Читать книгу Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich. - Hans-Joachim Grünitz - Страница 6

Eingekleidet und Ausgerüstet

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Beim Militär geht es erst mal los mit dem Loswerden der eigenen Kleidung. Und dies geschah gründlich. Außer einem Schlafanzug behielten wir nichts individuell Anziehbares. Alles genormt, alles gleich in Farbe und Form, wie sich das für eine anständige Truppe gehört und was ja auch die zuständigen Befehle für die Anzugsordnung erheblich vereinfachte. Man hatte auf dem Kasernenhof eine Reihe Zelte aufgestellt, die wir nun passierten. In jedem Zelt gab es andere Kleidungs- und Ausrüstungsgegenstände, von der Unterwäsche bis zur Feldflasche. Die Zivilkleidung mußte eingepackt und nach Hause geschickt werden. Nach erfolgter Einkleidung mit den unweigerlich begleitenden Worten »paßt, paßt«, standen wir im Armee-Trainingsanzug und einem riesigen Bündel voll Klamotten über der Schulter auf dem Hof.

Es folgten Fragen der Unteroffiziere an die Rekruten »Wer kann was?«. Wer jetzt viel konnte, hatte später die Chance, hin und wieder abducken zu können, sprich, sich vor der einen oder anderen Maßnahme zu drücken. Wie durch Eingebung dachte ich mir das schon und konnte Schreibmaschine schreiben, gut zeichnen, Gitarre spielen. Die ersten beiden genannten Fähigkeiten brachten mir die Stellung eines Wandzeitungsredakteurs, ja sogar die des Chefredakteurs ein und den Schlüssel für ei­­nen Kellerraum - unserer Redaktion. Der Schlüssel war Gold wert, wie sich später herausstellte. Wenn wir, es wurden mir noch zwei weitere Genossen zur Seite gestellt, nicht mit dem Anfertigen von Wandzeitungen, der Herstellung von Agitations- und Propagandamaterial oder wunderschön gezeichneten Lehrtafeln über Kleidung und Ausrüstung unseres Klassenfeindes beschäftigt waren, schlossen wir von innen ab und legten uns auf den Tischen schlafen. Hin und wieder machte uns aber auch ein Schluck aus der geschmuggelten Schnapsflasche besonders munter.

Die Unteroffiziere, meist jünger als so mancher von uns, hatten in der Folgezeit alle Hände voll zu tun. Mußten sie doch erst einmal »Menschen aus uns machen«. Mein angeborener Ordnungssinn half mir jetzt in so mancher Angelegenheit. Im Spind bekam alles seinen Platz nach DV (Dienstvorschrift). Die Unterwäsche, bei der NVA und den Grenztruppen, egal ob Sommer oder Winter, ausschließlich aus langem Unterhemd und langer Unterhose in weißer Baumwollqualität bestehend, wurde aus Gründen exakter Geometrie und glatter Kannten mittels eingelegter Zeitungen zusammengelegt. Hierzu war bestens geeignet die »Volksarmee«, ein Blatt, dessen Bezug Pflicht war, wie auch das FDJ-Organ »Junge Welt«. Auf dem 10-Mann-Zimmer hätten wir die Zeitungen gleich zehnmal lesen können. Sinnigerweise mußte jeder seinen Sold für eigene Zeitungen schmälern. Sonst hätte das mit der Wäschegeometrie ja auch nicht geklappt. Geometrische Linien- und Flächenführung ohne chaotische Falten waren auch den Betten zugedacht. Hierzu gab es das Procedere des Bettenbaus. Wie gut, wenn jemand von uns eine noch intakte, nicht durchgelegene Matratze erwischt hatte. Sonst war es schwierig, ein Bett zu bauen, das wie eingeschalt aussehen sollte. Sehr zu beachten war auch die Falttechnik der an das Fußende aufgelegten Decke. Das in großen Lettern aufgedruckte »NVA« hatte immer sichtbar nach oben zu zeigen. Wir sollten schließlich nie vergessen, wo wir uns jetzt befanden.

Bei Nichteinhaltung dieser wichtigen Dienstvorschriften kam die »Mutter der Kompanie«, sprich der Spieß oder offiziell Hauptfeldwebel genannt und machte aus dem angeblich unordentlichen Bett nachdrücklich einen Saustall. Gleiches konnte durch Auskippen des Spindes geschehen, wenn dieser in den Augen des Hauptfelds nicht der DV entsprach. Das war allerdings Auslegungssache und von Genosse zu Genosse oder von Tag zu Tag, je nach Laune des Spießes, verschieden. Also Ordnung, Ordnung, nochmals Ordnung und Acht geben, wenn der Spieß kommt! Der hatte auch immer im höchsten Maße ein Auge auf die Sauberkeit. Die gesamte Kaserne und deren Umfeld hatte zu blitzen. Reinigungsgeräte gab es dazu von verantwortlichen Soldaten der Besenkammern. Die Armee muß Großabnehmer von Bohnerwachs gewesen sein. Das gab es in Pappeimern und wurde in Unmengen auf Zeitungspapier, sozusagen haufenweise, ausgeteilt.

Der Bohnerbesen wurde kräftig geschwungen, es galt, lange Flure und Stubenfußböden blitzblank zu machen. Der Spieß kannte jedes noch so versteckte Eckchen, wo Staub liegen könnte. Die Konzentration auf Sauberkeit und Ordnung ließ uns manchmal den Blick auf unseren Feind vergessen; also auf das Wesentliche, den oft und gern herbeigeredeten»Aggressor«.

Der Spieß stand jeden Morgen zum Appell vor der Truppe, schickte die Unrasierten wieder weg und gab den Dienstplan bekannt. Der Dienstplan, Dokument von Furcht und Hoffnung, hatte für jeden etwas dabei. Frühsport, Märsche, Sturmbahn, Politunterricht, Übungsschulgelände, Imi­ta­tionssgrenzdienst und und und. Nur Freizeit war rar. Wochentags eine Stunde, Samstag einen halben und Sonntags den ganzen Tag. Freizeit hieß allerdings nicht frei sein. Auch hier warteten viele Überraschungen auf uns. Wie z.B. der bei mir so besonders beliebte Sport. Da ich von Geburt an nichts vom Sport hielt, was sich bis zum heutigen Tage nicht geändert hat, gab man mir Gelegenheit, in meiner Freizeit meine nicht vorhandenen sportlichen Fähigkeiten wenigstens in Ansätzen zu trainieren.

Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.

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