Читать книгу Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich. - Hans-Joachim Grünitz - Страница 21
Beurlaubt
ОглавлениеAlles lief weiter wie gehabt, in der Hoffnung auf einen baldigen VKU, den verlängerten Kurzurlaub, mit längst fälliger Heimreise. Leider enttäuschte man uns. Wir führten noch tagelang diese und jene hochwichtige militärische Übung durch, wollte unser KC, der Kompaniechef, doch der Beste sein. Die Ausbildungskompanien standen nämlich untereinander in einem »Sozialistisch-Militärischem Wettkampf«. Offenbar Karrieresprungbrett für besonders gute KCs, was uns allerdings völlig egal war. Wir wollten endlich raus! Raus aus dem Kasernenmief, der uns schon weltfremd hatte werden lassen. Und das trotz allabendlich befohlenem Schauen der »Aktuellen Kamera« im Fernsehen!
Nach 14 Wochen war es dann endlich soweit und man erklärte uns eindringlich, wie wir uns draußen zu benehmen hätten. Die ganze Kompanie fuhr in den VKU nach Hause. Das wurde auch Zeit, der Stumpfsinn hatte sich schon mächtig in unsere Hirne eingenistet. Freuten wir uns jetzt doch über die einfachsten alltäglichen Dinge des zivilen Lebens wie die kleinen Kinder, wußten wir doch, daß dies nur von sehr kurzer Dauer sein würde.
Kaum raus aus der Kaserne, eilten wir zum Bahnhof. Die meisten hatten eine lange Reise vor sich, denn es war vielfach Methode, den Wohn- und den Dienstort weit voneinander festzulegen. So verbrachten wir also eine nicht unbeträchtliche Zeit unseres spärlichen VKUs auf den Schienen und Bahnhöfen der Deutschen Reichsbahn. Schnelle Zugverbindungen, in denen eventuell der Klassenfeind hätte sitzen können, wie z.B. in den sogenannten Interzonenzügen, waren ohnehin verboten. Ein solcher Westkontakt wäre unserer Armee wegen der bereits weiter oben schon einmal beschriebenen »politisch-ideologischen Diversion des Gegners« nicht gut bekommen! Aber das war uns jetzt auch erstmal egal. Alle wollten vor Abfahrt noch Bier kaufen. Zwei Flaschen reichten, um uns endgültig glücklich zu machen. Nach so langer Zeit der alkoholischen Entwöhnung brauchte es nämlich nicht viel. Man wollte ja zu Haus auch ankommen und Militärstreifen sowie Bahnpolizei hatten immer ein Auge auf uns. Wer das nicht ernst nahm, sah sich unter Umständen schneller in der Kaserne wieder, als geplant. Also blieben wir artig und beschmutzten unsere Uniform nicht, wie man sinnbildlich meinen könnte. Das Tragen der Uniform war in der NVA und bei den Grenztruppen für Grundwehrdienstleistende im Ausgang und bei Urlaubsfahrten grundsätzlich vorgeschrieben. Wir besaßen in der Kaserne ja auch keine Zivilkleidung mehr, aber zuhaus. Wäre es nach Dienstvorschrift gegangen, hätten wir auch dort Uniform tragen müssen. Hier ignorierten aber alle in fester Verbundenheit die Dienstvorschrift.
Diese DV war offensichtlich von einem äußerst weltfremdem, wahrscheinlich vergreistem und verkalktem Militär-Gesetzgeber erlassen worden. Stützte sich ihre Durchsetzung doch auf das Bewußtsein der Soldaten. Dieses ließ allerdings, bis auf unbekannte Ausnahmen, die gewünschte Ausprägung vermissen und so führte mich, zu Hause angekommen, der erste Gang zum Kleiderschrank und der zweite zur Hausbar in meinem Zimmer. Ich wohnte damals noch bei meinen Eltern und die sorgten sich rührend um mich und natürlich auch um die Auffüllung meiner kleinen Bar. Dafür bin ich ihnen heute noch sehr dankbar.
Die Zeit verging viel zu schnell, immer überschattet von dem Gedanken an die Rückfahrt und die noch folgende, scheinbar unendlich lang zu dienende Zeit. Der Abschied von zu Haus nach dem ersten VKU ist mir auf Grund der deprimierenden Gedanken an die damals von mir sehr verhaßte Armee in besonders guter Erinnerung. Das hing sicherlich auch mit der besonders militärisch-straffen Dienststelle in der Ausbildungskompanie in Johanngeorgenstadt zusammen. Später, in anderen Dienstorten, war dann alles nur noch Routine. Man nahm es wie es kam und diente Zeit ab. Aber jetzt war noch nicht mal ein halbes Jahr rum und es ging unbarmherzig zurück in die Höhle des Löwen.
Ob dieser Wehrdienst jemals zu Ende ging?