Читать книгу Stille Machtergreifung - Hans-Henning Scharsach - Страница 21

Täter-Opfer-Umkehr: Schlag nach bei Goebbels

Оглавление

Diese Taktik, von sich abzulenken, indem andere zu Sündenböcken gemacht werden, wird in der wissenschaftlichen Literatur als „Täter-Opfer-Schuldumkehr“ beschrieben. Sie geht auf Goebbels zurück, dessen Behauptung, die Juden hätten Deutschland den Krieg erklärt, als Rechtfertigung von Krieg und Völkermord diente.143 Die burschenschaftliche Führung der FPÖ greift mit Vorliebe auf diese Nazi-Taktik zurück.

Schon Ende Januar 2007 hatte Strache Medienberichte über seine rechtsextremen Kontakte mit dem Stil des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer verglichen.144 2012 folgte anlässlich des WKR-Balles, der ausgerechnet am Jahrestag der Auschwitz-Befreiung stattfand, die Gleichsetzung der Protestkundgebung mit dem Novemberpogrom der Nazis. „Das war wie die Reichskristallnacht“, hatte Strache gemeint. Und: „Wir sind die neuen Juden“.145

Mit dem euphemistischen Begriff Reichskristallnacht hatten die Nazis den Eindruck zu erwecken versucht, es wären bei der von Goebbels von langer Hand vorbereiteten Terror-Aktion in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 und den Tagen danach nur ein paar Fensterscheiben zu Bruch gegangen. In Wirklichkeit war das Novemberpogrom Ausgangspunkt dessen, was in fabrikmäßigem Massenmord endete: 7500 jüdische Geschäfte wurden zerstört, an die 400 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben, mehr als 100 Synagogen gingen in Flammen auf, über tausend jüdische Schulen, Sozialeinrichtungen, Betstuben und Friedhöfe wurden verwüstet, 35.000 Juden zusammengetrieben und in Konzentrationslager gebracht.

Franz Obermayr, freiheitlicher Burschenschafter (Alemannia Wien zu Linz und Frankonia Brünn zu Salzburg) und Europaabgeordneter, der die Führer rechtsextremer, rassistischer Parteien persönlich zum Ballbesuch eingeladen hatte, sprach von „Pogrom-Stimmung“.146 Johann Gudenus (Vandalia Wien und Aldania Wien) behauptete, der Antifaschismus sei der „neue Faschismus“ und trieb mit der sonst von Opfern des NS-Terrors und Antifaschisten verwendeten Aussage „Wehret den Anfängen“ die Schuldumkehr auf die Spitze.147

Die Täter-Opfer-Schuldumkehr hat Tradition in der FPÖ. Schon 1999 hatten prominente Burschenschafter die Gründung einer Schutzgemeinschaft Freiheitlicher Wählerinnen und Wähler bekanntgegeben, die „ungerechtfertigten Angriffen auf die FPÖ und ihre Wählerschaft im In- und Ausland“ entgegentreten und „Diffamierungsopfern“ helfen sollte, gegen ehrenbeleidigende Äußerungen gerichtlich vorzugehen. Zu ihren Gründern zählten prominente FPÖ-Politiker und Burschenschafter wie Holger Bauer (Scardonia Schärding), Alexander Götz (Akademischer Turnverein, Graz), Helmuth Josseck (Olympia Wien), Hubert Kinz (Nibelungia Bregenz) und Ex-Justizminister Harald Ofner, der Österreichs bekanntestem Neonazi Gottfried Küssel (Danubo-Markomannia) zu einer Kandidatur für die FPÖ in Payerbach an der Rax verholfen hatte.148

Bei der Präsentation der Initiative verstiegen sich die Initiatoren zu der Behauptung, in der FPÖ habe es „nie Antisemitismus oder Rassismus gegeben“. „Stürmer-“ und „Nazi-Jargon“ unterstellten sie dafür ausgerechnet dem damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant.149

