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3. Elegie

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Nach der 2. Elegie, die nicht frei von Zweifeln und Entäuschungen ist, zeigt die dritte eine ungewöhnliche seelische Vertiefung der Liebesbeziehung. In ihr wird ein derbes traditionelles Motiv gründlich verwandelt. Ein spätes Epigramm, das bestimmt Früheres aufnimmt,56 läßt einen Liebhaber in die Kammer eines schlafenden Mädchens dringen, das er überfällt und trotz ihrer Gegenwehr zur Liebe zwingt. Schließlich wird er von klagenden Vorwürfen überschüttet. Die Motivabhängigkeit zeigt auch das gleiche Bild der Schlafenden, deren ermattetes Haupt auf den Armen liegt. Ein anderes Epigramm schildert vergleichbar das verzaubernde Mondlicht, das die Schönheit des Mädchens hervortreten läßt.57 Bei Properz aber sind die Epigrammotive, bei denen es ursprünglich vor allem auf den erotischen Reiz ankam, gründlich verwandelt. Dies geschieht schon durch die drei Mythenvergleiche des Gedichtbeginns, die Cynthia mit dem Glanz der griechischen Sage umgeben. Die friedlich schlafende Cynthia, die der Liebende in später Nacht besucht, erscheint ihm in ihrer Schönheit wie die am Strand verlassene, eingeschlafene Ariadne, wie die nach ihrer Befreiung erschöpft auf den Klippen in Schlaf gesunkene Andromeda58 oder eine von ihren Tänzen ermattete Bakchantin.

Man hat vielfach gedacht, Properz denke an bestimmmte Darstellungen der bildenden Kunst, mit denen er seine Geliebte vergleiche.59 Nun ist es gewiß so, daß Ariadne, Andromeda und Bakchantinnen zu beliebten Motiven der römischen Wandmalerei zählen, aber die Gestalten wurden durchwegs in anderen Situationen dargestellt.60 Wenn Ariadne schlafend dargestellt wird, ist das in dem Moment, in dem Theseus, auf die Schlafende zurückblickend, sie verläßt oder sein Schiff betritt, nicht wenn das Schiff bereits auf der hohen See ist.61 Eine andere verbereitete Bildkomposition zeigt Ariadne eben erwacht, den Blick verzweifelnd auf das entschwindende Schiff des Theseus gerichtet.62 Andromeda aber erscheint an den Felsen geschmiedet, während Perseus naht, oder aber Perseus geleitet die Befreite vom Felsen herab.63 Bakchantinnen aber werden gewöhnlich mit Satyrn tanzend oder schwebend im Thiasos des Dionysos dargestellt.64 Properz scheint also nicht bestimmte Darstellungen der bildenden Kunst vor Augen gehabt zu haben, sondern eher ganz allgemein die erhöhende und verklärende Art übernommen zu haben, in der die römische Wandmalerei den Mythos und seine Gestalten darstellt.65

In diesen mit mythischem Glanz überhöhten Raum ist nun spät in der Nacht der Liebhaber eingedrungen (Vers 9f.).66 Der Nachtschwärmer ist in realistischer Weise gezeichnet. Von übermäßigem Weingenuß schwankt sein Gang, Sklaven, die ihm mit Fackeln den Weg leuchten, begleiten ihn. Er kommt offensichtlich von einem Gelage, wie es damals die übermütige Jugend feierte. Von Liebe und Trunkenheit gedrängt,67 will er sachte auf das Bett steigen, die Geliebte umarmen und küssen (Vers 11–16).68 Ein derber Überfall scheint sich anzubahnen, wie ihn das griechische Epigramm schildert. Aber da hält er inne. Er will den Schlaf seiner Geliebten, die er seine Gebieterin nennt, nicht stören. Auch fürchtet er ihr empörtes Schelten, wenn sie erwacht. Mit dem Wort domina wird ein anderes Liebesverhältnis angezeigt, als es die Epigramme der griechischen Anthologie schildern. Die Geliebte ist kein Straßenmädchen, mit der man leichthin handeln konnte, sondern ein Wesen, zu dem man aufschaut.

