Читать книгу Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen - Hans von Trotha - Страница 10

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»Czernin?«

Der Kaiser legte die Stirn in Falten. Seine blauen Augen hatten sich trotz einer Neigung zum Tränen ein vordergründiges, aber wirkungsvolles Strahlen bewahrt. Sie trübten sich vorübergehend ein, während er in einer imaginären Ferne Antwort auf die Frage suchte, die die Nennung des Namens in ihm aufgeworfen zu haben schien.

»Ach ja, das ist doch der, der nach meinem Tod Minister des Äußeren werden soll. Ja, der soll nur ins Herrenhaus kommen, damit er noch was lernt.«

Wenn es sich nicht vermeiden ließ, trafen sich der Kaiser und sein Thronfolger in den Sommermonaten in der Ischler Kaiservilla, wo Seine Majestät seit über sechzig Jahren die Saison zu verbringen geruhte. Also wird es wohl in Ischl gewesen sein. Im Jahr 1906 war das Städtchen zum Bad erhoben worden, aber nur ausgemachte Parvenus sagten Bad Ischl, wenn sie Ischl meinten. Die Villa war ein Hochzeitsgeschenk der Kaiserinmutter an Franz Joseph und Elisabeth gewesen, Sisi. Ursprünglich ein einfacher Quaderbau, wurde sie zur mehrflügeligen Anlage in einem gefühlten italienischen Stil ausgebaut. Minister und andere hochstehende Besucher betraten das Haus nicht über den Haupteingang, sondern durch eine kleinere Tür, die Zugang zu einer geschwungenen Treppe gewährte, über die man in einen Vorraum des Kaiserlichen Arbeitszimmers gelangte.

Das Arbeitszimmer selbst hatte etwas erstaunlich Bewohntes. Da stand eine Chaiselongue vor einem Kamin, darüber hing ein Spiegel. In einen ausladenden Sessel, rotes Leder, hatten sich die kaiserlichen Umrisse schon für die Ewigkeit eingebrannt. Naturgemäß war der wichtigste Ort im Raum der Schreibtisch, jene zwei Quadratmeter Furnierholz, auf denen die zuvor per Kurier aus Wien angelieferten und vom Kabinettsdirektor vorsortierten Akten studiert wurden. Neben dem Schreibtisch ließ sich eine Tür zu einem kleinen Balkon öffnen. Stets begab sich der Kaiser sehr früh morgens, bevor er sich an die Arbeit machte, auf diesen Austritt, um sich dem einzigen Thema zu widmen, das alle Menschen jederzeit beschäftigte und über das so viel gesprochen wurde wie über kein zweites, nicht einmal über die Liebe: das Wetter.

Im Wetter sah der Kaiser eine mythische Gewalt, der man sich durch Beobachtung, Einfühlung und Demut anzunähern vermochte. Einsetzender Nieselregen, sich lichtender Morgennebel oder ein Sonnenstrahl, der hinter einer Wolke hervorstach, stimulierten ihn. Er hatte im Lauf der Jahrzehnte mehr und mehr Verständnis für das Wetter entwickelt, bis er umgekehrt begonnen hatte, sich vom Wetter verstanden zu fühlen, sodass der morgendliche Schritt auf den Balkon den Charakter einer innigen Begegnung annahm, die die Anwesenheit eines Dritten schon aus Gründen der Diskretion ausschloss.

Ein Telefon suchte man im kaiserlichen Arbeitszimmer vergebens, während andernorts in Regierungsbezirken längst unentwegt ferngesprochen wurde. Leuchtete ihm die Funktionsweise eines Geräts nicht mehr unmittelbar ein, witterte Seine Majestät zwar nicht eingestandenermaßen Zauberei, aber doch einen unkontrollierten Zwischenraum, der womöglich allerlei Manipulationen zuließ.

