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»Ich habe lange gezögert. Ich weiß ja, wie du denkst.«

Max wandte sich ab, als wollte er demonstrieren, dass er mit alledem nichts zu tun hatte. Aber Großmama sah es eh nicht.

»Es geht um dich …«

Hastig stieß Max Rauch aus.

»Ich bin älter, als wir alle dachten, dass ich es je werde. Und die Narbe ist aufgebrochen. Die Seligsprechung wird kommen, dann der Heilige Karl. Ich glaube, es ist besser, wenn die Tasche nicht hier ist.«

»Hast du Angst?«

Da lachte sie schallend. »Du Lieber. Du hast ja keine Ahnung. Angst habe ich schon lang nicht mehr. Um euch vielleicht, um eure Zukunft. Aber doch sonst nicht.«

Wieder einmal war er gegen die Wand dieses großen Glaubens gerannt.

»Alter macht pragmatisch. Das ist alles. Sie wollen etwas. Ich dachte, mit dem Zettel sei es vorbei. Da muss aber noch etwas sein. Aber es ist nicht mehr meine Sache.«

Der Satz war eine veritable Drohung.

»Soll ich mir die Tasche ansehen?«, fragte Max. Dabei wusste er, dass er genau das nicht tun würde.

»Du wirst eines Tages wollen. Das wird der richtige Zeitpunkt sein.«

»Wer sind sie?«

»Tja, mein Lieber, wenn ich das wüsste. Damals war es die Familie. Das war einfach. Familie gegen Familie.«

»Und jetzt?«

»Die Familie ist es nicht. Das glaube ich nicht. Da ist eine große Kraft dahinter, fast so etwas wie eine kriminelle Energie.«

»Opus Dei!«

Sie lachte wieder, dasselbe zurücksetzende Lachen. Und sie rauchte immer noch nicht. Max zündete sich eine nach der anderen an.

»Erzähl mehr.«

»Meine erste Erinnerung ist fast die eines Wetterleuchtens, das ins Kinderzimmer gestürzt kommt, mich auf die Arme nimmt, mich durch den Raum wirbelt, dann wieder der Kinderfrau zuwirft und verschwindet. Das war Papa. Blitzartig, eilig, liebevoll, kaum gesehen, schon wieder weg.

Sein unerwarteter plötzlicher Tod im sechzigsten Lebensjahr hat eine Welle der Bestürzung und Trauer ausgelöst. Unbeschreiblich viele Menschen strömten durch unsere Wohnung, um ihn noch einmal am Totenbett zu sehen. Man hatte das Gefühl, dass auch für Wien und Österreich einer der letzten Menschen der alten Zeit gegangen war. Er starb am Abend des 4. April 1932. Vor dem Souper kam er noch schnell in Mamas Salon und sagte: Bitte wartet mit dem Essen nicht auf mich. Ich habe keinen Hunger, Ich gehe spazieren. Nach dem Essen kam er zurück, setzte sich an seinen Schreibtisch. Er arbeitete an einem Buch über Radetzky. Er las uns vor. Plötzlich sprang er auf, drückte beide Hände auf die Brust, stöhnte So ein Schmerz. Mein Herz!, machte zwei Schritte auf uns zu und fiel tot in den Fauteuil neben mir. Dank des Goldenen Vlieses, mit dem ja auf jedem Tisch die Heilige Messe zelebriert werden kann, wurde am nächsten Tag eine Messe an seinem Bett gehalten. Endlose Seelenmessen, dann die Überführung ins Salzkammergut, wo er begraben liegt.

Eine sehr blasse Erinnerung habe ich an eine große Kundgebung der Wiener Bevölkerung nach dem Frieden von Brest-Litowsk, also eine Dankkundgebung für den sogenannten Brotfrieden. Alle Straßen und Plätze um den Ballhausplatz einschließlich Volksgarten, Heldenplatz dicht gedrängt voll jubelnder, rufender, strahlender Menschen. Und Papa erschien immer wieder am Balkon des Außenministeriums, lachte, winkte, sprach ein paar Worte und verschwand.«

Max war froh über die Zigaretten. Es waren zwar nur HB, aber das war besser als nichts.

»Papa war zweifellos kein einfacher Charakter. Geistig bestimmt einer der hellsten Köpfe seiner Zeit, mit einer prophetischen Vorausschau, einem sechsten Sinn für die Zukunft, der ihm vielleicht mehr geschadet als geholfen hat. Er war sehr ehrgeizig, immer felsenfest davon überzeugt, im Recht zu sein, und er hatte eine Redebegabung, die selbst den größten Gegner in die Knie zwang. Viele Menschen haben ihn gefürchtet, ohne zu erkennen, dass er ein großes leidenschaftliches Herz hatte, das später tief verwundet an den Folgen der Sixtus-Affäre praktisch gebrochen ist. Er überzog seine lebhafte Gefühlswelt mit einem schwachen Hauch von Zynismus. Der hat viele verschreckt, und man musste ihn gut kennen, um zu wissen, dass das ein Schutz gegen den Andrang des inneren Vulkans war. Er hatte im Grunde immer irgendwie Angst, mit seinem Herzen und seinen Gefühlen durchzugehen. Aber offiziell galt nur Geradestehen, hab Acht, Mann sein bis ins Letzte. Einmalig war ja auch der Sprung in die diplomatische Laufbahn bei Papa.«

Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen

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