Schön ist nun die anschließende Schilderung in den Versen 19–30, wie der Liebende in stiller Bewunderung von der Schönheit des Mädchens hingerissen ist.69 Auch diese Partie setzt mit einem Bild aus der griechischen Sage ein. Der Liebende ist so von dem Anblick gebannt, wie einst Argus gebannt auf Io blickte.70 Der Dichter selbst wird so in die poetische Welt der Sage entrückt, in die er vorher die Geliebte erhoben hatte. Die Bewunderung zeigt sich in zarten Gesten der Verehrung. Der Liebende nimmt sich den Blütenkranz des Symposiasten ab, schmückt mit den Blumen das Haupt der Schlafenden und ordnet ihre verwirrten Locken. Dann will er verstohlen71 Äpfel, also übliche Liebesgeschenke,72 in ihre offenen Hände legen, die natürlich immer wieder zu Boden rollen. Besonders einfühlsam ist, wie er sich in das Mädchen hineinversetzt. Wenn sie im Schlaf seufzt, fürchtet er, daß sie ängstliche Träume bedrängen, gar, daß jemand im Traum ihre Liebe erzwingen will, wie er es eben selbst noch im Sinn gehabt hatte. Die liebende Zuneigung wird auch in den Anreden tuis, Cynthia, temporibus, duxti und tibi deutlich. In dieser Rücksicht und Aufmerksamkeit wird eine seelische Vertiefung spürbar, von der die erotischen Gedichte der griechischen Anthologie noch nichts wußten. Vergleichbares findet man am ehesten bei Catull, wie er hingerissen Lesbias Spiel mit ihrem Vögelchen betrachtet und wie er nicht nur seinen Liebesdurst stillen möchte, sondern in Freundschaft mit der geliebten Frau verbunden sein will.73

Der Liebende kann dieser verzauberten Stunde kein Ende setzen, deren Dauer durch die Wahl des Imperfekts in den Versen 19–26 sehr fühlbar gemacht wird: haerebam, solvebam, ponebam, gaudebam, dabam, largibar.74 Cynthia erwacht erst, als der wandernde Mondschein auf sie fällt und ihre Augen öffnet.75 Halb aufgerichtet auf den Polstern, fängt sie zu sprechen an. Gewiß beginnt sie, wie er befürchtet hatte, mit Vorwürfen und unterstellt, daß er die ihr versprochene Nacht (meae noctis) in den Armen einer anderen habe verbringen wollen und erst zu ihr gekommen sei, als er dort verschlossene Türen vorfand. Und in ihrer Enttäuschung wünscht sie ihm, er solle auch so traurige Nächte verbringen, wie er ihr zumutet.76 Aber dann wird in der Schilderung des langen Abends, den sie allein verbringen mußte, ihre Liebe und Sehnsucht offenbar. Wie eine züchtige Gattin habe sie lange versucht, am Webstuhl den Schlaf zu vertreiben,77 dann habe sie es durch Lieder, die sie zur Leier sang, versucht. Und leise habe sie in den langen Stunden über die geringe Treue ihres Liebhabers geklagt, bis sie zuletzt der Schlaf von ihrem Kummer erlöste.78 Wie oben in der Schilderung von Properzens staunendem Betrachten zeichnen Imperfektformen die Dauer des melancholischen Wartens nach. Im Bild des den Kummer lösenden Schlafes taucht unvermerkt nochmals eine mythische Gestalt auf; denn Sopor ist ja der geflügelte Hypnos der griechischen Sagenwelt. Mit dieser Vorstellung, daß Hypnos die leise klagende Cynthia mit seinen tröstenden Flügeln umfängt, schließt das Gedicht ganz ruhig und führt wieder zu seinem Beginn, dem Bild der ruhig schlafenden Cynthia zurück.79 Und wie vorher in dem rücksichtsvollen Warten des Liebenden wird nun in der sehnsüchtigen leisen Stimme der Frau eine seelische Vertiefung der Beziehung deutlich, wie sie in der Antike selten zu finden ist,80 am ehesten kann man vielleicht an Sapphos sehnsüchtiges Erinnern an die ferne Freundin denken (fr. 96 LP).

Die Elegien des Properz

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