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Das antisemitische Nazi-Symbol der Kornblume

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Beleg für den Antisemitismus von Burschenschaften und FPÖ ist auch das Tragen der Kornblume bei besonderen Anlässen wie konstituierenden Sitzungen von Nationalrat oder Landtagen. Keine der Behauptungen, mit denen die FPÖ das Tragen dieses belasteten NS-Symbols zu rechtfertigen suchte, hielt einer Überprüfung stand. Das gilt vor allem für die von Strache immer wieder bemühte literarische Fiktion der „blauen Blume der Romantik“, die vom deutschen Schriftsteller Novalis, eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, nie als Kornblume bezeichnet wurde. Allen historischen Erkenntnissen widerspricht auch die Behauptung, die Kornblume sei ein „Symbol der Freiheitsbewegung von 1848“. Zuletzt wurde auch die „Europablume“ als burschenschaftliche Erfindung enttarnt. Nach dieser unendlichen Vorgeschichte aus Unwahrheiten, Ausreden und Erfindungen war es ausgerechnet Norbert Hofer, der mit der – halben – Wahrheit herausrückte – allerdings in einer Form, die nur historisch Informierten die Einordnung erlaubte.

Nachdem der Präsidentschaftskandidat ursprünglich die belegbare Unwahrheit von der „Europablume“ nachgeplappert hatte, antwortete er im Wahlkampf auf Journalistenfragen: Die Kornblume sei seit Beginn des 19. Jahrhunderts das „Symbol des Dritten Lagers“ und habe „nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun“.75 Der erste Teil dieser Antwort ist zutreffend, der zweite hält einer historischen Überprüfung nicht stand. Für die Parteien des Dritten Lagers, vor allem für die Alldeutschen des rabiaten Antisemiten und Burschenschafters Georg Ritter von Schönerer (Libertas Wien, Ehrenbursch der Gothia Wien und der Innsbrucker Germania), die die Kornblume im Parteilogo trugen, war diese vor allem Symbol ihres im Parteiprogramm festgeschriebenen Judenhasses.

Es waren zwei Burschenschafter, die den Antisemitismus umdeuteten und ihm seine schlimmste – im Nationalsozialismus tödliche – Form gaben. Der Ende des 17. Jahrhunderts entstandene Begriff des Antisemitismus hatte sich ursprünglich gegen Menschen jüdischen Glaubens gerichtet. Dieser Feindschaft und der damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Ausgrenzung konnten Juden durch Assimilation und Übertritt zum christlichen Glauben entkommen.

Die Burschenschafter Georg Ritter von Schönerer und Heinrich von Treitschke (Frankonia Bonn) weiteten den Antisemitismus auf die Rasse aus. Vor dieser Definition gab es kein Entrinnen. Sie wurde Grundlage des Holocaust und führte Millionen Jüdinnen und Juden in den Tod. Unter anderem reimte Schönerer: „Ob Jud’ ob Christ ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei.“

Als Erfinder des Rassen-Antisemitismus wurde Schönerer zum geistigen Vater von Adolf Hitler76, wozu sich dieser in Mein Kampf ausdrücklich bekannte.77 Schönerer ließ sich als „Führer“ anreden und mit „Heil“ grüßen.78 Im Programm seiner Alldeutschen findet sich das „Gebot der Abwehr gegen den Fremdkörper Judentum“.79 Schönerer wollte die deutsche Kunst aus der „Verjudung“ befreien, forderte die Entfernung von Juden aus Staatsdienst, Schulen, Universitäten, Vereinen und Zeitungen. Er rief zur „Ausrottung parasitärer Rassen“ auf, „wie man Giftschlangen und gefährliche Raubtiere eben ausrotten muss.“80

1900 verlangten Schönerers Alldeutsche im Wiener Parlament, eine Prämie für jeden „niedergemachten Juden“ auszusetzen.81 Im Parlament formulierte Schönerer Sätze wie diese: „Was von unseren Gegnern als Judenhass bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit Vaterlandsliebe.“ Oder: „Der Kampf gegen das Judentum ist des Deutschen erste Pflicht.“82

Dass er das ernst meinte, zeigt der Überfall auf das Neue Wiener Tagblatt. An der Spitze von 28 Gleichgesinnten war Schönerer in die Redaktion des „Judenblattes“ eingedrungen, hatte Redakteure bedroht und geschlagen, was Historiker als ersten Akt des rechten Terrors bezeichnen.83

Die Kornblume von Schönerers Alldeutschen wurde als Symbol des Judenhasses von Studenten am Revers getragen.84 In der Verbotszeit (1933–1938) war die Kornblume Erkennungszeichen der illegalen Nazis. Sie ersetzte NS-Symbole, deren Tragen unter Strafe stand – wie etwa das Hakenkreuz.