Das sogenannte Ministertreppenhaus, durch das der Thronfolger zu seinem Onkel gelangte, war ein Trophäentempel. In der Mitte der sich zum Halbkreis wölbenden Wand prangte auf halber Höhe ein Keilerkopf, flankiert von Hirschen und Auerhähnen. Jede dieser Trophäen war von einer Reihe aus Gamsgeweihen eingerahmt. Diese Geweihreihen setzten sich an den Wänden des Hauses fort, schienen sich beständig vermehrt und irgendwann verselbstständigt zu haben, zogen in Linien und Bändern durch Gänge und Säle. Sensiblere Naturen mochten die Schüsse durch die Räume hallen hören, die all die Tiere getötet hatten. Hielt man sich länger in der Villa auf, waren einem die stummeligen Hörner bald nur noch widerborstig dekorative Wandteppiche. Sogar an die alle Vorstellungskraft übersteigende Anzahl auf Bretter montierter toter Gemsen konnte man sich gewöhnen.

Seine Kaiserliche Hoheit Erzherzogthronfolger Franz Ferdinand war auf Geheiß Seiner Majestät an diesem Morgen früh erschienen. Er mochte die Kaiservilla nicht, wie er Ischl und wegen lschl die Steiermark nicht mochte. Es war ein Glück, dass die sich in konzentrischen Wellen ausbreitende Abneigung nicht so weit ging, dass der Thronfolger am Ende ganz Österreich gehasst hätte, das er demnächst zu regieren haben würde. Er war nicht das, was man einen zugänglichen Menschen nennt. Er brüllte gern. Urteile fielen wie Axthiebe. Selten fielen sie gut aus. Sein Wesen war so kantig wie seine Erscheinung. Das Verhältnis zum Kaiser war gespannt. Nicht nur, weil der Alte sich weigerte, den Thron freizugeben. Als sein Nachfolger würde er die Dornenkrone, wie er sie nannte, schon lange genug zu tragen haben. Obwohl, manchmal hegte Franz Ferdinand Zweifel, ob es tatsächlich dazu kommen würde. Es gab zwei Ereignisse, die es verhindern konnten: der Untergang der Monarchie und das eigene Ableben. Wenn er ehrlich war, rechnete er beständig damit, dass das eine oder das andere eintrat. Dennoch hatte er im Wiener Schloss Belvedere die sogenannte Militärkanzlei, mit deren Leitung der Kaiser ihn widerwillig betraut hatte, zu einer Art Regierung im Wartestand ausgebaut, ein kleiner, feiner Apparat, dessen Räder wie die einer noch nicht aufs Gleis gestellten Spielzeuglokomotive schnurrend hohl drehten, die man aber jederzeit aufsetzen konnte, sollte es losgehen.

Was den Erzherzogthronfolger viel stärker marterte, war die verachtungsvolle Grausamkeit, mit der seine geliebte Frau, die Mutter seiner Kinder, am Hof kujoniert wurde. Sophie war nicht von königlichem Geblüt, lediglich eine Gräfin Chotek. Nach den strengen Regeln des aus Spanien importierten Habsburgischen Protokolls hätte der Kaiser dieser Mesalliance seine Zustimmung nicht gewähren dürfen. Er wollte auch nicht. Es war ein langer trotziger Kampf, den Franz Ferdinand gewann. Franz Joseph verzieh es ihm nie.

Sophie wurde anlässlich der Hochzeit zwar zur Fürstin Hohenberg erhoben, musste aber bei allen protokollarischen Gelegenheiten hintanstehen. Mit der unerschöpflichen Kraft wahrer Perfidie achtete Obersthofmeister Alfred Fürst Montenuovo darauf, dass ein engmaschiges Netz aus Schikanen etabliert wurde. So durfte der Fürstin nur ein Türflügel geöffnet werden. Im Theater war es ihr verboten, in der Hofloge zu sitzen. Beim Einzug in einen Saal hatte sie hinter der jüngsten Erzherzogin herzugehen. Sie durfte auch keine der Kutschen mit den vergoldeten Speichen besteigen, die selbst dann angespannt wurden, wenn ein Säugling im Erzherzogstand ausgefahren wurde. Mochte sie selbst diese fortwährende Demütigung einigermaßen tapfer ertragen, so war sie ihrem Gemahl, der auch noch feierlich schwören musste, dass seine Kinder ihm niemals auf den Thron folgen würden, ein nicht endender Albtraum. Im Geiste führte er penibel Buch, wer sich seiner Frau gegenüber wie verhielt. Für später.

