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6. Elegie

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In der 6. Elegie macht Properz das geradezu Schicksalhafte seiner Liebesbindung deutlich. Tullus, der Freund, dem er in der 1. Elegie das Buch gewidmet hatte, hatte ihn aufgefordert, mit ihm im Gefolge seines Oheims, der die Provinz Asia als Prokonsul verwaltete,105 in diese Provinz zu gehen. Das hätte einem jungen Angehörigen des Ritterstandes wohl angestanden. Auf diese Weise taten junge vornehme Römer ganz allgemein die ersten Schritte in einer politischen Laufbahn. Bekanntlich unternahmen auch Catull und seine Freunde einmal einen solchen Versuch. Properz antwortet in unserem Gedicht auf dieses Angebot klar: Er sei nicht für eine Laufbahn im Dienste des Staates geschaffen, sein Leben sei der Liebe geweiht. Das Schicksalhafte dieses Lebensweges wird durch eine Wiederholung des entscheidenen Gedankens deutlich: Voluit fortuna, fata volunt, duro sidere (Vers 25. 30. 36).

Das Gedicht beginnt mit einer traditionellen Freundschaftsbeteuerung. Properz wäre gerne bereit, mit dem Freund nicht nur die vorgeschlagene Reise zu unternehmen, er würde gerne mit ihm bis an die Enden der Welt ziehen.106 Aber leider sei ihm eine Reise unmöglich: Die inständigen Bitten seiner Geliebten hinderten ihn daran (Vers 1–6).

In der nächsten Partie, Vers 7–12, schildert der Dichter diese Bitten: Nächtelang beteuert Cynthia mit vielen Worten ihre Liebe, beschuldigt ihn, er verrate den beschworenen Bund, sie droht mit dem Ende ihrer Beziehung und bringt all das hervor, was ein enttäuschtes Mädchen einem undankbaren Mann sagen kann.107 Diese Klagen könne er keine Stunde ertragen,108 er sei eben kein lauer Liebhaber.

In Vers 13–18 wird dieses Motiv variiert. Ein Besuch Athens und der berühmten Stätten Kleinasiens sei es nicht wert,109 das Jammern Cynthias bei seiner Abfahrt anhören zu müssen. Der Dichter stellt sich vor, daß sie dem abfahrenden Schiff Verwünschungen nachrufen und sich in ihrem Jammer das Gesicht zerkratzen würde. Sie wäre für jeden Aufschub, den ihr ein widriger Wind gewährt, dankbar110 und klagte, daß nichts mitleidloser sei als ein treuloser Mann.

Die nächste Partie, Vers 19–24, wendet sich dann dem Freund zu. Er tue recht daran, im Dienste des Staates zu wirken111 und beizutragen, in der östlichen Provinz die zerrüttete Ordnung wiederherzustellen.112 Er habe ja nie Liebesabenteuer gesucht, sondern habe militärischen Ruhm im Dienste Roms gewinnen wollen, und er wünscht ihm, daß er nie durch Amor ein gleiches Leid erfahre wie er selbst. Der Lebensplan des Freundes wird so sehr klar als Gegenbild der eigenen Lebensweise charakterisiert. Er handelt so, wie es die römische Sitte von einem jungen Mann seiner Gesellschaftsschicht erwartete. Properz zeichnet hier die Art vor, in der er sein Verhältnis zur Politik kennzeichnet: Er übt nie Kritik an Roms imperialer Politik, auch nicht an der Absicht, seine Herrschaft auszudehnen; nur er selbst kann nichts dazu beitragen. Sein Leben als Liebender und als Dichter weist ihn andere Wege.113

Dann wendet er sich wieder dem eigenen Schicksal zu und bittet den Freund, ihn seinen Weg gehen zu lassen (Vers 25–30). Er will also willig die Schmerzen und Leiden, die mit ihm verbunden sind, ertragen und versucht auch nicht, seine Lebenswahl als gleichwertig mit der des Freundes darzustellen. Wenn er sein Liebesleben extrema nequitia nennt, weiß er, daß er vom römischen Standpunkt aus ein liederliches Leben führt. Und dann steigert er in Vers 27f. die negative Sicht noch. Er weiß, daß ein solches Leben nicht glücklich macht, sondern den, der es gewählt hat, zugrunde richtet, wie es schon manchen vor ihm zugrunde gerichtet hat. Aber er ist davon überzeugt, daß das sein Schicksal ist; er sei nicht für Ruhm und Waffentaten geboren. Sein Kriegsdienst sei der Kriegsdienst Amors, wie er es mit einem Topos der erotischen Poesie sagt.114

