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Der Charakter von Properzens Elegiendichtung
ОглавлениеAls die griechischen Vorbilder für seine Elegiendichtung bezeichnet Properz mehrfach die alexandrinischen Dichter Philitas und Kallimachos.61 Und wenn er in der Elegie 2,34,32 einen Dichterkollegen mahnt, er solle, wenn er auf Mädchen Eindruck machen wolle, nicht abgelegene Stoffe wählen, sondern die ‚Träume‘ des Kallimachos nachahmen, scheint das ausdrücklich auf den Dichtertraum der Aitien hinzuweisen, in dem sich Kallimachos von den Musen zu den Sagenerzählungen seiner Aitien inspirieren ließ.62 Aber wieso kann Properz auf Kallimachos als Vorbild hinweisen? Kallimachos’ in den Fragmenten der Aitien gut kenntliche Elegiendichtung hat ja thematisch einen ganz anderen Charakter als Properzens Liebeselegien.63 Den Charakter der hellenistischen und also auch der kallimacheischen Elegiendichtung hat F. Jacoby erschlossen.64 Sie hat seit Antimachos einen sehr einheitlichen Charakter. Oft in einem persönlichen Rahmen werden Sagenschicksale erzählt. Für die Eigenart der hellenistische Elegiendichtung ist schon das erste Werk dieser Dichtungsweise, Antimachos’ Lyde, bezeichnend. Der Dichter tröstet sich in diesem Werk über den Tod der geliebten Lyde durch die Sammlung und Erzählung leidvoller Sagenschicksale.65 Alle erhaltenen Fragmente stammen aus den verschiedensten Sagenzusammenhängen; der persönliche Rahmen läßt aber vermuten, daß erotische Themen im Vordergrund standen. Die Zusammenstellung von Sagenschicksalen ist nun allen hellenistischen Elegiendichtern von Antimachos bis Parthenios gemeinsam. Auch die Aitien des Kallimachos erzählen nach einem persönlichen Eingang Sagen. Elegienbücher in der Art des Properz, der in fast allen Elegien in Ich-Form von eigenen Liebesschicksalen und -gefühlen spricht,66 finden sich in der hellenistischen Elegiendichtung nicht.67
Der Vorbildcharakter insbesondere der kallimacheischen Elegien lag, wie Puelma gezeigt hat,68 offenbar in der poetischen Gestaltung der Stoffe. Kallimachos’ Darstellungsweise seiner Stoffe war sehr persönlich und modern. Anstelle weitläufiger Sagenzusammenhänge mit breit geschilderten Szenen ließ Kallimachos in den Aitien kurze Einzelelegien ohne thematischen Zusammenhang aufeinander folgen. Den Zusammenhang bildet die Gestalt des Dichters, der persönlich hervortritt und sich seine Stoffe erzählen läßt. Er befragt die Musen und kommentiert das von ihnen und anderen Erzählern Erfahrene in persönlichen Urteilen. Ein ausgesprochen subjektiver Zug ist auch, wie er sich in die Personen seiner Geschichten hineinversetzt, ihre Freuden und Schmerzen mitfühlt.69 Besonders der Ausdruck von Liebesgefühlen scheint in der Nachfolge des Euripides in der hellenistischen Sagenelegie zentral gewesen zu sein. Ein aufschlußreiches Beispiel ist Kallimachos’ Elegie ‚Die Locke der Berenike‘, die Catull ja nicht von ungefähr übersetzt hat. Sie bietet ein gutes Beispiel einer emotional bewegten Liebessprache, wie es sich römische Elegiendichter zum Vorbild nehmen konnten.70
Das Liebesthema in Gedichten in Ich-Form wurde von den Dichtern der griechischen Anthologie in Epigrammen behandelt. Diese Form stammt ursprünglich von Steininschriften, in denen man etwas Erinnerungswürdiges festhalten wollte. Als dann in der hellenistischen Zeit auch Liebesbegebenheiten in literarischen Epigrammen dargestellt wurden,71 zeigt die epigrammatische Kürze wohl auch an, daß man dergleichen gegenüber würdigeren Themen, die dem Mythos entstammten, für Bagatellen hielt, was ja oft auch die sehr ironische Behandlung der Themen zeigt.
In Rom tauchen erotische Themen zuerst in Nachfolge der griechischen Neuen Komödie auf. Für die römischen Zuschauer mußten solche Komödien mit ihren griechischen Sitten zunächst eine sehr fremde Welt sein. Gewiß sahen sie nicht ohne Erstaunen, welch freies Leben die jungen Athener, ihre Sklaven und Mädchen führten. Aber die Komödie bereitete doch auch die Aufnahme einer erotischen Thematik in anderen Literaturformen vor. Die ersten erotischen Epigramme von Valerius Aedituus, Porcius Licinius oder Lutatius Catulus waren Übersetzungen griechischer Epigramme. Das Interesse war zunächst vor allem formal: Man wollte etwas gut und geistreich Gesagtes auch lateinisch ausdrücken können.
In der Neoterikergeneration gewann man eine größere Freiheit gegenüber den griechischen Vorbildern. Wie G. Williams gesehen hat,72 weitet Catull Themen, die in griechischen Epigrammen in gedrängter Kürze dargestellt waren, in seinen lyrischen Gedichten aus. Etwa in Carmen 44 formt er aus einem Scherz über den frostigen Stil einer Rede ein vielfältigeres Gebilde, in dem der lyrische Preis seines Landguts zentral ist. Oder in Carmen 4 entfaltet er die zugrundeliegende Form eines Weiheepigramms zu einer lyrischen Vergegenwärtigung der Reise aus der äußersten Fremde an den heimatlichen See. Das 35. Gedicht spielt mit der Form eines Weiheepigramms, kehrt aber das von Lesbia geforderte Brandopfer in heiterem Spiel in ein ganz anderes Brandopfer um. Und in einer vergleichbaren stilistischen Veränderung verwandelt er auch das Trauergedicht c. 101 auf seinen in Bithynien verstorbenen Bruder. Durch die Konzentration auf einen lyrischen Augenblick verliert es die Züge eines Grabepigramms, die das thematisch verwandte Meleagrosepigramm A.P. 7,476 zeigt.
