Читать книгу Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich. - Hans-Joachim Grünitz - Страница 22
Nachtalarm
ОглавлениеKaum in der Kaserne gelandet, den militärischen Alltag wieder in vollen Zügen aufgenommen, krähte der Erpel und zwar des Nachts, zu bestschlafender Zeit. Die in allen Fluren hängenden lautstarken Alarmgeber mit »Erpelklang« ließen uns kerzengerade aus den Betten springen. Nachtalarm! Jetzt galt es alle Befehle zu erfassen und die vorgegebenen Zeiten einzuhalten. Ansonsten hätte immer wieder geübt werden müssen, bis die Normen stimmten. Jeder hatte seine Aufgabe. Nach Anlegen der Bekleidung und Ausrüstung und dem Empfang der Waffen, hatte ich die Aufgabe, zusammen mit einem Genossen Soldat, eine Ausrüstungskiste auf den Hof zu schleppen und dort anzutreten. Nachdem die Anwesenheit von Mannschaft und Material überprüft wurde, fuhren LKW heran und nahmen das Material, wie Munitionskisten, Kisten mit ABC-Bekämpfungsmitteln und sonstige unabkömmliche Gegenstände auf. Uns nahmen sie nicht auf, wir durften laufen, d.h. marschieren. Und weil es in der Nacht gewöhnlich sehr still ist, marschierten wir ohne Tritt, also zwar geordnet aber nicht im Gleichschritt, denn dieser wäre zu laut gewesen. Aber kurze Zeit darauf mußte ich innerlich lachen und muß es heut noch, wenn ich an das skurrile Szenario zurückdenke.
Wir schlichen also aus der Garnisonsstadt hinaus und marschierten auf einer Landstraße in Richtung eines Dorfes. Zur Sicherung der Truppe liefen drei Mann voraus. Einer in der Mitte an der Spitze, die zwei anderen je auf einer Straßenseite ein Stück dahinter. Der eine von der Seitensicherung war ich. Und nun sollte ich auf verdächtige Bewegungen achten und Geräusche hören, die von einem imaginärem Feind stammen könnten, um dann Alarm zu geben. Aber alles was ich hörte, war die in der Stille der Nacht fürchterlich klappernde und schlurfende Truppe hinter mir. Göttlich, welch seltener Spaß! Und was werden wohl die Dorfbewohner gedacht haben, als die dunkle, bis an die Zähne bewaffnete Truppe des Nachts zu Friedenszeiten durch ihre Gemeinde rasselte? »Die von Georgenstadt spielen mal wieder Krieg« Oder waren sie es gewöhnt und es berührte sie nicht weiter?
Der Spaß verging jedoch mit der Anzahl der marschierten Kilometer. Wir liefen die ganze Nacht. Als es hell wurde, kam das Unvermeidliche: Vollschutz war anzulegen. Da hatte doch der Feind tatsächlich biologische Waffen eingesetzt. Zum Glück im Hellen, denn im Dunklen trauten sich die Vorgesetzten nicht so recht »Vollschutz« zu befehlen. Die Gefahr, etwas von der Ausrüstung zu verlieren war einfach zu groß. Die Konstruktion unseres Vollschutzanzuges kam dieser Annahme sehr entgegen. Nur aus einem Teil plus zwei Stiefelüberzüge, Handschuhen und Gasmaske bestehend, war das Anlegen eine Wissenschaft und damit marschieren erst recht. Die Dinger waren so sinnig konstruiert, daß sich nach sechs Kilometern Marsch bei den meisten im Ernstfall der Tod eingestellt hätte. Das ganze Gebinde löste sich nämlich auf und man sah es durch die Maske nicht einmal. Also mußte hin und wieder etwas gesucht werden und das war im Hellen einfach leichter. Daß die Konstruktion nicht ausgereift war, beweist, daß später andere Vollschutzanzüge, bestehend aus Jacke und Hose, eingeführt wurden. Diesen Luxus habe ich aber nie genossen.
Irgendwann kamen wir dann im Gestellungsraum an. Die Truppe sammelte sich im Wald an vorgesehener Stelle. Alle sanken erschöpft zu Boden. Kurze Pause. Danach noch ein paar Spielchen im Gelände, wie Schützenlöcher und -gräben ausheben, an gespannten Seilen über einen Wassergraben hangeln, von Baumstumpf zu Baumstumpf hopsen, über eine Wippe rennen und ähnliche, viel Freude bereitende Aktivitäten. Eine Art Sturmbahn, nur eben gefechtsnah direkt im Gelände, sicherlich mit viel Liebe aus Naturmaterialien errichtet. Wir übten fleißig, denn hierher sollte es auch später gehen zum Abschlußkomplex. Der besten Gruppe winkte ein Sonderurlaub. Und den wollte und sollte ich meiner Gruppe nicht versauen. Da ich nunmal nicht der sportlichste Typ war und dies so schnell nicht ändern konnte (oder wollte?), meine Ausbilder dies schon längst erkannt hatten, beschlossen sie, mich während des Abschlußkomplexes für andere wichtige Tätigkeiten abzustellen.