Im Schlußabschnitt, Vers 31–36, vergleicht der Dichter noch einmal die beiden Lebenswege. Wenn der Freund in den Ländern des Ostens115 als Vertreter der römischen Macht zu Wasser und zu Land wichtigen Aufgaben nachgeht und er dann vielleicht einmal an ihn zurückdenkt, wird er davon überzeugt sein, daß das Schicksal Properz ein hartes Los bestimmt hat. Er erhofft also vom Freund wie dann in 2,1,75–78 von Maecenas ein gewisses Verständnis für sein Schicksal.

Das Gedicht, das zunächst in einer bestimmten Lebenssituation eine Bitte des Freundes Tullus ablehnt und diese Ablehnung begründet, erweitert das Thema durch fortwährende Gegenüberstellungen zu einer kontrastierenden Darstellung zweier Lebensweisen, der in Rom herkömmlichen und der eigenen, die neuen Gesetzen folgt. Wie grundsätzlich das gemeint ist, zeigt Properz in 4,1,133f. Hier stellt er im Rückblick auf seine Lebensentscheidung sein Leben als Liebesdichter dem Leben eines Politikers gegenüber. Er wäre von Familie und Stand her eigentlich wie Freund Tullus dazu bestimmt gewesen, ein tätiges Leben in der Öffentlichkeit zu führen; dieser vorgegebenen Rolle stellt er seinen Lebensentwurf gegenüber, für den er bei traditionsbewußten Mitbürgern wenig Verständnis erwarten konnte. Erstaunlich ist nun, wie wenig er sich scheut, seine Lebenswahl im Lichte dieser zu erwartenden Kritik zu charakterisieren. Schon in der Elegie 1,1 bezeichnete er seine Liebesverfallenheit als furor, seinen Sinn als non sanus, in der 4. und 5. seine Unterordnung der Geliebten gegenüber als servitium, ja als grave servitium und nun seine Lebensweise als extrema nequitia. Aber je absurder einem altrömisch Gesinnten eine solche Lebenswahl erscheinen mußte,116 desto schicksalhafter und unausweichlicher erschien sie Properz.

Properz steht in der Wahl eines solchen Lebensweges in seiner Generation nicht allein. Eine vergleichbare Gegenüberstellung der zwei konträren Lebensweisen zeigt die erste Elegie Tibulls. In einer Anrede an seinen Gönner Messalla stellt er in Vers 53–56 dessen kriegerisches, ruhmvolles Leben im Dienste Roms seiner eigenen Liebesverstrickung gegenüber, die er wie Properz ohne Bemäntelung als hilfloses Nicht-anders-Können charakterisiert: Auch er schildert sich als von der Liebe gefesselt und bekennt, daß ihm nichts am Ruhm liegt. Wenn er nur bei seiner Geliebten sei, möge man ihn ruhig schlaff und träge schelten (Vers 57f.).117

Ein solches, die eigene Lebenswahl mit negativen Attributen belegendes Urteil findet sich erst in der Elegikergeneration. Catull dagegen lachte in c. 5,2f. über die griesgrämigen Kritteleien der am Alten haftenden ‚Greise‘, wie er höhnte. Ist diese Verkleinerung der eigenen Position eine wohl nicht ganz unironische Verbeugung vor der augusteischen Wertordnung?118

Properzens thematische Erweiterung geschieht fast unvermerkt. Zunächst wird seine Ablehnung mit Mitleid für seine Geliebte in dieser Situation begründet. In Vers 12 verwünscht er dann schon ganz allgemein einen Liebhaber, der nicht mit Leib und Seele liebt, für den es also noch andere Wichtigkeiten im Leben gibt. So ist der Übergang zu einer umfassenden Darstellung seines nur der Liebe geweihten Lebens in Vers 25ff. gut vorbereitet. Wie trotz der dramatisch bewegten Situation eines Freundesgesprächs eine überlegte Ordnung waltet, wird dadurch deutlich, daß sich die Gedichtentwicklung in sechs gleichlangen Versgruppen zu je sechs Versen vollzieht.119

Die Elegien des Properz

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