Wichtig für die Entfaltung der elegischen Form ist auch, wie schon bei Catull das Interesse am eigenen Ich in den Mittelpunkt tritt. Wie vorher ganz selten – die Gedichte der Sappho sind zu nennen und in Rom vielleicht Lucilius – tritt bei Catull anders, als es in dem mehr nach den üblichen Normen lebenden Rom üblich war, das Interesse gerade an den persönlichen Eigenheiten und an den sich vom Üblichen unterscheidenden Ansichten und Urteilen in den Mittelpunkt.73 Dazu gehört auch, daß die Liebe des Dichters eine ungemeine Bedeutsamkeit erhält. Das unterscheidet Catulls Liebesgedichte entscheidend von den thematisch verwandten der griechischen Anthologie. In ihr führte eine leichtfertige Auffassung der Liebe zu witzigen, ironischen Epigrammen in einer pointierten, oft in einem Scherz endenden Form. Bei Catull hat die Liebe einen tieferen Lebensernst. Das erweckte ein lebhaftes Interesse an den Empfindungen und Widersprüchen der eigenen Seele. Wohl gelingt es ihm, diese Widersprüche in ganz kurzen, ungemein zugespitzten Epigrammen herauszuarbeiten, aber in seinen lyrischen Gedichten entfalten sich die Gefühlsbewegungn viel freier. Ein verwandtes Bestreben führte dazu, daß er seine Seelenbewegungen auch in längeren Elegien darstellte.74 Von zentraler Bedeutung ist das in der Form noch sehr experimentelle 68. Gedicht, in dem er durch eine Annäherung an griechische Mythen versucht, ein überwältigendes persönliches Geschehen darstellbar zu machen.75
Parallel zu Catull könnte auch sein Freund Calvus, den Properz in den Elegien 2,25,3f. und 2,34,83f. als einen mit ihm und mit Catull vergleichbaren Liebesdichter bezeichnet, die literarische Entwicklung der römischen Liebesdichtung gefördert haben. Thematisch nimmt er in Fragment 16 Morel = Courtney in einem Trauergedicht auf seine Geliebte oder Frau Properzens wichtiges Motiv, daß der Tod für die Liebe kein Ende bedeutet, ja daß der Staub eines Toten vielleicht noch Liebesempfindungen hat, vorweg. Die Art, wie der Pentameter zitiert wird, deutet darauf hin,76 daß er aus einem längeren Gedicht, also eher aus einer Elegie als einem Epigramm stammt.
Nach Catulls und vielleicht auch Calvus’ Seelenerkundung konnten die Elegiendichter der nächsten Generation nicht mehr hinter diesen Entdeckungen zurückbleiben. Sie übernahmen Grundpositionen Catulls, mit denen man die eigenen Liebesgefühle interpretierte. Die große Einheitlichkeit der Liebesauffassung dieser Dichter hat hier ihre Ursache. Schon Gallus empfing von Catulls Liebesauffassung entscheidende Anregungen.77 Formal hat er die Ausweitung der Form zu längeren Elegien entschiedener als Catull vollzogen; sonst hätte man ihn nicht seit Ovid als den ersten der vier klassischen römischen Elegiker bezeichnen können.78 Im Mittelpunkt von Gallus’ Amoresbüchern stand wie bei Properz eine einzige Geliebte, die wenig getreue Lycoris.79 Auch thematisch waren also seine Elegien offenbar mit denen des Properz vergleichbar. Das zeigen auch Widerspiegelungen seiner Themen in der 10. Ekloge Virgils, die dann im 1. Buch des Properz auftauchen. Ähnlich wie Properz in der Elegie 1,4 möchte auch der Virgilische Gallus mit seiner Geliebten bis zum Tod verbunden sein und wie Properz in der Elegie 1,8 fürchtet schon der Gallus der 10. Ekloge, daß die Geliebte, die ihn verlassen hat, mit ihren zarten Füßen in einer unwirtlichen Gegend auf Schnee treten muß. Und wie Properz in der Elegie 1,18 ließ schon Gallus in der 10. Ekloge seine Liebesklage in einsamen Wäldern verströmen, und auch er schnitzte den geliebten Namen in die Rinde von Bäumen.80
Thematisch benützt Properz, wohl über Gallus hinausgehend, viele erotische Motive, die sich in den Epigrammen des Kallimachos und anderer hellenistischer Dichter finden.81 Geradezu programmatisch beginnt die erste Elegie des 1. Buches mit Versen, die ein bekanntes Meleagrosepigramm variieren,82 und in zahlreichen anderen Elegien verweisen die Kommentare auf teilweise recht enge motivliche Berührungen mit hellenistischen Epigrammen.83 Aber wie schon Catull und Gallus biegt er nicht selten die Sinnrichtung der Epigramme um und weitet die epigrammatisch pointierte Kürze durch andere Motive aus, die er auch aus literarischen Quellen bezog. P. Boyancé und P. Fedeli unterstreichen, daß die römische Elegie eine offene literarische Gattung ist, die ohne Scheu Motive aus unterschiedlichen Quellen aufnimmt.84 Insbesondere kannte Properz auch Liebesdarstellungen der Neuen Komödie, deren Situationen und Motive er in einer Reihe von Elegien übernahm.85