Dem Kaiser wurde unentwegt zugetragen, die Clique um Franz Ferdinand, das Belvedere, arbeite gegen ihn. Er glaubte es, nicht ganz zu Unrecht. Es kam vor, dass Franz Joseph vorzeitig nach Ischl abreiste, nur um Franz Ferdinand aus dem Weg zu gehen. Wie eine lokale Gewitterwolke hing enorme Spannung über den Begegnungen. An diesem Tag war es überraschend ruhig zugegangen. Zum Abschluss der Audienz ersuchte der Erzherzog den Kaiser, er möge den Grafen Ottokar Czernin ins Herrenhaus berufen. Der gehörte zu den Menschen, die es über längere Zeit mit dem Thronfolger aushielten, ein Status, der wenige auszeichnete, um den sich allerdings auch nicht allzu viele bewarben. Es half, dass sie beide viel brüllten, dass die Familien ihrer Frauen verwandt waren und dass man in Böhmen, wo beide Grund besaßen, ein familiär-nachbarschaftliches Verhältnis unterhielt.

Am Thronfolger imponierte dem Grafen Czernin die Impetuosität, wie er sagte, zumal sie die seine noch übertraf. Er nannte ihn einen guten Hasser und sprach von der großen Unpopularität, deren er sich erfreue. Sie waren sich näher, als sie wussten. Manchmal stand der Graf Czernin rauchend im Garten des Belvedere zwischen den großen Parterrefenstern des Unteren Schlosses und sah den barocken Parkhügel hinauf zum prachtvollen Oberen Schloss, dem Versailles von Wien. Die Anlage wies jedem unentrinnbar seinen Platz im Gefüge zu. Czernin musste, während er tief eingezogenen Rauch ausatmete, still lachen bei dem Gedanken, die Schranzen sollten ihm etwas anhaben können. Es war, so glaubte der Graf Czernin, indem er den steil ansteigenden Mittelweg hinaufblickte, eine Frage des Baustoffamalgams, aus dem der eigene Charakter konstruiert war, ob man schranzenanfällig wurde oder nicht. Er war jung, als Spross eines alten böhmischen Geschlechts durch Erbschaft und Erziehung aber immer schon von altem Schrot und Korn. Er war unerbittlich, wenn er von etwas überzeugt war. Er konnte ebenso unangenehm sein wie charmant und abrupt zwischen beidem wechseln. Er ließ sein Gegenüber ungern ausreden, weil er meist schon vor dem Ende einer Rede wusste, worauf sie hinauslief. Manche legten es ihm als Falschheit aus, dass er unberechenbar und sprunghaft war. Sie konnten nicht wissen, dass er von den Sprüngen oft selbst überrascht wurde. Sie waren ein körperliches Phänomen. Er selbst litt noch mehr darunter als seine Umwelt. In der Familie hatten sie es von Anfang an gewusst: Er war zu Höherem berufen. »Du holst uns das Goldene Vlies«, hatte sein Vater gesagt. Immer und immer wieder hatte er es gesagt. Als er starb, schwor ihm sein Ältester am offenen Grab, sich diesen höchsten aller Orden zu verdienen.

Die Doppelmonarchie hielten Franz Ferdinand und Czernin für einen Patienten, mit dessen Behandlung rasch zu beginnen war. An dem Gleichnis konnten sie sich regelrecht berauschen, sich in Pestilenz-, Impfungs- und Amputationsszenarien ergehen, in denen das Blut nur so spritzte, Gliedmaßen wirbelten, Narben blieben und Nebenwirkungen in Kauf genommen wurden. In ihrer Nervosität und Rücksichtslosigkeit fühlten sie sich wie Ärzte, die ihre Diagnose längst gestellt und die Ärmel schon hochgekrempelt hatten, denen ein obskures örtliches Schamanentum jedoch verbot, mit der Kur zu beginnen.