Schon mehrfach hat das Tragen der Kornblume politische Skandale ausgelöst. Österreichs ehemaliger Innenminister Oskar Helmer (1945–1959) ließ den steirischen Landesverband des VdU 1950 unter anderem wegen des Tragens der Kornblume zwangsweise auflösen, weil darin ein „NS-Symbol zu erkennen ist.“85

Eine Beschwerde der FPÖ an die Rundfunkkommission wegen Verletzung des Objektivitätsgebots durch einen Bericht über das Tragen der Kornblume durch FPÖ-Politiker wurde vom Verfassungsgerichtshof zurückgewiesen. In der Begründung hieß es unter Berufung auf das Gutachten eines Universitätsprofessors für Zeitgeschichte, die Kornblume sei ein „Ersatzzeichen für verbotene Symbole der NSDAP“ gewesen. Die Meldung des ORF, die Kornblume sei vor dem Zweiten Weltkrieg ein „Geheimsymbol der illegalen Nationalsozialisten“ gewesen, sei als „überprüfbare Tatsachenbehauptung“ zulässig.86

Nicht nur in der Zwischenkriegszeit war die Kornblume Erkennungszeichen illegaler Nazis. Sie ist es bis heute geblieben. Bei Veranstaltungen der neonazistischen AFP wird sie von Besuchern getragen. Der Bund freier Jugend, die neonazistische Nachwuchsorganisation der AFP, führt sie im Vereins-Logo.87

Die Tatsache, dass all die verbalen Verrenkungen, mit denen Freiheitliche das Tragen der Kornblume zu erklären versuchen, von WissenschaftlerInnen eindeutig als Lügen oder Ausreden klassifiziert werden88, lässt für Demokratinnen und Demokraten eigentlich nur einen Schluss zu: Sie ist für Burschenschafter und FPÖ-Funktionsträger Symbol für Schönerers gewalttätigen Antisemitismus und gleichzeitig Bekenntnis zur Tradition des illegalen Nationalsozialismus geblieben.

Als Symbol von Schönerers Alldeutschen markiert die Kornblume den Beginn des Weges, der im fabrikmäßig organisierten Massenmord in den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus endete. An ihr klebt das Blut von sechs Millionen ermordeten Juden. Das Tragen der Kornblume bei offiziellen Anlässen ist eine offene Verhöhnung der Opfer des NS-Terrors. Ein Bundespräsident oder Bundeskanzler, dessen Fotos mit diesem Nazi-Symbol um die Welt gingen, wäre eine Schande für dieses Österreich.

Aber nicht die einzige: Dass diese Provokation von Politikern der demokratischen Mitte nicht erkannt wurde und das Tragen der Kornblume sogar bei der Angelobung des Nationalrats möglich war, ist nicht nur eine Blamage, es ist ein Verrat an der österreichischen Verfassung, die dazu verpflichtet, „alle Spuren des Nationalsozialismus“ aus Gesellschaft und Politik zu tilgen.

Gegen Ende des Präsidentschaftswahlkampfes zeigte sich Hofer zumindest lernfähig. Wenige Tage nachdem der Autor dieses Buches eine mehrseitige Dokumentation an 380 in- und ausländische Journalisten verschickt89 und darin präzisiert hatte, was bei ZiB2-Anchorman Armin Wolf auf Facebook bereits im Mai 2016 über die Kornblume zu lesen war, erfolgte Hofers Rückzieher: Er wolle seinen Parteifreunden raten, auf dieses Symbol in Zukunft zu verzichten, weil er es satt habe, immer wieder „dasselbe erklären zu müssen“, meinte er in Interviews mit der Presse und der Kleinen Zeitung.90 Was es zu erklären gibt, wenn FPÖ-Politiker mit einem eindeutig als antisemitisches Nazi-Symbol identifizierbaren Anstecker auftreten, der den illegalen Nazis in der Verbotszeit als Erkennungszeichen und Ersatz für das Hakenkreuz galt, ließ er unerklärt.

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