Читать книгу Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich. - Hans-Joachim Grünitz - Страница 18

Zapfenstreich

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Privilegien in größerem Umfang zu genießen, sollte für mich viel später auch wahr werden. Aber noch waren wir in Johanngeorgenstadt und die ersten schlimmsten 14 Wochen ohne Ausgang neigten sich nur ganz langsam dem Ende zu. Nach der Freizeit stand Stuben- und Revierreinigen auf dem Dienstplan. Jeder war für irgend etwas eingeteilt, alles mußte sauber sein bevor der Zapfenstreich folgte. Pünktlich 22.00 Uhr hatten alle in den Betten zu liegen. Die Stubenältesten machten dem UvD noch Meldung: »Stube mit 10 Mann belegt, 9 Mann anwesend, einer im Med-Punkt, Stube gereinigt und gelüftet, zur Nachtruhe bereit.« So oder ähnlich lauteten die einstudierten Meldungen und der eine, der da fehlte und im Medizinischen Punkt oder Lazarett lag, hatte entweder Fieber oder einen Knochen gebrochen, sonst läge er dort nicht.

Das Licht wurde gelöscht, und es hatte Ruhe zu herrschen. Die konnten wir nach dem ausgefüllten militärischem Tagewerk allerdings gut gebrauchen und alle hofften, daß ja kein Nachtalarm unseren Schlaf jäh beendet. Schlaf war sehr beliebt, war es doch gediente Zeit, von der wir nichts mitbekamen. Wer nicht gleich einschlafen konnte, der kam ins Grübeln. Dachte man doch an zu Haus und seine Angehörigen. Einige von uns waren bereits verheiratet, hatten ein kleines Kind, von dem sie nun anderthalb Jahre nur sehr wenig mitbekamen. Ein Umstand, der sogar den Einsichtigsten zum Fluchen auf die Armee veranlaßte. Und ich habe mich oft gefragt, ob es dafür nicht eine andere Lösung hätte geben können. Schließlich befand man sich nicht im Kriegszustand, wenn es uns auf Grund permanenter ideologischer Einflußnahme auch manchmal so vorkam. Draußen, wenige Meter vor meinem Fenster und doch so weit weg, lief das Leben ab. Auf dem Bett liegend, fiel mein Blick oft auf den »Tourist«, eine Urlaubertanzgaststätte, die fast jeden Abend hell erleuchtet war.

Der Zeitpunkt der Nachtruhe wurde nur einmal in der Woche befehlsmäßig nach hinten verschoben, nämlich immer Montag wenn im Fernsehen der »Schwarze Kanal« von und mit Karl-Eduard von Schnitzler gesendet wurde. Für uns eine Pflichtveranstaltung, sollten wir doch durch Herrn von Schnitzler in unserer verordneten sozialistischen Ideologie gestärkt werden. Diese Sendung bewirkte bei den meisten Genossen nur ein müdes Lächeln oder lethargisches Danebenhören, denn selbst die treuesten Genossen mußten feststellen, daß der Mann maßlos überzog und in seinen Argumenten der kälteste Krieger aller Zeiten war. Warum der sein »von« noch nicht abgelegt hatte war geradezu verwunderlich. Eine weitere Pflichtsendung flimmerte jeden Abend um 19.30 Uhr auf uns hernieder. Die »Aktuelle Kamera«, eine im Sinne des sozialistischen Zuschauers geprägte Nachrichtensendung. Leider hatten die von Pressefreiheit noch nichts gehört, denn viele Ereignisse fielen einfach unter den Tisch. Gesendet wurde nur, was ins Weltbild paßte. Unvergeßlich sind die tödlich langweiligen Berichte von angeblicher Planerfüllung in den Betrieben, von Erntekapitänen und ihren Helfern bei der Getreideernte und von Kartoffelvollerntemaschinen. Letztere mußten auch als schön langes Wort für Galgenrätsel herhalten, mit denen wir solche Zeiten zu überbrücken versuchten.

Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.

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