Читать книгу Stille Machtergreifung - Hans-Henning Scharsach - Страница 18
„Ehrendes Andenken“ für die Massenmörder der Nazis
ОглавлениеAls nach Kriegsende das ganze Ausmaß der Nazi-Verbrechen offenbar wurde, blieben die Burschenschaften unbeeindruckt. Keiner der nationalsozialistischen Verbrecher wurde aus seiner Verbindung ausgeschlossen.
Die Innsbrucker Germania, die lange Jahre als Speerspitze des universitären Antisemitismus gewirkt hatte, führt den Euthanasiearzt und Kommandanten des Vernichtungslagers Treblinka, Irmfried Eberl, weiter in ihren Mitgliederlisten.126
Die Grazer Arminia steht in Treue fest zu ihrem wegen vielfachen Mordes hingerichteten Waffenbruder Ernst Kaltenbrunner, der als Chef des Reichssicherheitshauptamtes zu den Zentralfiguren der nationalsozialistischen Terror- und Tötungsmaschinerie gezählt hatte.127
Die Innsbrucker Suevia hält Gerhard Lausegger die Treue, der während des Novemberpogroms von 1938 ein Rollkommando geleitet hatte, das den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde ermordete. Die Burschenschaft verweigerte auch die Löschung von Lauseggers Namen auf ihrem Ehrenmal am Westfriedhof, wenige Meter vom jüdischen Friedhof entfernt.128
SS-Obersturmbannführer Hermann Richter, der als KZ-Arzt in Gusen und Dachau gesunden Lagerinsassen Organe entnahm, um zu testen, wie lange die Gefolterten ohne diese überleben konnten129, wurde aus der Sängerschaft Scalden ebenso wenig ausgeschlossen wie
Ferdinand von Sammern-Frankenegg, SS-Polizeiführer des Distriktes Warschau, persönlich verantwortlich für die Ermordung von mindestens 1000 und für die Deportation von 55.000 Jüdinnen und Juden.130
Anton Jerzabek, Führer des berüchtigten Antisemiten-Bundes, blieb Mitglied der seit 1889 „judenreinen“ Olympia.131
Georg Ritter von Schönerer, Begründer des Rassen-Antisemitismus, blieb Mitglied seiner Libertas und „Ehrenbursch“ der Gothia Wien und der Innsbrucker Germania.132
Ende der 1990er-Jahre kursierte unter Burschenschaftern eine Liste mit Mitgliedern der Arminia, denen „stets ein ehrendes Andenken bewahrt werden sollte“.* Auf ihr fanden sich Namen wie Gestapo-Chef Herbert Kappler, der für die Deportation von Tausenden Jüdinnen und Juden verantwortlich war, Walter Reder, der wegen gemeinschaftlichen Mordes an 1000 Zivilistinnen und Zivilisten verurteilt wurde, oder NS-Luftwaffenkommandant Ulrich Rudel, von Rechtsextremisten, Neonazis und Burschenschaftern zur braunen Ikone erhoben.133
Dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus in den Burschenschaften so gut wie nicht stattfand, könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass zahlreiche führende Vertreter des NS-Regimes Burschenschafter waren. Dazu zählten unter anderem SS-Chef Heinrich Himmler (Apollo München), Reichsminister Hermann Göring (Markomannia Berlin), der führende Rassenideologe Alfred Rosenberg (Curonia Riga), Arbeitsfront-Führer Robert Ley (Sängerschaft Sankt Pauli), Reichsminister Wilhelm Frick (AGV München), Propagandaminister Joseph Goebbels (Unitas Sigfridia Bonn) sowie SA-Sturmführer und Nazi-Idol Horst Wessel (Normannia Berlin und Corps Alemannia Wien zu Linz), der den Text zum Kampflied der SA verfasst hatte, die zur Parteihymne der NSDAP wurde.134
Der Linzer Verbindung Alemannia Wien gehören der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter und freiheitliche Parteiobmann Manfred Haimbuchner und Günther Steinkellner, Klubobmann der FPÖ im oberösterreichischen Landtag, an. Auch sie hat den prominenten Nationalsozialisten nie aus ihrer Mitgliederliste gestrichen.135