild-Austausch: Muslime statt Juden
ОглавлениеSeit Jahren bemühen sich die FPÖ und insbesondere Heinz-Christian Strache (Vandalia Wien) um jenen Feindbild-Austausch, der anderen rechtspopulistischen Parteien schon gelungen ist. Seine Versuche, den verfemten Antisemitismus gegen den populären Hass auf Muslime auszutauschen, stießen anfangs auf erbitterten Widerstand von Burschenschaftern, die sich weder den Antisemitismus noch die Tradition ihres Arier-Paragrafen nehmen lassen wollten.
Ende 2010 fuhr Strache nach Israel, um sich dort als „Verbündeter“ im Kampf gegen den islamischen Terror, und Israel als „Bollwerk Europas gegen den Islam“ zu positionieren.91
Dem zu erwartenden Aufstand der Burschenschaften begegnete er auf eine für ihn typische Weise: Beim Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wählte er als Kopfbedeckung die Burschenschafter-Kappe, das Gemeinschaftssymbol des institutionalisierten Antisemitismus jener „judenreinen“ Studentenverbindungen, die sich aus den Traditionen des Nationalsozialismus nie gelöst und nicht einmal die schlimmsten Nazi-Verbrecher aus ihren Mitgliederlisten gestrichen haben.92
Österreichs Burschenschafter durften sich klammheimlich auf die Schenkel schlagen: Eine vergleichbare Geste der Verhöhnung der sechs Millionen von den Nazis ermordeten Jüdinnen und Juden hat sich kein westlicher Politiker je öffentlich geleistet.
Erst auf dem Sprung zur Macht haben Burschenschafter gelernt, das Werben um jüdische WählerInnen und die Selbstdarstellung führender Politiker aus ihren Reihen als „Judenfreunde“ zu tolerieren. Gemeinsam mit Strache zählt Hofer zu jenen Burschenschaftern unter den Spitzenfunktionären der FPÖ, die den Antisemitismus kleinzureden oder gar zu bestreiten versuchen.
Solche Versuche hat es immer wieder gegeben, zum Beispiel die Erklärung des Burschenschafters und FPÖ-Landtagsabgeordneten Udo Guggenbichler* im April 2015, er habe sich „gemeinsam mit anderen prominenten Vertretern der schlagenden Verbindungen“ in einer Erklärung zur „Verurteilung jeder Form des Antisemitismus“ bekannt.93 Aber selbst auf mehrfache Nachfragen konnte Guggenbichler keinen einzigen seiner angeblichen Mitunterzeichner namentlich nennen.
Guggenbichler hat diese Erklärung als Privatperson veröffentlicht. Weder seine Burschenschaften noch der Pennälerring, dem er seit Jahren vorsteht, noch der Wiener Korporationsring, dessen Ballausschuss er viele Jahre leitete, waren bereit, diese mitzutragen.
Und auch die Blattlinie der Aula, Zentralorgan der völkischen Verbindungen, blieb von Guggenbichlers Erklärung unberührt: Sie veröffentlicht weiterhin antisemitische und revisionistische Pamphlete rechtsextremer und neonazistischer Verschwörungstheoretiker. Hofer selbst aber war während des Präsidentschaftswahlkampfes klug genug, antisemitische Postings auf seiner Facebook-Seite rasch zu löschen.94
Es hält historischer Überprüfung nicht stand, wenn prominente jüdische Burschenschafter von Korporierten als Beleg dafür angeführt werden, dass es sich beim „behaupteten burschenschaftlichen Antisemitismus“ nur um die „Nazi-Keule linker Gutmenschen“ handle. Tatsache ist: Nach 1831 gab es Burschenschaften, in denen Juden aufgenommen wurden, 1886 wurde die erste jüdische Burschenschaft gegründet (Viadrina, Schlesische Friedrich-Wilhelm-Universität Breslau)95 und bis heute gibt es einzelne völkische Korporationen, die sich dem antisemitischen Konformitätsdruck widersetzen und den antisemitisch ausgerichteten Dachverbänden nicht angehören.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war „Jude“ eine Bezeichnung der Religionszugehörigkeit, nicht der Rasse. Das ermöglichte jüdischen Studenten, durch Taufe und Assimilation der „Gemeinschaft national Gesinnter“ beizutreten, damit der Judenfeindschaft zu entkommen und ihre gesellschaftliche und berufliche Diskriminierung zu überwinden96, oder das „Entree-Billet zur europäischen Kultur“ zu lösen, wie Heinrich Heine das formulierte. Politisch engagierte jüdische Studenten versuchten, die studentische Gemeinschaft zur Verbreitung ihrer Ideen zu nützen.97
Formell hatten Juden 1867 im deutschen Kaiserreich die Gleichstellung erhalten. Diese war jedoch dadurch begrenzt, dass bei Eintritt in den Staatsdienst eine christlich-religiöse Eidesformel gesprochen werden musste. Der Staat war im Kaiserreich wichtigster Arbeitgeber für Akademiker. Juden konnten also weder Beamte, Diplomaten oder Offiziere noch Lehrer oder Professoren werden.
Ende des 19. Jahrhunderts nahm der Antisemitismus der Burschenschaften wieder zu und gipfelte in einem Wettlauf um den Grad höchster „Rassenreinheit“. 1920 mündete dieser in Eisenach in den Beschluss, Beitretenden eine ehrenwörtliche Erklärung abzunehmen, „nach bestem Wissen und Gewissen frei von jüdischem oder farbigem Bluteinschlag“ zu sein.