Seither setzen FPÖ-Politiker die Taktik der Täter-Opfer-Umkehr systematisch gegen politisch Andersdenkende ein. Die verhassten „Gutmenschen“ werden von Strache als „linke Nazis“ bezeichnet150, die ihren „braunen Jauchekübel“ über der FPÖ ausschütten. Das Engagement für die Einhaltung demokratischer Spielregeln und die Durchsetzung des Wiederbetätigungsgesetzes bezeichnet er als „Zensur“, „Inquisition“, und „Terror“.151

Johann Gudenus beklagt sich über die „Geiselhaft des linken Mobs“ und meint: „Der einzige Unterschied zwischen Linken und Faschisten ist die fehlende Uniform.“152 Der freiheitliche Pressedienst empörte sich über die „grüne Nazi-Keule“.153

Immer wieder hat Norbert Hofer von der unter Burschenschaftern so populären Taktik Gebrauch gemacht. Van der Bellen sei ein „faschistischer grüner Diktator“154, knüpfte er im Wahlkampf an frühere Erklärungen an, in denen er Antifaschismus zum „neuen Faschismus“ umgedeutet hatte.155 Die FPÖ Kapfenberg stellte ein Wahlplakat Van der Bellens neben Fotos von Hitler, was von Hofers Pressesprecher Martin Glier auf Facebook prompt geteilt wurde.156

Den Höhepunkt politischer Unanständigkeit leistete sich die von der liberalen Mitte nach Rechtsaußen gewechselte Ursula Stenzel, die an der Seite Norbert Hofers als dessen Wahlhelferin mit der aberwitzigen Behauptung einer Nazi-Vergangenheit von Van der Bellens Eltern für Empörung sorgte157, während Hofer seinen Widersacher gleichzeitig – nicht weniger aberwitzig – als „Kommunist“ bezeichnete.158

* Unterzeichnet wurde die Stellungnahme von den Grazer Uni-Professoren Helmut Konrad und Dieter Binder sowie von Wolfgang Maderthaner, Generaldirektor des österreichischen Staatsarchivs.

** Bernhard Weidingers 2015 erschienenes Buch Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen zählt zu den bestrecherchierten und detailgenauesten Arbeiten, die zum Thema Burschenschaften geschrieben wurden. Ihre große Stärke ist gleichzeitig auch ihre größte Schwäche: 630 großformatige Seiten sind auch für den interessierten Normalverbraucher zu viel. Als Quelle für Historiker oder als Nachschlagewerk für Journalisten aber sind die Inhalte dieser Arbeit von unschätzbarem Wert und werden über diesen Umweg Verbreitung finden, die weit über den Kreis der Leser des Buches hinausgeht.

* Zu den indizierten Autorinnen und Autoren, deren Bücher verbrannt wurden, gehörten u. a. Walter Benjamin, Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Max Brod, Otto Dix, Alfred Döblin, Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, Marieluise Fleißer, Leonhard Frank, Sigmund Freud, Iwan Goll, George Grosz, Jaroslav Hašek, Heinrich Heine, Ödön von Horvath, Heinrich Eduard Jacob, Franz Kafka, Georg Kaiser, Erich Kästner, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Siegfried Kracauer, Karl Kraus, Theodor Lessing, Alexander Lernet-Holenia, Karl Liebknecht, Georg Lukács, Rosa Luxemburg, Heinrich Mann, Klaus Mann, Ludwig Marcuse, Karl Marx, Robert Musil, Carl von Ossietzky, Erwin Piscator, Alfred Polgar, Erich Maria Remarque, Ludwig Renn, Joachim Ringelnatz, Joseph Roth, Nelly Sachs, Felix Salten, Anna Seghers, Arthur Schnitzler, Carl Sternheim, Bertha von Suttner, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Jakob Wassermann, Franz Werfel, Grete Weiskopf, Arnold Zweig und Stefan Zweig.

* Verfasser war Oberstaatsanwalt Harald Eisenmenger, Corps Arminia Turicensis

Stille Machtergreifung

Подняться наверх