Читать книгу Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen - Hans von Trotha - Страница 13
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Оглавление»Die Sommer verbrachten die Eltern immer in der Villa am See. 1903 kehrten sie aus Paris nach Wien zurück. Anlass war wohl, dass der Thronfolger auf Papa aufmerksam geworden war. Es ist dann eine große Freundschaft zwischen den beiden Männern entstanden, die wie füreinander geschaffen waren. Im Jahr 1913 wurde Papa als Gesandter nach Bukarest geschickt, Mama hat mir später immer wieder erzählt, dass sie mit einem unsagbar schweren Herzen Wien verlassen hat, mit dem sicheren Gefühl, die glücklichste Zeit ihres Lebens abgeschlossen zu haben. Was sich ja leider bewahrheitet hat. Nachfolgend traf ein harter Schlag nach dem anderen die Eltern.
Dass die Ermordung des Thronfolgers in Sarajevo nicht nur für die Welt, sondern ganz besonders auch für den Papa eine Katastrophe bedeutete, ist ja klar. Er verlor nicht nur den künftigen Kaiser, den Freund, den Mann, der die Zukunft in seinem Sinne und vielleicht zur Erhaltung der Donau-Monarchie bewältigt hätte. Der Erste Weltkrieg brach aus und damit der langsame, aber sichere Niedergang der Welt, in der die Eltern bis dahin gelebt hatten.
Der alte Kaiser Franz Joseph starb, und der junge Kaiser Karl berief Papa gleich ins Außenministerium. Da herrschten schon katastrophale Zustände. Das Land war am Verhungern, die Armee nicht genügend ausgerüstet, die Schlachten zum Großteil verloren. Papa wusste genau, dass, wenn überhaupt, nur jetzt noch etwas zu retten war. Und dafür hat er gekämpft und gelitten. Es kam zum Frieden von Brest-Litowsk mit Russland, dem sogenannten Brotfrieden, weil aus der Ukraine etwas an Getreide nach Österreich floss. Das war aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. An allen Fronten ging der Krieg weiter. Das Land stand vor dem Ruin. Dass in dieser Lage jeder nach dem Frieden schrie, ist ja wohl klar. Und dass all diese Bemühungen am Ende zum Eklat der Sixtus-Affäre führten, war eine menschliche Tragödie.
Die Kaiserin Zita hatte über ihre Brüder Sixtus und Xavier Bourbon-Parma die Möglichkeit, mit Frankreich Friedensverhandlungen zu beginnen. Papa war Feuer und Flamme für dieses Projekt, bestand nur darauf, dass jede Verhandlung mit Frankreich im Einvernehmen mit dem Bundesgenossen Deutschland geschehen müsse, umso mehr, als die Abtretung von Elsass-Lothringen eine der Bedingungen war. Kaiser Karl, sehr jung und in keiner Weise auf sein hohes Amt vorbereitet, schwankte in seinen Überzeugungen. Zwischen den willensstarken Einflüssen einerseits der Kaiserin und andererseits von Papa änderte er seine Meinungen täglich, sodass Papa ihn schließlich bat, ihm das schriftliche Ehrenwort zu geben, dass keinerlei Schritte hinter dem Rücken des Außenministers unternommen würden. Mit diesem Ehrenwort quasi in der Tasche hielt Papa dann seine große politische Rede über seinen Friedenswillen und erhielt sofort von Ministerpräsident Clemenceau die zynische Antwort: Der Lügner Czernin desavouiert sich selbst, natürlich gibt es Friedensverhandlungen hinter dem Rücken von Deutschland, und alles, was der Czernin sagt, ist gelogen. Papa verzweifelt, stürzte zum Kaiser, stellte fest, dass man tatsächlich ohne sein Wissen weiterverhandelt hatte, und demissionierte.
Ich habe Papa nur als gebrochenen Menschen gekannt. Ich war vier Jahre alt und verstand natürlich gar nichts, habe aber mit dem Instinkt des Kindes gewusst, dass da ein tiefes Leiden vorlag. Und so habe ich versucht, mich mit aller Gewalt gegen die Belastung zu stemmen, das Leiden aufzulösen, den Eltern so viel Freude zu machen wie möglich, aus Notwehr gegen das Schwere, das über uns lag.
Wenige Monate nach der Sixtus-Affäre endete der Erste Weltkrieg. Die einzelnen Staaten machten sich selbstständig, die Tschechoslowakei wurde geboren und Papa als Staatsfeind Nummer eins des Landes verwiesen. Das Gut in Böhmen durfte verkauft, das Inventar ausgeführt werden. Aber Schloss, Besitz, Gruft und sehr viel Czerninische Familientradition gingen in fremde Hände über.
Die Eltern, praktisch heimatlos, flüchteten in die Villa am See. Eigentlich waren das sogar vier Häuser. Aber unsere Familie mit Hauslehrern, Gouvernanten, Kindermädchen und Dienstpersonal füllte alle vier aus. Wir kamen uns ein bisschen vor wie Gulliver im Zwergenland. Aber für mich war es herrlich. Die Natur, die Einsamkeit, die Freiheit. Wir blieben die Jahre 1919 bis 1921 ganz dort. Für Papa eine harte Zeit, weil er von aller öffentlichen Tätigkeit abgeschnitten war. Die Nachrichten sickerten langsam durch. Es gab wenig zu essen. Er hatte viel zu viel Zeit für sein Temperament. Er tobte mit mir im Schnee herum. Wir rodelten die steilsten Hänge hinunter, liefen über den zugefrorenen See. Schulstunden wurden unterbrochen, wenn er reiten oder segeln wollte. Er stürzte ins Zimmer: Für heute ist es genug. Die Sonne kommt. Und alle Last des Alltags war für mich erledigt.
Im Jahr 1921, als meine älteren Geschwister einer nach dem anderen das Haus verlassen hatten und das allgemeine Chaos in der neuen Bundesrepublik sich langsam applanierte, zogen die Eltern nach Wien. Und so verbrachten wir immer die Zeit von November bis Mai in Wien und zogen für die Sommermonate an den See. Papa stürzte sich kopfüber wieder in die Politik, schrieb, kümmerte sich um alle Belange dieses neuen kleinen Staates, was ihm von vielen Standesgenossen sehr übel genommen wurde. Er galt als rot, weil er sich mit Leib und Seele den Problemen seines Volkes hingab. Mit seinem warmen leidenschaftlichen Herzen entging ihm keine Not und kein Elend. Immer wieder habe ich erlebt, wie er von der Straße weg hungrige Menschen zum Koch in unsere Küche geschickt hat, wie er versucht hat, ihnen Arbeit zu verschaffen. Und Reden hat er gehalten. Das war ja seine große Begabung. Legendär war der erste Auftritt vor dem Herrenhaus. Das Manuskript hat er hernach der Mama geschenkt, zusammengefaltet, in einem kleinen hellblauen Kuvert.«