Читать книгу Einstein, Gott und meine Brüder - Harry Flatt-Heckert - Страница 11

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Ich gehörte also in den Augen meiner Eltern mittlerweile zu den Leuten, vor denen sie mich immer gewarnt hatten. Und meine Freunde natürlich auch. Alles linkes und asoziales Gesocks. Ja, ich war Gesocks. Links, alternativ, renitent und aufsässig.

Klammer auf: Ich habe den Unterschied zwischen 'renitent' und 'aufsässig' nicht verstanden. Ich hielt es für Synonyme. Aber mein Vater bestand auf diese Unterscheidung. Klammer zu.

Und vielleicht war ich auch manchmal etwas ungeschickt, vor allem in handwerklichen Dingen. Zwei linke Hände, alles Daumen. Ein hoffnungsloser Fall. Und mein Vater vermochte es grandios, sein Missfallen und die dabei durchklingende enttäuschte Verachtung in zwei Worte zu kleiden, mit denen er mich gern bedachte: Unnusel und Dösbaddel. Beide Begriffe standen synonym dafür, dass ich durchaus dazu in der Lage war, ständig über meine eigenen Schnürsenkel zu stolpern oder mir den Kaffee über die Hose zu schütten, nur, weil ich die Tasse schon ankippte, bevor ich sie am Mund hatte. Einfach, weil ich in Gedanken war. Wobei der Begriff Unnusel eher den Schwerpunkt auf mein offensichtliches Unvermögen legte, Dösbaddel hingegen mehr auf meine Tollpatschigkeit abzielte. Ich fand beide Titulierungen gleich blöd und herabwürdigend, wobei mir auch völlig egal war, welcher Begriff für was stand. Aber für das richtige Leben war ich anscheinend nicht zu gebrauchen.

Umso erfreuter waren meine Eltern natürlich, dass ich nach der Schule eine richtige Berufsausbildung machen wollte. Eine kaufmännische noch dazu. Dass ich einen Bürojob wählte, erleichterte meine Eltern darüber hinaus dahingehend kolossal, weil man dazu in der Regel kein Werkzeug braucht, mit dem man sich oder andere verletzen könnte. Auch würde das Berufsleben mit seinen Regeln und Normen mir sicher meine verquasten politischen Spinnereien schon noch austreiben. Alles Linke war für meinen Vater so eine Art Geisteskrankheit. Und nun schien ich zu gesunden. Endlich.

Meine Eltern waren nicht nur erfreut, nein, sie waren glücklich. Sie kauften mir ein schickes kariertes Jackett, zwei dazu passende Trevirahosen, weiße und blaue Oberhemden, eine rot- und eine blaugestreifte Krawatte und ein Paar Halbschuhe, die den perfekten Bürolook komplettierten. Ich sah darin total bescheuert aus. Fand ich. Und ich fühlte mich auch so. Meine Mutter war dagegen von meinem geschäftsmäßigen Auftritt total begeistert und platzte mit tränenden und dennoch völlig verzückten Augen ein enthusiastisches "JUNGE!" hervor, wie nur eine Mutter das kann, und mein Vater sprach erstmals mit unüberhörbarem Stolz davon, dass aus mir ja doch noch etwas Vernünftiges werden könnte. Könnte! Das Outfit war also die Eintrittskarte für die höhere Vernunft. In den Augen meines Vaters wahrscheinlich sogar für die reine Vernunft. Wobei mein alter Herr von Immanuel Kant gar keine Ahnung hatte. Genauso wenig wie ich. Auch ich hielt die goldene Regel an meiner alten Schule "Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem andern zu!" schon für den kategorischen Imperativ. Damals.

Aber was wusste ich schon? Ich hatte mir das damals schon alles so einfach vorgestellt.

Und nun das. Ich wollte meine noch so junge und hoffnungsvolle berufliche Karriere beenden und mich wieder den unsteten Gedanken hingeben. Das weiße Hemd gegen den schwarzen Rolli tauschen. Die teuer bestrumpften Füße in den glattledernen Halbschuhen gegen barfuß in Wildledermokassins. Die Trevirahosen gegen die von meinem Vater so gehassten "Nietenhosen", die wir "Dschiens" nannten, obwohl wir doch - mein Vater kollektivierte gern meine so falschen politischen Einstellungen, die für ihn bestenfalls nur das Ergebnis von Verirrung und Verblendung, aber wahrscheinlich doch eher das Ergebnis eines gigantischen Verschwörungs- und Indoktrinierungswerks des Ostblocks sein konnten - obwohl wir doch sonst gegen alle amerikanische Segnungen wie Pershing II, Elvis oder Nato-Doppelbeschluss waren. Wir hielten uns damals in der Tat für Freie Radikale und hatten natürlich gar keine Ahnung davon, dass man mit Freie Radikale Teile von Molekülen bezeichnet, an deren Bruchstellen sich ein Atom mit einem so genannten ungepaarten Elektron befindet. Aber ich sagte ja schon, für Physik bin ich zu blöd.

Einstein, Gott und meine Brüder

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