Die Krankheit hieß Dualismus. Der Kaiser herrschte über ein Reich, aber über viele Völker, und das mit zwei Regierungen. Seit dem sogenannten Ausgleich von 1867 war der Kaiser von Österreich, auch damals war es längst dieser Kaiser gewesen, auch König von Ungarn. Das war reine Willkür, aber die Ungarn ließen sich nach einem Aufstand nur so wieder besänftigen. Seitdem gab es die Doppelmonarchie an der Donau. Von den mehr als fünfzig Millionen k.u.k. Untertanen waren kaum zehn Millionen Deutsche und kaum zehn Millionen Magyaren. Die Eliten dieser beiden Gruppen aber bestimmten. Je selbstbewusster sich eines der anderen Völker gerierte, desto schwieriger wurde das k.u.k. Zusammenleben. Es war eben nur das dünne Wasser der Donau, nicht dickes Blut oder der Rausch einer gemeinsamen Geschichte, was die Konstruktion zusammenhielt. Unter jeder politischen Frage klebte eine Stange Dynamit. Mal waren es die Ruthenen, mal die Slowaken, dann die Tschechen oder die Polen, die Italiener, die Kroaten, die Serben oder die Dalmatier, in Siebenbürgen piesackten die Ungarn die Rumänen, es gärte in Galizien und in Slowenien, vom frisch annektierten Bosnien ganz zu schweigen.

Franz Ferdinand und Czernin hatten für die Zeit nach Franz Joseph zunächst den Plan verfolgt, den Dualismus durch einen Trialismus zu ersetzen, Österreich und Ungarn als dritten Staat ein Königreich Jugoslawien hinzuzufügen, um den südslawischen Völkern eine Stimme zu geben. Inzwischen aber schwebte ihnen ein gleichberechtigtes Nebeneinander aller Völker der Monarchie vor. Statt zweier oder dreier Throne sollte es autonome Regierungen unter dem Schirm einer Zentralmacht geben, die sich um überregionale Interessen wie Finanzen, Armee und Außenpolitik kümmerte. Der aus dem Banat stammende Jurist Aurel Popovici hatte das in einem Buch schon einmal durchbuchstabiert. Dessen Titel war Name und Programm einer neuen Monarchie: Vereinigte Staaten von Groß-Österreich.

Das Problem war Ungarn. Popovicis Buch wurde dort sofort verboten, der Autor des Landes verwiesen, er lebte jetzt in Rumänien. Die Ungarn würden sich mit allen Mitteln sträuben. Wegen dieser Schlacht, die noch gar nicht begonnen hatte, die Franz Ferdinand aber, sekundiert von Czernin, längst schlug, hasste der Thronfolger Ungarn und alles, was mit Ungarn zusammenhing, naturgemäß auch die Sprache, die er erfolglos zu erlernen versuchte.

Czernin wusste, dass der Thronfolger ihn an diesem Tag dem Kaiser fürs Herrenhaus empfehlen wollte. Der Erzherzog hatte den Czernins zuvor die Ehre eines Besuchs auf ihrem nahe gelegenen Landsitz erwiesen. Es war verabredet, dass Czernin ihn am Parktor vor dem Hotel zur Post erwartete. Man wollte auf einen Lunch in die hiesige Hofkonditorei gehen, die in der Monarchie einen legendären Ruf genoss und einen hübschen Gastgarten am Fluss unterhielt.

Dauerte das Gespräch seinetwegen länger? Czernin trieb es auf und ab. Blitzte ein bekanntes Gesicht auf, drehte er sich weg. Er hatte bereits vier Zigaretten geraucht und ärgerte sich derart über die eigene Ungeduld, dass er sich die fünfte in einem Akt der Selbstbestrafung versagte. Während der Gedanke sich noch formierte, war das Streichholz schon auf dem Weg zum Tabak. Erschrocken trat Czernin die Zigarette in den Staub. Warten war von allem das Schlimmste. Dafür war er nicht gebaut. Er ertappte sich dabei, wie er nach Gründen suchte, Wildfremde anzuraunzen. Nicht einmal dazu fand sich ein passabler Anlass. Blieb ihm nur, doch noch eine Zigarette anzuzünden, um nicht ganz zermürbendem Nichtstun ausgesetzt zu sein.

Da kam der Thronfolger. Der Anblick war grotesk. Seine Kaiserliche Hoheit wurde von zwei Schatten verfolgt. Den einen warf die hoch stehende Mittagssonne kantig auf die abfallende Wiese. Der andere war braun, feinkariertes Hellbraun, und im Gesicht ein wenig bleich. Körperhaltung und Gesichtsausdruck der Mitleid erheischenden Figur spiegelten jene geprügelte Vorsicht wider, die sich einstellt, wenn jede Hoffnung auf Verständnis oder auch nur Milde versiegt.

