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Antisemitismus in den Burschenschaften
ОглавлениеIn ihrer Gründungsfestschrift bekennt sich die Marko-Germania zu Pinkafeld, der Hofer im Alter von 37 Jahren als Ehrenmitglied beitrat, ausdrücklich zu dem von Burschenschaftern bis heute vertretenen Abstammungsprinzip. Im namentlich nicht gekennzeichneten Vorwort wird als Bestimmungsmerkmal der Volkszugehörigkeit neben Sprache, Kultur, Geschichte und Brauchtum ausdrücklich das biologische Kriterium der Abstammung genannt.44 Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Durch das Abstammungsprinzip werden Juden und „Andersrassige“ wie einst im Nationalsozialismus ausgeschlossen. Der unverdächtig klingende Begriff bedeutet also nichts anderes als eine Fortschreibung des Arier-Paragrafen unter Umgehung des historisch belasteten NS-Begriffs.
Antisemitismus zählte von Anfang an, wenn auch mit Unterbrechungen*, zu den Wesensmerkmalen der deutschnationalen schlagenden Burschenschaften. Der Arier-Paragraf ist (in Form des Abstammungsprinzips) für alle Burschenschaften bis heute verbindlich, auch wenn er hinter dem weniger belasteten Begriff Abstammungsprinzip versteckt wird. Dieser meint das Gleiche und hat die gleiche Wirkung: die Diskriminierung bzw. den gesellschaftlichen Ausschluss von Juden und „Andersrassigen“, denen die Mitgliedschaft in Burschenschaften verwehrt bleibt.45 Norbert Hofers Marko-Germania zu Pinkafeld steht in einer bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückreichenden Tradition, mit der sich die Burschenschaften zu Wegbereitern der nationalsozialistischen Terror- und Vernichtungspolitik machten.
Schon auf dem Wartburgfest von 1817, von Burschenschaftern zur „legendären Gründungsveranstaltung“ verklärt, wurde eine Hetzschrift des Heidelberger Professors Jakob Friedrich Fries verlesen, in der dieser die „Endlösung“ vorwegnahm, indem er forderte, die „Kaste“ der Juden „mit Stumpf und Stiel“ auszurotten.46
Auch die erste Bücherverbrennung fand auf dem Wartburgfest statt. Unter dem Motto „Ehre, Freiheit, Vaterland“ wurden Werke jüdischer und „undeutscher“ Autoren in die Flammen geworfen. „Verflucht der Schriftsteller, der sein Volkstum schmäht“ und „Hass alles Fremden ist des Deutschen Pflicht“ hatte Friedrich Ludwig Jahn in seinen Hetzschriften gegen „Ausländerei“, „Giftbücher“ und „lesende Aasfliegen“ gewettert.47
Der Gründer der Burschenschaften, der nach Kriegsende aus Tarnungsgründen zum „Turnvater“ verharmlost wurde, war Wegbereiter der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Seine Bücher Deutsche Turnkunst und Deutsches Volkstum haben Adolf Hitler als Vorlage für Mein Kampf gedient. Die von ihm geprägten Vokabeln und Parolen wie „Rassenhygiene“, „Völkerzucht“, „gesundes Volksempfinden“, „für Volk und Vaterland“ oder „Geistesfreiheit, Volkeseinheit, Rassenreinheit“ haben das politische Bewusstsein des burschenschaftlichen Milieus bis heute geprägt.48
Jahn definierte Turnen als „Kriegsvorbereitung“, was Frauen und Mädchen automatisch ausschloss. Und auch die Kriegsverherrlichung kam nicht zu kurz: „Denn uns fehlt des Krieges Eisenbad und der Waffen Stahlkur.“49
Wie rasch rassistische Hetze in Gewalt umschlägt, wurde damals schon deutlich. August von Kotzebue, dessen Bücher bei der burschenschaftlichen Gründungsveranstaltung verbrannt worden waren, wurde einige Monate danach von einem fanatisierten Burschenschafter ermordet.50
Eines der ersten burschenschaftlichen Dokumente, der Erlanger Burschenbrauch, schrieb den Ausschluss der Juden fest: Da die Burschenschaft „eine Gesellschaft deutscher Jünglinge ist“, seien Juden „als Feinde unserer Volksthümlichkeit“ ausgeschlossen.51
Aggressiver Antisemitismus zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Burschenschaften. In den Waidhofener Beschlüssen von 1896 heißt es unter anderem: „In Anbetracht der vielen Beweise, die der jüdische Student von seiner Ehrlosigkeit und Charakterlosigkeit gegeben, und da er überhaupt der Ehre völlig bar ist“, könnten Juden in Burschenschaften „keinen Platz“ haben.
