Читать книгу Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich. - Hans-Joachim Grünitz - Страница 4

Gemustert

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»Musterung«, ein für mein Befinden unwürdiges Wort. Pferde werden ja bekanntlich auch gemustert. Aber gut, heute schreiben wir das der Militärtradition zugute und regen uns nicht mehr sonderlich auf. Die Musterung bedeutete nichts anderes als die Feststellung der militärischen Tauglichkeit, nein, nicht der von Kavalleriepferden, sondern der von jungen Männern. Es war die erste medizinische Untersuchung zu diesem Zweck und fand in der Regel jährlich für die jeweils 18jährigen statt und die wußten schon, was kommen würde. So auch bei mir, im Jahre 1973.

Man hatte einen ganzen Gebäudeflügel in der Betriebspoliklinik frei gemacht. Jeder mußte zwei Ärzte nebst Schwestern über sich ergehen lassen. In diesem Zusammenhang fällt mir immer wieder das wohl auch traditionelle »Hosen runter und bücken« ein. Hätte bis zu diesem Zeitpunkt nie gedacht, daß es das in dieser Form tatsächlich gibt. Man denkt dabei sofort an Hämorrhoiden! Aber in diesem Alter? In meinem G-Buch, dem mich nun immer begleitenden »Gesundheitsbuch« der NVA, ist im Kapitel »Musterung« jedenfalls kein diesbezügliches Wort zu finden. Erst das Kapitel »Entlassungsuntersuchung« nennt einen solchen Eintrag. Könnte das etwa zu der Annahme führen, daß der Armeedienst diesbezüglich förderlich wäre? Um es vorweg zu nehmen, bei mir ist »nein« unterstrichen!

Nun, man wollte wohl nur die Wirbelsäule prüfen und das machte sich in gebückter Haltung mit heruntergelassenen Hosen und in Anwesenheit der Schwester wohl besonders gut. Zum Glück war letztere bereits in gereiftem Alter und hätte meine Mutter sein können. Peinlicher waren dagegen die Fragen des Arztes nach meinem Intimleben. Des weiteren sollte ich ihm die Bezeichnungen diverser Teile meiner Genitalien nennen! Das muß wohl auch der in der Mimik starren Schwester seltsam vorgekommen sein. Ihre Gesichtsfarbe veränderte sich zumindest in Richtung »mehr Blut«.

Was nach dem »medizinischen Teil« kam, war die verbale Attacke, geführt von der Einberufungs­kommission, die auf Biegen und Brechen einen Längerdienenden, sprich Unteroffizier auf Zeit oder gar Berufssoldaten aus mir machen wollte. Es hat nicht geklappt. Weder die anfänglich väterliche Tour der Offiziere, noch die dann folgende strenge Aufforderung, gerade zu sitzen, verbunden mit der Drohung, man werde mich dann eben erst »sehr spät« und »ganz weit weg von zu Hause« einberufen, konnten mich von einem Dienst, länger als die obligatorischen eineinhalb Jahre, überzeugen.

Auch nicht der unfaire Verweis auf den Beruf meines Vaters. Mein herzensguter Vater, der zu diesem Zeitpunkt noch als Geschichtslehrer arbeitete, hat für mich stets nur das Beste gewollt und mir selbstverständlich die Entscheidungsfreiheit gelassen. Er sollte nun auf Grund seines Lehrerdaseins als ideologische Waffe herhalten. In der Luft schwang, wenn auch nicht direkt ausgesprochen, unmißverständlich die Drohung, daß mein Vater durch meine Unwilligkeit Ärger bekommen könnte. Ganz so weit ging die Macht der Herren nun aber doch nicht. Ich äußerte mich darauf wohl überaus ungehalten, worauf die Einberufungskommission des Wehrkreiskommandos mich in ebenfalls ungehaltener Stimmung entließ.

Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.

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