Die verbogene Gestalt, die sich dem Erzherzog an die Fersen geheftet hatte, war Holubek. Holubek hatte sich diesen eng anliegenden Anzug, dessen Hosen dann zu hoch abgenäht worden waren, kaufen müssen, um den Posten als Detektiv zu bekommen, dessen Besetzung Franz Ferdinands Gemahlin verlangt hatte. Seit die Polizei immer öfter behauptete, Anschläge auf den Thronfolger vereitelt zu haben, fürchtete Sophie um das Leben des Vaters ihrer Kinder. Sie bestand darauf, dass er von einem Detektiv begleitet werde. Die Wahl fiel auf Holubek, der in der Armee und bei der Polizei gedient hatte und dem eine Furchtlosigkeit nachgesagt wurde, die ihm, sollte er sie je besessen haben, die Todesverachtung seiner unwirschen Klienten gründlich ausgetrieben hatte.

Czernin musste schmunzeln, und so war der Grant verflogen, als der Erzherzog vor dem Grafen stand. Da hielt auch der Detektiv an und mimte den verträumten Spaziergänger, der ziellos mal in diese, mal in jene Richtung schaut.

»Wie schön, dass Sie uns so freundlich begrüßen«, sagte der Erzherzog, wobei er das Wörtchen uns besonders betonte. »Aus dem gemeinsamen Mahl wird leider nichts werden. Die Audienz hat länger gedauert. Sie mussten warten.«

»Aber ich bitte Sie, Kaiserliche Hoheit. Bei diesem Wetter und bei dieser Luft, das ist doch nicht Warten, das ist Kur.«

»Ich glaube Ihnen kein Wort, Czernin.«

Die beiden Männer und ihre drei Schatten setzten sich in Bewegung, vorbei am Hotel zur Post Richtung Stadtmitte.

»Der Kaiser wusste genau, wer Sie sind, Czernin.«

»Kaiserliche Hoheit, das kann ich kaum glauben«, log dieser.

»Ja, er hat sogar, stellen Sie sich vor, gleich gesagt: Das ist doch der, der nach meinem Tode Minister des Äußeren wird

So weit waren nicht einmal die kühnsten Träume gediehen, die Czernins Eitelkeit zusammengesponnen hatte.

»Eure Kaiserliche Hoheit belieben zu scherzen«, sagte er dennoch artig, wohl wissend, dass Seine Kaiserliche Hoheit selten zu scherzen beliebte, schon gar nicht, wenn es um den Kaiser ging.

»Ich war selbst überrascht. Aber er fand es ja nicht schlimm. Er hat gelacht.« Czernin schwieg und genoss. »Und das mit dem Herrenhaus wird so gemacht. Seine Majestät haben gnädig zugestimmt. Sie sollen sich da mal schön hervortun, hat er gesagt. Oder etwas in der Art.«

Was hieß da Oder etwas in der Art? Wie konnte der Thronfolger darüber so wurstig hinweggehen? Es war doch wichtig, was Seine Majestät genau gesagt hatte. Das war etwas für die Geschichtsbücher. Trotz des Schattens, den die Ignoranz des Thronfolgers auf das Hochplateau des eitlen Glücks warf, über das der Graf Czernin stolzierte, blieb es doch ein prächtiger Sommernachmittag.

Da begab sich ein kleiner Tumult. Plötzlich schnelle Bewegungen und zwei kurze, trockene Rufe. Ohne dass er gewusst hätte, was geschah, sah sich der Thronfolger weggedrückt. Mit erhobenen Armen schob sich Holubek vor seinen Herrn und separierte ihn, mit ihm den Grafen, von einer alten Frau in gebückter Körperhaltung. Passanten blieben stehen. Die Alte hatte sich zielstrebig dem Thronfolger genähert, die Hände in die Taschen ihrer Rockschürze versenkt. Das hatte Holubek beobachtet. Vor seinem inneren Auge waren die Schürzentaschen voller Bomben und Pistolen. Das war sein Moment.

Die Alte beobachtete den Holubek’schen Einsatz mit verächtlicher Miene. Der Moment erstarrte zum Tableau vivant. Holubek stand mit ausgebreiteten Armen und hochgerutschter Anzugjacke vor Franz Ferdinand, der intuitiv die Hände im Nacken verschränkte, als böte diese Haltung Schutz, wovor auch immer. Es blieb der Alten vorbehalten, Bewegung in die Szene zu bringen. Langsam zog sie die Hände aus den Taschen, was Holubek sogleich zu Schrei und Sprung ansetzen ließ. Beides konnte er gerade noch aufhalten, als die Hände sichtbar wurden. Sie waren groß, weiß und leer.