Dass dieser Grundsatz bis heute Gültigkeit hat, bestätigte die Wortmeldung des liberalen Grazer Burschenschafters und Studentenhistorikers Harald Seewann (Marko-Germania), der mehrfach bedauerte, dass Burschenschafter sich bis heute auf diese antisemitischen Beschlüsse berufen.52
Auch antisemitische Gewalt ist fester Bestandteil burschenschaftlicher Geschichte. Anfang des 20. Jahrhunderts fanden an der Wiener Universität regelrechte Pogrome statt. Deutschnationale Studenten und Rektoren versuchten, die Zahl der Jüdinnen und Juden mit Schikanen und Gewalt zu reduzieren.53 Mit Sprechchören wie „Saujuden raus!“ oder „Juda verrecke!“ wurden Hörsäle gestürmt und „gesäubert“, jüdisch aussehende Studenten zusammengeschlagen, über Stiegen geworfen, auf der Straße überfallen und dabei oft schwer verletzt.54
1920 hielt der Eisenacher Beschluss alle Burschenschaften dazu an, nur deutsche Studenten „arischer Abstammung“ aufzunehmen und ihre Mitglieder „so zu erziehen, dass eine Heirat mit einem jüdischen oder farbigen Weib ausgeschlossen ist.“55
1921 wurden die Dresdner Beschlüsse verabschiedet, in denen es heißt: „Es sollen daher keine Juden und Ausländer aufgenommen werden, weil jene kein Vaterland haben, und durch diese die vaterländische Ausbildung gestört wird.“56
Der Kösener Senioren-Convent-Verband verpflichtete seine Mitglieder 1927, bei der „Rasseprüfung bis auf die Großeltern zurückzugehen“. Die Aufnahme sei unzulässig, wenn sich „unter den vier Großeltern ein Jude befindet“.57
In einem Pauk-Comment pennaler Wiener Waffenstudenten finden sich noch 25 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges Sätze wie dieser: „Genugtuungsfähig auf Schläger ist jeder ehrenhafte arische Mann“.58
Die Innsbrucker Suevia hat in den 1960er-Jahren klargestellt, was heute immer noch gilt: dass es „für die Deutsche Burschenschaft in Österreich unmöglich ist, Nichtdeutsche aufzunehmen“ und dass „somit auch der Jude in der Burschenschaft keinen Platz hat“.59
Im Jahr 1987 schlug der Dachverband Deutsche Burschenschaft in Österreich (DBÖ) Rudolf Heß für den Friedensnobelpreis vor. Dass ein so blasser Politiker wie Hitlers Stellvertreter zu der großen Nazi-Ikone der Nachkriegszeit hat aufsteigen können, hängt mit seinem Schlusswort vor dem Nürnberger Tribunal zusammen. Während alle anderen Beklagten Ausrede an Ausrede reihten, stand er zu seinen Taten: „Ich bereue nichts. Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln, wie ich gehandelt habe, selbst wenn ich wüsste, dass am Ende ein Scheiterhaufen für meinen Flammentod bereit stünde.“60
Dieses bedingungslose Bekenntnis zur Fortsetzung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik von Juden und „Andersrassigen“ hat ihn zum Vorbild von Burschenschaften und Neonazis gemacht – und diesen Mann haben die Burschenschaften für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, ohne damit nennenswerten Widerstand des demokratischen Österreich zu wecken.
Nach Ende des Krieges ist antisemitische Agitation fester Bestandteil burschenschaftlicher Veröffentlichungen geblieben. Da ist vom Kampf „gegen die Einflüsse des Judentums auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet“ die Rede61, da wird vor der „biologischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gefahr“ des Judentums gewarnt. Das Judentum wäre gut beraten, steht da zu lesen, wenn es sich „auf seinen Nationalstaat zurückzöge“ und die „Rachegedanken aufgäbe“.62 Noch in den 1960er-Jahren rühmten sich Verbindungen, „die jüdischen Elemente entfernt“ zu haben oder „seit 1882 judenrein“ zu sein.63
Als im November 1961 ein jüdischer Friedhof in Innsbruck verwüstet wird, können zwei Burschenschafter, Mitglieder der Brixia und der Suevia, als Täter ausgeforscht werden. Bei einem der beiden wird das folgende Gedicht gefunden:
„… der einzige Feind, den es wert ist zu hassen
und ihn unter Umständen auch zu vergasen
ist doch nur der ewige Jude, der heute
wie früher die dummen, weil ehrlichen Leute
bestiehlt und uns allen die Frischluft wegsaugt,
nicht ahnend, dass er nur zum Einheizen taugt.
