Читать книгу Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich. - Hans-Joachim Grünitz - Страница 12
Innendienstkrank
ОглавлениеAm nächsten Morgen meldete ich mich zum Arztbesuch. Das hatte beim UvD, dem Unteroffizier vom Dienst, zu geschehen. In der UvD-Stube wurden Anliegen dieser Art in die UvD-Kladde eingeschrieben. Anschließend brachte ein Sankra die kranken Genossen in ein weiteres, im Ort vorhandenes Objekt zum Militärarzt. Der hatte jeden Tag eine ganze Reihe von Soldaten zu verarzten. Deren Beschwerden waren meist auf Blasen an den Füßen, Erkältungen oder eben wie bei mir auf traumatische Ereignisse wie Verstauchungen und Prellungen begrenzt. Öfter gab es da auch Simulanten, die mit Magenverstimmungen oder Sehnenscheidenentzündungen glänzten. Unglaubwürdige wurden sofort ausgesondert und zurückgeschickt. Der Spieß nahm sich derer dann besonders an.
Meiner nahm er sich auch an. Allerdings wurde ich tatsächlich innendienstkrank geschrieben. Das hieß nun aber nicht, daß ich meine Ruhe gehabt hätte. Nein, ein Spieß hat immer Einfälle. Und kann man nicht laufen, so kann man doch in der Küche im Sitzen Kartoffeln schälen und das kübelweise. Später hat er mich dann dem Schreiber zugeteilt um irgendwelche Sachen zu sortieren. Als meine Innendiensterkrankung dem Ende zuging, gab es noch den Befehl zum Säubern der Toiletten. Diesem Befehl kam ich nicht sofort nach, sondern erledigte erst noch etwas Angenehmeres im Auftrag des Schreibers. Das hatte einen mordsmäßigen »Anschiß« zur Folge. Um den Spieß für die Zukunft bei Laune zu halten und nicht weiterhin in seiner Schußbahn zu stehen, streute ich mir Asche aufs Haupt, machte »Männchen« (soldatischer Gruß) und gab dem Spieß zu verstehen: »Genosse Hauptfeldwebel, gestatten Sie, daß ich Sie spreche?« Der: »Rede, Grünitz!« »Genosse Hauptfeldwebel, ich hätte natürlich zuerst Ihren Befehl und dann den des Schreibers befolgen müssen. In Zukunft mache ich diesen Fehler nicht mehr.« Der Spieß fühlte sich sichtlich auf den Bauch geklatscht und meinte »Grünitz, Grünitz paß bloß auf, aber na ja...wegtreten!« Das war meine Rettung, denn wer einmal auf der schwarzen Liste der Mutter der Kompanie stand, der bekam für den Rest der Tage eine wenig mütterliche Sonderbehandlung.
Der Spieß war wichtig, ja man konnte sogar behaupten, die Macht des Hauptfeldwebels lag trotz des niedrigeren Dienstgrades über der des Kompaniechefs. Hatte der Spieß doch die gesamte Organisation zum Funktionieren des Kasernenlebens zu bewältigen, von der Verpflegungsliste über Bekleidung und Ausrüstung bis zur Militärfahrkarte, Ausgangsschein, Belobigungs-, Strafregister und vieles mehr. Mein Verhältnis zum Spieß sollte sich viel später, an einem anderen Standort, in ein beinahe herzliches ändern.