»Danke, Holubek«, sagte der Thronfolger gerade so, wie man einen Hund lobt, der einen Stock apportiert. Der derart auf seinen Platz Verwiesene versuchte gar nicht erst, etwas zu erwidern, und bezog wieder Stellung als Schatten. Czernin und der Thronfolger übten sich in der Kunst des einen status quo ante wieder herstellenden Räusperns, das sich in Czernins vom Rauch aufgerauter Kehle zu einem trockenen Husten auswuchs. Gerade wollte der Erzherzog das Gespräch wieder aufnehmen, da traf ihn stechend dieser Blick aus zwei tiefschwarzen Augen. Unter ihrem grauen Kopftuch sah die Alte von unten herauf. Die Stirn in tiefe Falten gelegt, erdreistete sie sich, das Wort an die Herren zu richten.

»Sie haben ein Schicksal, und das ist nicht nur das Ihre.« Sie sprach mit einem angenehm warmen südslawischen Akzent. »Wenn Exzellenz sowie Exzellenz sich herabließen, mir Ihre linke Handfläche zu zeigen, könnte ich es bestimmen.«

Die beiden sahen sich an, erst unsicher, dann wie zwei Lausbuben, die sich auf einen Streich verständigt haben. Zu Holubeks Entsetzen, der sich nach erlittener Schlappe jedoch beherrschte. machten sie einen Schritt auf die Alte zu und schoben ihr die linken Handflächen vor die Augen. Blankes Entsetzen fegte über das zerfurchte Gesicht, nur für einen Augenblick, aber doch zu lang, als dass es den Herren hätte verborgen bleiben können. Sie fing sich rasch wieder, hob den Kopf, soweit ihr steifer Rücken das zuließ, sah den Grafen an, dann den Erzherzog.

»Sie werden nicht alt. Beide nicht. Jung sterben. Von Feinden gehasst, verfolgt bis in den Tod. Und darüber hinaus.« Bevor die Männer reagieren konnten, fuhr sie, Czernin fixierend, fort: »Sie werden Ihre Feinde kennen. Aber das wird Ihnen nichts nützen. Sie sind stolz. Und der Glücksmoment des höchsten Stolzes wird sich umkehren in einen vernichtenden Fluch, dem Sie nicht mehr entkommen werden.«

Sie ließen die alte Frau gewähren, die ihre schwarzen Augen jetzt wieder auf den Thronfolger richtete. »Und Sie werden einen Weltkrieg auslösen.«

Als sie aus ihrem tranceartigen Zustand zurückgefunden hatten, war die Alte verschwunden. Czernin hustete und fegte sich imaginären Staub von den Schultern. Der Thronfolger strich noch einmal die perfekt gebügelte Uniform glatt. Czernin griff nach seinem Zigarettenetui. Der Thronfolger bat ihn, ihm auch eine zu geben, bevor Czernin es ihm hätte anbieten können. Der erste Zug brachte sie zurück in die harmlose Gegenwart des sommerlichen Kurorts.

»Einen Weltkrieg«, sagte der Thronfolger.

»Nun, wenn Eure Kaiserliche Hoheit Kaiser sind und ein großer Krieg sich nicht vermeiden lässt, spricht es doch für die Souveränität Eurer Kaiserlichen Hoheit, dass Sie es sein sollen, der ihn auslöst.«

Das leuchtete dem künftigen Kaiser ein. In Wahrheit hatte sich gleich so etwas wie Stolz vor den Schreck geschoben. Zugegeben hätte er das natürlich nicht. Und so gab er vor, Czernins Äußerung als Scherz aufzufassen, den er mit gleicher Münze heimzahlte. »Und Sie müssen nur aufpassen im Glücksmoment des höchsten Stolzes, dass es Sie da nicht erwischt, wie?«

Jetzt konnten sie über den Vorfall lachen. Sie erwähnten ihn aber nie wieder. Und keiner von beiden erzählte es jemals seiner Frau.

Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen

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