Die Zeit wird bald kommen, darauf ist Verlass,
da man ihn zum letzten Mal setzt unter Gas …“ 64
Dieses Gedicht hat in der Suevia nicht etwa klammheimlich die Runde gemacht. Es ist im Kreis der Waffenbrüder am Biertisch offen vorgetragen worden.65
2002 gab der Sprecher der Burschenschaft Elektra Tepliz zu München im Gespräch mit Journalisten Einblicke in das ideologische Selbstverständnis seines Bundes: Um die Shoah werde „zu viel Tumult gemacht“, meinte er. Die Verbrennung der Juden sei „eine wirtschaftliche Notwendigkeit“ gewesen und mit dem Mord in Gaskammern habe er „keine Probleme“.66
Als im Sommer 2011 gemäßigte deutsche Burschenschafter den Antrag stellten, die Aufnahme nicht von der deutschen Abstammung, sondern von „Staatsbürgerschaft und Bekenntnis“ abhängig zu machen, beteiligten sich 14 österreichische Burschenschaften an einer Protestresolution67, in der es hieß, mit diesem „Verrat“ würden sich die Burschenschaften „ihrem inneren Wesen nach selbst aufgeben“.* Der Antrag wurde zurückgezogen, der Arier-Paragraf war gerettet.68
Fälle in Deutschland und Österreich belegen, dass der Arier-Paragraf nicht nur auf dem Papier steht. Als es 2011 wieder einmal zum Streit um die Aufnahme eines Burschenschafters deutscher Staatsbürgerschaft mit asiatischer Abstammung kam, forderte der oberösterreichische Burschenschafter Fred Duswald (Danubia München) in der Aula den Arier-Paragrafen als geltendes Recht ein: „Dass ein Asiat kein Arier ist, sieht jeder ohne Nachweis.“69
Auch von den Veranstaltern des Wiener WKR-Balles, zu dessen ständigen Gästen Norbert Hofer und Heinz-Christian Strache zählen, wurde der Arier-Paragraf konsequent exekutiert: Das gemäßigte Corps Hellas zu Wien hatte für die Eröffnung der Tanzveranstaltung einen Österreicher mit türkischer Abstammung nominiert, dessen Teilnahme vom Ballausschuss abgelehnt wurde. Hellas trat daraufhin aus dem Wiener Korporationsring aus.70
Die von Burschenschaftern für Burschenschafter gestalteten Publikationen wie Aula, Eckart oder Zur Zeit haben diese Tradition bis heute fortgesetzt (siehe Seiten 147–149). Sie veröffentlichen antisemitische Hetze, verhöhnen Opfer des NS-Terrors, verharmlosen NS-Verbrechen, glorifizieren Nazi-Verbrecher und verbreiten die Auschwitz-Lüge. Vor allem die Aula sorgte mit geiferndem Judenhass mehrfach für Schlagzeilen. So wurden die im Mai 1945 befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen als „Massenmörder“, „Landplage“ und „Kriminelle“ bezeichnet, die „raubend, plündernd, mordend und schändend“ durch das „unter der ‚Befreiung‘ leidende Land“ gezogen seien.71
Ausgerechnet für diese antisemitische Hetzschrift machte sich Norbert Hofer in der Endphase des Bundespräsidentschafts-Wahlkampfs zum Werbeträger. Auf einem Foto posiert er gemeinsam mit dem Aula-Autor Peter Stockner, der die Aula stolz lächelnd in die Kamera hält, während die Bildunterschrift verrät, dass Hofer das freiheitliche Magazin als „Organ des Dritten Lagers“ sehr schätze.72
Immer wieder wurde der Judenhass als grundlegende Gemeinsamkeit völkischer Verbindungen öffentlich zelebriert, sowohl in den burschenschaftlichen Medien wie auch bei Gedenkveranstaltungen und Sonnwendfeiern, die Gelegenheit boten, gegen die „Feinde des Deutschtums“ von der „amerikanischen Ostküste“ (Synonym für das Judentum) zu polemisieren, die „das Gift der Zersetzung und der moralischen Unterwerfung“ versprühten, um „unserem Volk … das geistige und seelische Rückgrat zu brechen“.73
Im Sommer 2012 sorgte Parteichef Strache (Vandalia Wien) für einen antisemitischen Eklat: Er postete auf seiner Facebook-Seite eine Karikatur, allerdings nicht in der Form, in der sie vom Karikaturisten gezeichnet worden war. Ursprünglich stellte sie einen fetten Banker dar, dem ein Bittsteller aus dem ausgebeuteten, hungernden Volk gegenüberstand.
Auf Straches Facebook-Seite hatte der Banker eine „jüdische Nase“ bekommen, ganz nach der Art, wie die Illustrationen einst in der antisemitischen Nazi-Hetzschrift Der Stürmer gezeichnet wurden. Und damit es auch der Dümmste versteht, waren die Manschettenknöpfe des fetten Ausbeuters zu Davidsternen umgezeichnet.74 Damit wurde nicht nur das Aussehen, sondern vor allem die Aussage der Karikatur verändert: Jetzt war es nicht mehr der Banker, sondern der ausbeuterische Jude, der das verarmte Volk hungern lässt.